In Deutschland geht 2022 das letzte Kernkraftwerk vom Netz und der Kohleausstieg soll möglichst bis 2030 beschleunigt werden. Wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht, können künftig allein Gaskraftwerke einspringen und die Versorgung sicherstellen. In einer dekarbonisierten Welt werden diese Gasanlagen künftig mit grünen Energieträgern betrieben werden, zum Beispiel mit CO2-freiem, grünem Wasserstoff. Bis es aber so weit ist, braucht es Zwischenlösungen – auf der Basis von Gas. Wer also „Ja“ zur Energiewende sagt, muss auch „Ja“ zu Gaskraftwerken sagen.
Studien zeigen, dass Deutschland bis 2030 Gaskraftanlagen mit einer zusätzlichen Kapazität von insgesamt 20 bis 40 Gigawatt benötigt. Für den Bau dieser neuen Gaskraftwerke sind also zeitnah erhebliche Investitionen notwendig. Die Klassifizierung solcher Investitionen im Rahmen der EU-Taxonomie als nachhaltig ist entscheidend.
Der Kapitalmarkt bewertet Unternehmen zukünftig anhand der Taxonomie: Je höher der Anteil nachhaltiger Investitionen gemäß EU-Taxonomie, desto besser der Zugang zum Kapitalmarkt und desto besser die Finanzierungsbedingungen. Für viele Unternehmen werden deshalb künftig nicht-Taxonomie-konforme Investitionen nicht mehr in Frage kommen. Das gilt auch für RWE.
Kurzum: Die Berücksichtigung von Gaskraftwerken in der EU-Taxonomie hat massive, reale Auswirkungen auf unseren Sektor und den Erfolg der Energiewende.
Realismus und Ambitionen sind vereinbar
Die bisherigen Vorschläge der Europäischen Kommission und aktuell der französischen Regierung zur Klassifizierung von Gaskraftwerken als nachhaltig im Sinne der EU-Taxonomie sind aber unzureichend, denn die vorgeschlagenen CO2-Grenzwerte sind auch für modernste Neubauten nicht erreichbar. Es braucht realistischere Werte und zugleich klare Dekabonisierungsvorgaben für die Zukunft: Neu zu bauende Gaskraftwerke sollten im anstehenden Delegierten Rechtsakt der Europäischen Kommission zur EU-Taxonomie als nachhaltige Übergangsaktivität klassifiziert werden. Aber dafür müssen sie so gebaut werden, dass sie künftig vereinbar mit den Klimazielen betrieben werden können, zum Beispiel in dem sie später auf Wasserstoff umgestellt werden. Dieser wird vermutlich erst Mitte des nächsten Jahrzehnts in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen.
Der aktuell kursierende Kompromiss-Vorschlag aus Frankreich greift das zwar auf, aber auch hier sind die vorgeschlagenen Grenzwerte nicht ausreichend, um moderne Kraftwerksneubauten als nachhaltig zu klassifizieren. Insbesondere der zweite vorgeschlagene Grenzwert von 700 kg CO2/kW pro Jahr würde dazu führen, dass selbst modernste Gas-und-Dampfturbinenkraftwerk nur gut 2.000 Stunden und damit maximal drei Monate im Jahr laufen dürften. Das reicht nicht aus, um ausfallende Erneuerbaren-Kapazitäten in Zeiten der Dunkelflaute zu ersetzen.
Wenn also unsere Klimaschutzziele erreicht und Strom nicht rationiert werden soll, lautet unser Vorschlag, den Grenzwert für Gasneubauten auf 270 g CO2eq/kWh als Durchschnitt über die gesamte Lebensdauer des Kraftwerks mit Inbetriebnahmejahr 2027 anzuheben. Mit fortschreitendem Jahr der Inbetriebnahme von neuen Anlagen könnte der Grenzwert für diese dann optional um jährlich 20 g CO2eq/kWh reduziert werden.
Mit 14 Gigawatt installierter Leistung verfügt RWE über die zweitgrößte Gasflotte Europas. Ein klarer Dekarbonisierungspfad ist für uns Pflicht, denn unser Ziel lautet: klimaneutral bis 2040. Um unser Ziel der Klimaneutralität zu erreichen, investieren wir schon heute massiv in grüne und nachhaltige Technologien. Wir werden mit unserem Investitions- und Wachstumsprogramm „Growing Green“ bis 2030 rund 50 Milliarden Euro brutto in den Ausbau vor allem unserer grünen Erzeugungskapazität investieren – das sind 50 Milliarden Euro für den Klimaschutz.
Damit bauen wir unser Erneuerbaren-Portfolio massiv aus. Um allerdings auch Investitionsentscheidungen für flexible Kapazitäten, also neue Gaskraftwerke, treffen zu können, brauchen wir eine klare Anerkennung im Rahmen der EU-Taxonomie sowie Planungssicherheit. Und es braucht einen breiten Konsens in Deutschland und einen klaren Dekarbonisierungspfad, der zeigt, wie Gaskraftwerke zukünftig zum Beispiel auf Wasserstoff umgestellt werden können, wie sie „grün“ werden können. Ohne diese Planungssicherheit werden Investoren kein Geld in neue Gaskraftwerke stecken.
Es kommt daher jetzt darauf an, dass sich die Bundesregierung in Brüssel für die richtigen Weichenstellungen in der EU-Taxonomie einsetzt – um den notwendigen Zubau von Gaskraftwerken zu ermöglichen und so die Energiewende weiter voranzutreiben.