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Standpunkte Das perfekte Chaos – wie die Bundesregierung Unternehmen ins CSRD-Debakel führt

Martin-Sebastian Abel, Unternehmensberater und ESG-Experte sowie Ex-Grünen-Landtagsabgeordneter in Nordrhein-Westfalen
Martin-Sebastian Abel, Unternehmensberater und ESG-Experte sowie Ex-Grünen-Landtagsabgeordneter in Nordrhein-Westfalen Foto: privat

Der Wahlkampf fordert seinen Tribut – und die Leidtragenden sind die deutschen Unternehmen: Für die hat die Bundesregierung mit ihrem jüngsten Vorstoß gegen die EU-Nachhaltigkeitsberichterstattungs-Richtlinie CSRD ein perfektes Chaos angerichtet, schreibt der Düsseldorfer Unternehmensberater Martin-Sebastian Abel in seinem Standpunkt-Gastbeitrag. Der Wirtschaft werde damit genau das genommen, was sie am meisten braucht: Vertrauen in verlässliche Rahmenbedingungen.

von Martin-Sebastian Abel

veröffentlicht am 02.01.2025

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Die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) war von Anfang an ein ambitioniertes Projekt der Europäischen Union. Mit der Absicht, Nachhaltigkeitsberichterstattung verbindlich und vergleichbar zu machen, wurde die Richtlinie seit ihrer Vorstellung 2021 intensiv verhandelt. Seit dem 5. Januar 2023 ist die CSRD in Kraft und hätte bis Juli 2024 von allen Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt werden müssen.

Doch Deutschland zeigt, wie man Chaos auf höchstem Niveau organisiert: Nur wenige Tage vor Inkrafttreten der neuen Regelungen ist die Umsetzung nicht nur verzögert, sondern die Bundesregierung fordert – in einem höchst ungewöhnlichen Schritt – eine grundlegende Überarbeitung der Richtlinie.

Schlechte Scherze, unglaubwürdige Grüne

14 Tage vor dem geplanten Inkrafttreten der Berichterstattungspflichten für die erste Kohorte, also große Unternehmen mit über 500 Mitarbeitenden, schrieben Bundeskanzler Olaf Scholz und drei Minister an die EU-Kommission, um eine Verschiebung und Überarbeitung der CSRD zu fordern. Das wirkt wie ein schlechter Scherz, bedenkt man, dass Scholz als damaliger Finanzminister und sein Staatssekretär aus dieser Zeit, der heutige SPD-Bundesfinanzminister Jörg Kukies (Porträt), selbst in den Prozess involviert waren, als die Reform angekündigt wurde.

Noch absurder wird es, wenn man sich erinnert, dass Volker Wissing, der inzwischen parteilose, ehemals der FDP angehörende Interims-Justizminister, noch im November auf eine 1:1-Umsetzung der Richtlinie gedrängt hat. Geradezu unglaubwürdig ist die Unterschrift von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), dessen ehemaliger Staatssekretär Sven Giegold (Porträt) gemeinsam mit dem französischen Europaabgeordneten Pascal Durand als Architekt der umfangreichen Berichtspflichten im Europaparlament gilt. Die Grünen hatten noch im Europawahlkampf im Sommer Kritik an den Berichtspflichten abgewehrt und Änderungen ausgeschlossen.

Die Kettensägen-Metaphorik drängt sich geradezu auf, denn die Folgen dieser (zu) späten Intervention sind gravierend: Unternehmen werden in rechtliche und operative Unsicherheiten gestürzt. Während in anderen EU-Staaten die Umsetzung längst erfolgt ist, droht deutschen Unternehmen ein Wettbewerbsnachteil, da die Berichtspflichten in Nachbarländern bereits greifen. Statt Klarheit zu schaffen, stiftet die Bundesregierung Verwirrung – ein Symbol politischer Kurzsichtigkeit. Besonders pikant: Die vermeintlichen Erleichterungen, die durch den Brief in Aussicht gestellt werden, schaffen in Wahrheit Chaos.

Wahlkampfmanöver, kein inhaltlicher Einspruch

Die Kritik an der Komplexität und dem Umfang der CSRD ist nicht neu und in Teilen berechtigt. Die Flut an Standards, insbesondere durch die European Sustainability Reporting Standards (ESRS), wird von vielen Unternehmen als bürokratisches Monster wahrgenommen. Doch genau diese umfangreichen Standards waren eine zentrale Forderung der EU-Kommission und des Europäischen Parlaments, die eine einheitliche, belastbare Grundlage für die Nachhaltigkeitsberichterstattung schaffen wollten.

Die plötzliche Ablehnung durch die Bundesregierung wirkt daher weniger wie ein inhaltlicher Einspruch, sondern vielmehr wie ein durch den Wahlkampf getriebenes Manöver. Während Olaf Scholz versucht, das Profil der SPD als wirtschaftsfreundlich darzustellen, nutzen andere Regierungsmitglieder die Gelegenheit, sich von einer EU-Richtlinie zu distanzieren, deren Ursprung in ihren eigenen Reihen liegt.

Der Versuch wirkt jedoch hilflos, denn am selben Tag, an dem der Brief datiert ist, schreitet die European Financial Reporting Advisory Group (Efrag) weiter voran. Mit den kürzlich präsentierten Standards für KMU (VSME) auf über 60 Seiten wird deutlich, dass die EU eine klar strukturierte und ambitionierte Vision für Nachhaltigkeitsberichterstattung verfolgt. Dass Deutschlands zögerliche Haltung nicht nur der Wirtschaft schadet, sondern auch den internationalen Ruf Deutschlands als Garant für konsequente EU-Umsetzungen untergräbt, scheint der Rest-Bundesregierung ohne Parlamentsmehrheit egal zu sein.

Berlin als Symbol für organisierte Verantwortungslosigkeit

Statt Unternehmen zu entlasten, schafft die Bundesregierung zusätzliche Risiken. Während man von Entbürokratisierung spricht, bleibt die Realität eine andere: Deutsche Unternehmen stehen vor offenen Fragen und unklaren rechtlichen Vorgaben. Ein klarer Fahrplan hätte Unternehmen geholfen, sich frühzeitig auf die neuen Anforderungen vorzubereiten. Stattdessen werden sie zwischen unklaren rechtlichen Vorgaben und politischen Spielchen zerrieben.

Die CSRD war nie perfekt, aber sie ist ein notwendiger Schritt, um Nachhaltigkeitsberichterstattung zu vereinheitlichen und Transparenz zu fördern. Deutschland hat nicht nur die Gelegenheit verpasst, hier eine Führungsrolle zu übernehmen, sondern stürzt Unternehmen bewusst in ein Chaos. Der Brief der Bundesregierung kurz vor Inkrafttreten der Richtlinie ist ein Symbol für organisierte Verantwortungslosigkeit – und ein fatales Signal an Wirtschaft und Gesellschaft.

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