Die Beziehungen zwischen der Natur und der Ökonomie sind ein vielschichtiges Wirkungsgefüge. Dass die Wirkungen der Natur auf den Menschen, die Wirtschaft und die Gesellschaft immer bedeutsamer werden, hat der diesjährige Weltwirtschaftsgipfel in Davos eindrucksvoll unterstrichen. Fünf der zehn größten langfristigen Risiken für die Unternehmen haben mit der Naturzerstörung, dem Klimawandel und mit Extremereignissen zu tun. Doch die Art und Weise, wie wir heutzutage wirtschaften, geht immer noch mit vielfältigen negativen Auswirkungen auf die Natur einher.
Natur und Ökonomie – ein komplexes Wirkungsgefüge
Dies wird besonders deutlich, wenn man auf die fünf wesentlichen Ursachen für den weltweiten Biodiversitätsverlust blickt: intensive Land- und Meeresnutzung, direkte Ausbeutung von Naturressourcen, Umweltverschmutzung, Klimawandel und die Ausbreitung invasiver Arten. Alle diese Treiber werden durch den Hunger nach fossilen Ressourcen, der Intensität der Landnutzung, die Energie- und Schadstoffintensität unserer Produktionsprozesse und die Ausdehnung der globalen Liefer- und Handelsverflechtungen befeuert.
Dabei sind wir Menschen auf die Leistungen der Natur, die Ökosystemleistungen, in höchstem Maße angewiesen – auch aus wirtschaftlicher Sicht. Denn unsere Volkswirtschaften sind in die Biosphäre eingebettet und können nicht unabhängig von ihr existieren. Die Ökonomie sollte deshalb hinsichtlich des Verlustes der biologischen Vielfalt nicht Teil des Problems sein, sondern Lösungen für den Schutz der Biodiversität beitragen.
Unzureichende und einseitig ausgerichtete Wirtschaftswissenschaften
Doch wie unzureichend und einseitig sind trotzdem die Wirtschaftswissenschaften aufgestellt! Umweltökonomische Fragestellungen, die seit den 1970er und 80er Jahren ihren Aufschwung nahmen und international zusehends an Bedeutung gewinnen, führen an vielen Universitäten und Hochschulen bis heute ein Schattendasein.
Wenn sich Ökonomen mit der Natur auseinandersetzen, tun sie dies meistens sehr einseitig im Rahmen der Klima- und Energiepolitik. Hier geht es um CO2-Emissionen, den optimalen Klimaanpassungspfad, die sogenannte intertemporale Allokation von Ressourcen, also die Lastenverteilung zwischen heutigen und zukünftigen Generationen, sowie um Instrumente zur Internalisierung externer Effekte, womit Unternehmen die von ihnen verursachten gesellschaftlichen in ihre eigene Kostenrechnung aufnehmen, was zu anderen Entscheidungen führen kann. Immerhin, kann man sagen, wird so wenigstens ein Treiber des Biodiversitätsverlustes angesprochen.
Aber wie selten sind Arbeiten zum Biodiversitätsschutz anzutreffen! Gibt es sie überhaupt? Die Themen hierzu sind nur an den Rändern der Journale auszumachen, vereinzelt und verstreut. Und gering sind die Beiträge zur Politikberatung, die doch eine der zentralen Aufgaben der Ökonomik sein soll. Die Fachdisziplin ignoriert, dass mit dem Verlust der biologischen Vielfalt die – neben dem Klimawandel – zweite globale Herausforderung für unser Erdsystem immer mehr in den Vordergrund rückt.
Vierklang an Analysen erforderlich
Was in der Ökonomik aus meiner Sicht dringend intensiviert werden muss, um der Größe der Herausforderungen gerecht zu werden, sind die folgenden vier Felder:
(1) Die ökonomisch-ökologische Modellierung der Wechselwirkungen zwischen menschlichen Aktivitäten und Biodiversität. Es gilt, integrative Modellsysteme für Mensch-Natur-Beziehungen zu entwickeln, die die gegenseitigen Abhängigkeiten von intakter Natur und wirtschaftlicher Entwicklung sichtbar machen: Sie müssen Kausalitäten zwischen Landnutzung und Naturzustand aufzeigen und für die Ableitung von Szenarien zukünftiger Entwicklungen unter verschiedenen Klima- und Bewirtschaftungsszenarien geeignet sein.
(2) Die ökonomische Bewertung der Natur kann helfen, Werte und Werthaltungen von Menschen gegenüber der Natur sichtbar zu machen. Dies ist Grundlage, um die Bedeutung der Natur besser in privaten, privatwirtschaftlichen und öffentlichen Entscheidungen einzubinden. Der Gedanke des Naturkapitals kann dabei sehr unterstützend sein, wenn neben Sach-, Finanz- und Humankapital auch Naturkapital in der Wohlfahrtsbetrachtung berücksichtigt wird. Die internationale TEEB-Studie “The Economics of Ecosystems and Biodiversity” und jüngst der Dasgupta-Report haben dazu wegweisende Schritte aufgezeigt.
(3) Ökonomische Politikinstrumente wie beispielsweise Abgaben oder Zertifikatelösungen sind gerade mit Blick auf die Erhaltung der Biodiversität viel stärker zu nutzen. Denn bei der Änderung unserer Wirtschafts- und Lebensweisen geht es nicht um ein vollständiges Verbot menschlicher Nutzungen der Natur und ihrer Ökosystemleistungen, sondern um eine Richtungsänderung hin zu biodiversitätssicherndem Verhalten. Ökonomische Anreizinstrumente sind hier das naheliegende Mittel der Wahl, ihre Voraussetzungen und Erfolgsbedingungen sind aber nach wie vor nicht ausreichend verstanden.
(4) Und schließlich ist die Schnittstelle zu Sustainable Finance und der Unternehmensfinanzierung gefragt. Die unternehmerischen Berichterstattungssysteme, die auf dem Monitoring und geeigneten Indikatoren ansetzen, die unternehmerischen Risikoanalysen bei der Abschätzung von Zukunftspotenzialen und die dazugehörenden Entscheidungsunterstützungssysteme bedürfen der Erweiterung und Vertiefung, um im Managementbereich der Unternehmen auch eingesetzt werden zu können.
Es ist dringend an der Zeit, die Kurzsichtigkeit der Ökonomik in Lehre und Forschung sowie ihre weitgehende Sprachlosigkeit gegenüber der Biodiversitätskrise zu überwinden, um die Gefährdungen der planetaren Krise anzugehen und dringend benötigte Analyse- und Lösungsbeiträge zu liefern.