Die Geschichte der Kernkraft in Deutschland ist emotional und politisch. Sie trieb Bürger auf die Gleise, regte zur Gründung einer grünen Partei an und brachte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) 2011, nach der Katastrophe in Fukushima, zu ihrer persönlichen Energiewende.
Dass die Kernkraft bis heute auch ein Fachpublikum bewegt und spaltet, zeigten die hitzigen Diskussionen beim Tagespiegel-Energiefachforum „Abgeschaltet und jetzt?“ am Donnerstag in Berlin. Die zentralen Fragen dabei waren, wie der Rückbau von Kernkraftwerken organisiert werden kann und wo der Atommüll zu lagern ist. Rund 8.700 Tonnen hochradioaktiver Atommüll sind angefallen, seit das erste Atomkraftwerk 1961 ans Netz ging. Bis zum Ausstieg 2022 werden 1.800 Tonnen hinzukommen.
Mit der Verabschiedung des novellierten Standortauswahlgesetzes ist bei der Suche nach einem „geeigneten“ Standort wieder alles offen. „Ich wünsche mir, dass die Auswahl transparent verläuft und Landesämter verpflichtet werden, geologische Daten zu liefern“, sagte Stefan Wenzel, niedersächsischer Energieminister und damit Vertreter eines Bundeslandes, das sich aufgrund der Standorte Gorleben und Asse mit Atommülllagerung zwangsläufig vertraut machen musste. „Werden Sie nicht einwenden, dass Niedersachsen schon genug geleistet hat?“, fragte Tagesspiegel-Chefredakteur Stephan-Andreas Casdorff den Energieminister. „Wenn wir in der Verantwortung sind, ist es so“, entgegnete Wenzel.
Eine Diskussion über den Rückbau ist keine ohne die Sicht der Energieversorger. Diese lieferte Frank Mastiaux, Vorstandsvorsitzender von EnBW, der zunächst reflexhaft darauf hinwies, welche wirtschaftliche Krise der Ausstiegsbeschluss im Konzern zunächst ausgelöst habe. „Aber jetzt schauen wir in die Zukunft.“ EnBW wird seinen finanziellen Anteil am Atomausstieg am 1. Juli 2017 an den Staat überweisen. Mit dem Rückbau dreier Kernkraftwerke wurde bereits 2008 begonnen, für zwei weitere sind nun Genehmigungen beantragt. „Die Verfahren ziehen sich“, monierte Mastiaux. 1.600 Arbeiter sind bei EnBW derzeit im Rückbau beschäftigt. „Ich sehe sie als Teil der Energiewende“, so Mastiaux. Ihre Aufgaben bei EnBW werden zwangsläufig ein Ende haben. Möglicherweise können sie aus ihrem Wissen ein neues Geschäftsmodell machen.
Kontroversen Austausch ist man bei der Kernkraft gewohnt. Und so gab es keine Scheu davor, die Meinung des Publikums einzuholen, per Abstimmung. Insgesamt gab es drei Fragen, jeder Runde gingen kurze Pro und Contra Beiträge voraus. Dass ein Rückbau im Konsens nicht möglich sei, so sahen es mehr als 70 Prozent. Bis zuletzt gab es immer wieder Streit um die Frage, ob Bauschutt aus dem Abriss der Atomkraftwerke auf konventionellen Deponien gelagert werden dürfe.
In der zweiten Runde stimmten mehr als 60 Prozent dafür, dass Atommüll so lange in den Zwischenlagern bleiben soll, bis ein Endlager gefunden ist. „Wir wollen nicht, dass radioaktives Material durch die Gegend fährt“, so ein Wortbeitrag aus dem Publikum. Darauf folgte der Einwand, dass die natürliche Strahlung an gewissen Standorten die Strahlung von Atomdeponien übertreffe.
Die dritte Runde befasste sich mit einem möglichen Vetorecht der Öffentlichkeit bei der Standortfrage. Knapp 90 Prozent sprachen sich dafür aus, Ängste zwar ernst zu nehmen, den besten Standort aber nicht durch öffentlichen Widerstand verhindern zu lassen. Doch welche Kommune will schon den schwarzen Atom-Peter ziehen? Leo Schulz, Mitglied der nationalen Plattform Elektromobilität, sah es in der anschließenden Diskussionsrunde so: „Es wird Gewinner und Verlierer geben.“ Widerständler könne man schließlich auch mit Geld überzeugen.