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Energie & Klima

Standpunkte Warum Deutschland seine Sanktionen verschärfen sollte

Paul Grod, Präsident des Weltkongress der Ukrainer
Paul Grod, Präsident des Weltkongress der Ukrainer Foto: Foto: Ukrainian World Congress

Seit sechs Monaten wütet Russlands Krieg in der Ukraine. Zwar seien die Ukrainer:innen dankbar für die bisherige Unterstützung Deutschlands, schreibt Paul Grod vom Weltkongress der Ukrainer. Doch Deutschland müsse sich von russischen Energielieferungen unabhängig machen: Nur so kann der Westen standhaft bleiben, das internationale Sanktionsregime aufrechterhalten und Deutschland seinem Ruf als Verteidiger internationaler Rechte gerecht werden.

von Paul Grod

veröffentlicht am 24.08.2022

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Heute ist ein bedeutender Jahrestag für Ukrainerinnen und Ukrainer überall auf der Welt. Am 24. August 1991 erklärte die Ukraine ihre Unabhängigkeit. Und auf den Tag genau 31 Jahre später begann Russland seinen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen unser Land. Seit genau sechs Monaten verteidigen sich die Ukrainerinnen und Ukrainer gegen die willkürlichen Machtansprüche und die brutalen Kriegsverbrechen Putins. Sie kämpfen weiterhin für ihr Recht auf Selbstbestimmung und Freiheit. Und sie kämpfen dafür, dass auch der Rest Europas weiterhin in Sicherheit und Freiheit leben kann.

In der Zwischenzeit tut Putin alles, um die Ukraine von seinen Freunden in Europa zu entfremden und die demokratischen Nationen zu spalten. Seine wichtigste Waffe ist dabei sein Hebel an der europäischen Energieversorgung. Die Abhängigkeit Europas, insbesondere Deutschlands, von russischer Energie ist der Hauptgrund, warum Russland Energielieferungen strategisch ausspielen und Europa spalten und schwächen kann.

Der falsche Weg: Die Schwächung des Sanktionsregimes

Aber Deutschlands Reaktion auf Russlands Druck ist zutiefst enttäuschend. Mit dem Beginn der Wartungsarbeiten von Nord Stream 1 am 10. Juli stellte Russland die Gaslieferung über die Pipeline komplett ein. Bereits im Vorfeld hatte der russische Staatskonzern Gazprom seine Liefermengen um 40 Prozent gedrosselt – mit Verweis auf eine fehlende Turbine von Siemens Energy. Die von Kanada verhängten Sanktionen erlaubten keine Lieferung der in Montreal gewarteten Turbine an Russland.

Auf Drängen der deutschen Regierung erließ die kanadische Regierung an Siemens Canada eine zweijährige, widerrufbare Sanktionsaufhebung, welche die Ausfuhr der Turbine über Deutschland nach Russland ermöglichen und die Instandsetzung fünf weiterer Turbinen erlauben sollte. Ein klarer Verstoß gegen Kanadas eigenes Sanktionsregime. Gegen die Sanktionsaufhebung hat unsere Organisation, der Weltkongress der Ukrainer, vor dem kanadischen Bundesgericht geklagt. Unserer Ansicht nach war die Erteilung der Genehmigung zum Transport der Turbine nach Deutschland unangemessen und unberechtigt.

Kanada dazu zu drängen, die Sanktionen gegen Russland aufzuheben, um die Wartung der Nord Stream 1 Turbine zu ermöglichen, war der falsche Schritt. Ganz abgesehen davon, dass dieser „Schachzug” von Bundeskanzler Scholz und seiner Regierung keineswegs die von ihnen erwartete Sicherung der Gaslieferungen nach Deutschland zur Folge hatte, reißt er tiefe Risse in das Konstrukt des internationalen Sanktionsregimes gegen Russland. Jede Ausnahme von den Sanktionen ist höchst riskant. Ausnahmen beeinträchtigen die Glaubwürdigkeit der Sanktionen insgesamt und liefern Putin so weitere Ansatzpunkte, den Westen zu spalten. Sie bereiten den Weg für weitere Ausnahmen und schwächen so eine geschlossene internationale Reaktion auf die russische Aggression.

Die Entscheidung der deutschen Regierung ist jedoch auch mit Blick auf eine baldige Besserung der Situation der Ukraine ein entmutigendes Zeichen. Mit der Entscheidung, sich die Turbine entgegen der Sanktionen ausliefern zu lassen, investierte Deutschland weiter in seine Energieabhängigkeit von Russland. Es verpasste die Gelegenheit, seine Energieplanung radikal, schnellstmöglich und strategisch in Absprache mit Europa bei der schnellen Elektrifizierung, der Effizienz und Vernetzung neu auszurichten. Stattdessen verbleibt die bedeutendste Marktwirtschaft Europas in ihrer Abhängigkeit von russischer Energie. Der Winter naht und die Ukrainerinnen und Ukrainer, die schon seit sechs Monaten in ihrer Heimat um ihre Freiheit kämpfen, befürchten, Deutschlands Unterstützung gegen Russlands Erpressungen zu verlieren.

Der richtige Weg: Verschärfte Sanktionen und alternative Energiebezüge

Nach meinem Treffen mit Bundeskanzler Scholz und Wirtschaftsminister Habeck während ihres jüngsten Aufenthalts in Kanada glaube ich jedoch, dass es Hoffnung gibt. Beide verstehen Russlands aktuelle und potenziell noch aggressiver werdende Erpressung durch Energielieferungen.
Im Vordergrund dieses Besuchs stand die Erkundung alternativer Energiepartnerschaften. Zwar gab das Kanzleramt schon vor dem Besuch zu verstehen, dass Deutschland zumindest in Sachen Flüssiggas aufgrund fehlender Infrastruktur in den nächsten zwei Jahren keine Lieferungen aus Kanada erwarte.

Aber es ist der richtige Schritt für Deutschland, sich nach alternativen Energiebezügen umzusehen und sich dabei auf demokratische Partner zu verlassen, zu denen auch in anderen Bereichen stabile und freundliche Beziehungen bestehen. Deutschland hat die Gelegenheit, das transatlantische Bündnis dabei anzuführen, Russlands Energie- und Informationskrieg zu beenden und die Finanzierung von Russlands blutigem Krieg in der Ukraine durch verschärfte Sanktionen und das Stilllegen von Mitteln zu unterbinden. Denn die westlichen Sanktionen haben erhebliche Auswirkungen auf die russische Wirtschaft. Die Kyiv School of Economics hat kürzlich einen neuen Bericht über die Folgen der Sanktionen auf die russische Wirtschaft veröffentlicht: Demnach haben vier Millionen Russ:innen ihren Arbeitsplatz verloren, zig Milliarden Dollar an Öl- und Gaseinnahmen sind ausgeblieben und Gesundheitsausgaben sind um ein Drittel gekürzt worden. Darüber hinaus haben russische Bürger mehr als 20 Milliarden Dollar an Bargeldreserven von den Banken abgezogen.

Deutschlands Chance, seinem Ruf gerecht zu werden

Russland hat erst damit begonnen, Energiepolitik als strategische Waffe einzusetzen. Putin schränkt internationale Gaslieferungen ein, um Deutschland und andere europäische Länder daran zu hindern, ihre Reserven zu füllen. Es ist nicht schwer vorherzusehen, dass er einen Energiekrieg gegen Europa führen wird, um Europas Unterstützung für die Ukraine zu beenden und die europäische Solidarität zu brechen. Doch jedwede Lockerung der Sanktionen wird ihm nur in die Hände spielen. Es ist Zeit, seinen Bluff auffliegen zu lassen.

Deutschland war in den letzten Jahrzehnten eine mächtige Stimme für Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte. Diese Prinzipien sind mittlerweile zentraler Bestandteil von Deutschlands Werten. Durch seine Handlungen gegen Russlands Energiekrieg kann Deutschland eine führende Rolle für die Zukunft der Ukraine einnehmen. Nur wenn Deutschland und seine Partner standhaft bleiben und Europas Energiesicherheit durch Zusammenarbeit und durch zeitiges Handeln absichern, hat Deutschland die Freiheit, für seine Werte einzustehen. Nur so kann Deutschland der Ukraine ein starker Freund sein.


Der Weltkongress der Ukrainer ist eine internationale Nichtregierungsorganisation, die die Interessen der Ukrainer außerhalb der Ukraine vertritt.

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