Sustainable-Finance icon

Sustainable Finance

Standpunkte EU-Kommission verspielt historische Chance

Timo Busch (Foto/Universität Hamburg), Andreas Höpner (Dublin College) und Lisa Breitenbruch (Advanced Impact Research)
Timo Busch (Foto/Universität Hamburg), Andreas Höpner (Dublin College) und Lisa Breitenbruch (Advanced Impact Research) Foto: Privat

Die Europäische Kommission gefährde mit ihren vorgeschlagenen ESRS-Standards zur Nachhaltigkeitsberichtspflicht die eigenen Sustainable-Finance-Ziele, warnen Timo Busch, Professor an der Universität Hamburg, Andreas Höpner, Professor am University College Dublin, und Lisa Breitenbruch, Forscherin bei Advanced Impact Research (AIR). Die stark aufgeweichten Vorgaben würden die von der EU beabsichtigte Finanzierung der Transformation in eine klima- und naturverträgliche Wirtschaft konterkarieren.

von Timo Busch, Andreas Höpner und Lisa Breitenbruch

veröffentlicht am 29.06.2023

Lernen Sie den Tagesspiegel Background kennen

Sie lesen einen kostenfreien Artikel vom Tagesspiegel Background. Testen Sie jetzt unser werktägliches Entscheider-Briefing und erhalten Sie exklusive und aktuelle Hintergrundinformationen für 30 Tage kostenfrei.

Jetzt kostenfrei testen
Sie sind bereits Background-Kunde? Hier einloggen

Mit ihrem kürzlich vorgelegten Entwurf der Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen (European Sustainability Reporting Standards – ESRS) läuft die EU-Kommission Gefahr, ihren eigenen Sustainable-Finance-Zielen das Fundament zu entziehen. In die Röhre schauen dürften unter anderem die Investoren: Nur noch drei der insgesamt 16 Schlüsselvariablen für Investoren, die Indikatoren für sogenannte Principle Adverse Impacts (PAI), müssen verpflichtend berichtet werden. Während Investoren viele davon schätzen können, wiegt insbesondere der Verlust der Biodiversitätsvariable und die geschlechtsbezogene Lohnlücke (Gender Pay Gap) schwer.

Zur Erreichung des EU Green Deals und des EU Aktionsplans zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums braucht es breit verfügbare, zuverlässige und vergleichbare Umwelt-, Sozial- und Governance-Informationen (ESG) von Unternehmen. Nur wer entsprechende ESG-Leistungsdaten hat, kann informierte Entscheidungen zur Förderung und Finanzierung von mehr Nachhaltigkeit treffen – egal ob politisch oder als Kapitalgeber.

Aus 80 Angaben werden zwölf, wenn überhaupt

Auf Sustainable-Finance-Diskussionsrunden und -podien war die derzeit mangelhafte ESG-Datenlage ein Dauerbrenner der letzten Jahre. Genau hier sollen die ESRS eigentlich ansetzen. Die von der Kommission mandatierte Expertengruppe Efrag hatte hierfür entsprechende Empfehlungen formuliert. Der ESRS-Entwurf der Kommission, den jeder bis zum 7. Juli kommentieren kann (Tagesspiegel Backgrund berichtete), sieht nun allerdings drei fundamentale Aufweichungen gegenüber dem jüngsten Efrag-Vorschlag vor:

1. Die Efrag hatte 80 verpflichtende Offenlegungsanforderungen vorgesehen. Diese wurde auf zwölf verpflichtende „General disclosures“ eingestampft.

2. Darüber hinaus sollen Unternehmen nur zu Themenbereichen berichten müssen, welche sie basierend auf einer individuellen Materialitätsanalyse als „wesentlich“ identifiziert haben. Selbst grundlegende Angaben zum Klimawandel und eigenen Mitarbeitern wären so aber nicht mehr per se verpflichtend.

3. Darüber hinaus sieht die Kommission weitere Ausnahmen vor: Etwa weiter verlängerte Einführungszeiten bei der Berichterstattung zu bestimmten Themen für bestimmte Unternehmen. Ein „full reporting“ aller unter die Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) fallenden Unternehmen ist erst für das Geschäftsjahr 2028 vorgesehen, also für Berichte, die 2029 erscheinen. Das ist für die EU-Umwelt- und Sozialziele und angesichts der globalen Nachhaltigkeitsagenda für 2030 sehr spät, um nicht zu sagen: viel zu spät.

Wesentlichkeitsanalyse wird zum Knackpunkt

In einer öffentlichen Online-Veranstaltung erklärten Kommissionsvertreter, die Änderungen müssten im Kontext eines schwierigen geopolitischen und ökonomischen Umfelds gesehen werden. Ziel sei es, zu verhindern, dass Unternehmen unnötige Kosten für die Berichterstattung nicht „wesentlicher“ Informationen entstünden. Guter Punkt. Aber gibt es wirklich ein Unternehmen, für das der globale Klimawandel nicht wesentlich ist? Warum hierfür erst eine aufwendige Analyse machen?

Der aktuelle Kommissionsentwurf stärkt massiv die Bedeutung der Wesentlichkeitsanalyse für die Quantität und Qualität unternehmerischer Nachhaltigkeitsinformationen. Die Kommission argumentiert, in der CSRD sei eine externe Prüfung der Berichterstattung festgeschriebenen. Dies schließe die Wesentlichkeitsanalyse ein. So sei sichergestellt, dass alle wesentlichen Daten berichtet würden.

Aber eine Wesentlichkeitsanalyse ist natürlich auch nicht kostenlos! Im Gegenteil. Zum Beispiel definiert die EU-Kommission Gender Pay Gap als Bezüge aller weiblichen Mitarbeiter geteilt durch die Bezüge aller Mitarbeiter. Diese Zahl sollte in den Personaldatensystem de facto vorliegen. Es erscheint darum absurd, zu argumentieren, dass eine kostspielige Wesentlichkeitsanalyse zu dieser Kennzahl weniger kosten würde, als wenn die Zahl einfach verpflichtend zu berichten wäre.

Besonders fragwürdig ist, dass die Kommission in ihrem Entwurf die Unternehmen sogar von der Pflicht befreit, zu begründen, warum sie ein bestimmtes Nachhaltigkeitsthema nicht als wesentlich erachten. Für die Wesentlichkeitsanalyse fordert der aktuelle ESRS-Entwurf (anders als derjenige der Efrag) nicht einmal methodische Mindeststandards, sondern lediglich eine Beschreibung der angewandten Methoden und Annahmen.

EU-Sustainable-Finance-Architektur auf wackeligem Fundament

Es ist zu befürchten, dass die ESG-Datenlage dauerhaft schlecht bleiben wird. Die weichen Vorgaben zur Wesentlichkeitsanalyse lassen Interpretationen und Spielräume zu, die absehbar dazu führen dürften, dass im Vergleich zum Efrag-Entwurf deutlich weniger Daten berichtet werden. Ob dann ein zentraler Datenhub, der just für solche Daten geplante European Single Access Point, dann noch sinnvoll ist, ist zu bezweifeln.

Absehbar ist: Die bleibenden Datenlücken müssen geschlossen werden! Sollte die EU-Kommission bei ihrer Version bleiben, werden vermutlich weiterhin viel Geld und Ressourcen in den bilateralen Austausch zwischen ESG-Agenturen, Unternehmen und Investoren fließen. Ein kostspieliges und ineffizientes Unterfangen.

Da der Bedarf an zu schätzenden Nachhaltigkeitsdaten weiter hoch bleiben wird, werden sich insbesondere die ESG-Datenanbieter und Rating-Agenturen freuen. Da deren geplante Regulierung jedoch primär auf Transparenz und weniger Interessenkonflikte abzielt und eine Vereinheitlichung von Methodiken explizit ausschließt, dürfte die Datenvergleichbarkeit weiterhin niedrig bleiben.

Mit all diesen Aufweichungen lässt die EU-Kommission ihre zentrale Zielgruppe, die Investoren, im Regen stehen! Sollten sie nicht das Geld für die Transformation liefern und zu einem nachhaltigen Finanzwesen beitragen? Selbst wer sich darum bemüht, wird ausgebremst, was die Sustainable-Finance-Regulierung widersprüchlich macht: Die abgespeckten ESRS würden Unternehmen nicht einmal mehr zur vollständigen Offenlegung aller jener Datenpunkte verpflichten, die Investoren brauchen, um ihre eigenen Offenlegungspflichten im Rahmen der SFDR zu erfüllen.

Die Vorschläge der Kommission mögen Unternehmen zwar kurzfristig bei ihrer Nachhaltigkeitsberichterstattung (jenseits des weiterhin verpflichtenden Reportings zu Taxonomie-Quoten) entlasten. Sollten sich diese jedoch durchsetzen, würde eine historische Chance auf besser informierte Investitionsentscheidungen im Sinne der Nachhaltigkeit verspielt.

Die mühsam aufgebaute EU-Sustainable-Finance-Architektur mit ihren komplexen Gebilden (von CSRD, Offenlegungsverordnung SFDR, Taxonomie über den Green Bond Standard GBS bis zur Regulierung von Finanzberatern, Mifid II, und Versicherern, IDD) stünde dann strukturell auf einem wackeligen Fundament. Das kann niemand ernsthaft wollen! Auch nicht die Unternehmen und deren Branchenvertreter.

Lernen Sie den Tagesspiegel Background kennen

Sie lesen einen kostenfreien Artikel vom Tagesspiegel Background. Testen Sie jetzt unser werktägliches Entscheider-Briefing und erhalten Sie exklusive und aktuelle Hintergrundinformationen für 30 Tage kostenfrei.

Jetzt kostenfrei testen
Sie sind bereits Background-Kunde? Hier einloggen