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Standpunkte Herausforderung EU-Taxonomie: Wo die Dax-40-Unternehmen stehen

Christina Bonhoff, Senior Expert bei der zur Mazars-Gruppe gehörenden Nachhaltigkeitsberatung Stakeholder Reporting
Christina Bonhoff, Senior Expert bei der zur Mazars-Gruppe gehörenden Nachhaltigkeitsberatung Stakeholder Reporting Foto: Mazars Stakeholder Reporting

Seit 2022 müssen die 40 größten börsennotierten Unternehmen Deutschlands (Dax-40) offenlegen, welche Umsätze sie mit „nachhaltigen“ Wirtschaftsaktivitäten laut der EU-Taxonomie-Verordnung erzielen und welche Investitions- sowie Betriebsausgaben in diese Aktivitäten fließen. Christina Bonhoff, Senior Expert bei der zur Mazars-Gruppe gehörenden Nachhaltigkeitsberatung Stakeholder Reporting und ihr Team blicken auf deren Taxonomie-Berichterstattung in ihrem Standpunkt-Gastbeitrag zurück.

von Christine Bonhoff

veröffentlicht am 07.03.2024

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Wirtschaftsaktivitäten gelten als „nachhaltig“ – das heißt taxonomiekonform –, wenn sie durch das Klassifikationssystem der EU-Taxonomie abgedeckt werden (also „taxonomiefähig“ sind) und wesentlich zum Erreichen von mindestens einem der sechs Umweltziele der EU beitragen. Gleichzeitig dürfen die Aktivitäten keines der Umweltziele erheblich beeinträchtigen und müssen soziale Mindeststandards erfüllen.

Kerngeschäft vieler Unternehmen nicht abgedeckt

Die EU-Taxonomie ist bisher noch nicht auf alle Sektoren anwendbar und deckt das Kerngeschäft vieler Dax-40-Unternehmen nicht oder nur teilweise ab. Daher weisen etwa ein Drittel der Dax-40-Nicht-Finanzunternehmen für das Berichtsjahr 2022 lediglich einen Anteil von weniger ein Prozent an taxonomiefähigen Umsätzen aus.

Der Grund: Die bisher anzuwendenden Taxonomie-Kriterien sind auf jene Branchen zugeschnitten, die knapp 80 Prozent der direkten Treibhausgasemissionen in Europa verursachen. Hierzu zählen insbesondere der Energie-, Transport- und Immobiliensektor. Branchen wie Pharma, Bio- und Medizintechnologie sowie der Handel sind bisher nicht explizit durch die EU-Taxonomie abgedeckt. Unternehmen dieser Sektoren können bislang nur Investitions- und Betriebsausgaben geltend machen, die mit der allgemeinen Unternehmensinfrastruktur wie Gebäuden oder dem Fuhrpark in Verbindung stehen. Auch die neuen Kriterien, die für das Berichtsjahr 2023 anzuwenden sind, können diese Lücke nur teilweise schließen.

Aktuell erfasst die Taxonomie also nur einen begrenzten Ausschnitt der Nachhaltigkeitsleistung von Unternehmen. Um die ESG-Performance von Unternehmen umfassend beurteilen zu können, sind die Taxonomie-Daten daher im Kontext weiterer ESG-Informationen zu betrachten.

Taxonomiekonform zu weniger als ein Prozent

Selbst für Dax-40-Unternehmen mit einem etablierten Nachhaltigkeitsmanagement sind die Kriterien zur Taxonomie-Konformität herausfordernd. So können zwei Drittel der Dax-40-Nicht-Finanzunternehmen für das Berichtsjahr 2022 nur taxonomiekonforme Umsätze von weniger als ein Prozent ausweisen. Etwa die Hälfte der untersuchten Unternehmen erklärt in ihrer Taxonomie-Berichterstattung, die Kriterien für das Umweltziel „Klimaschutz“ noch nicht vollständig zu erfüllen. Und das ist selbst bei einigen Unternehmen der Fall, die einen von der Science Based Targets Initiative (SBTi) validierten Weg zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen verfolgen, der mit den Zielen des Pariser Abkommens im Einklang steht.

Unternehmen zeigen Bereitschaft für nachhaltige Investitionen

Für das Geschäftsjahr 2022 berichten knapp 20 Prozent der untersuchten Dax-40-Unternehmen, mehr als 25 Prozent ihrer Investitionen taxonomiekonform einzusetzen. Besonders hoch sind diese Investitionsausgaben im Energiesektor, wo die Energiewende bereits in vollem Gange ist. Die Bemühungen der EU, Investitionen in „nachhaltige“ Wirtschaftsaktivitäten zu lenken, zeigen also offenbar erste Wirkung, wobei die EU-Taxonomie nur ein Treiber der nachhaltigen Transformation ist.

Mehr als ein Viertel der Dax-40-Unternehmen, die zu ihrer Taxonomie-Konformität berichten, hat einen Investitionsplan definiert – auch Capex-Plan genannt. Mit ihm verpflichten sich die Unternehmen dazu, innerhalb eines festgelegten Zeitraums in den Auf- beziehungsweise Ausbau von Geschäftstätigkeiten zu investieren, die den Taxonomie-Anforderungen entsprechen. Auch hier gilt: Sektoren, die von der EU-Taxonomie abgedeckt sind und sich in Phase einer nachhaltigen Transformation befinden, liegen bei den Investitionsplänen vorn. Wie groß die Transformationswirkung der EU-Taxonomie sektorübergreifend ausfällt, wird sich in den kommenden Jahren zeigen.

Unternehmen müssen IT-Systeme und Prozesse anpassen

Um die stetig wachsenden Aufwände der Taxonomie-Datenerhebung zu reduzieren und die Datenqualität zu steigern, müssen viele Dax-40-Unternehmen Anpassungen an ihren Prozessen und IT-Systemen vornehmen. Denn häufig sind deren interne Planungssysteme (ERP) noch nicht auf die Erhebung der Taxonomie-Schlüsselkennzahlen (KPIs) vorbereitet. Einer der Gründe hierfür: Die taxonomiefähigen und -konformen Aktivitäten sind im System nicht als Kostenstellen hinterlegt und können nicht automatisch als taxonomierelevant gekennzeichnet werden. So wendet rund ein Drittel der untersuchten Unternehmen nach eigenen Angaben bei der Zuordnung von Investitionsausgaben zu taxonomiefähigen beziehungsweise -konformen Wirtschaftsaktivitäten Verteilungsschlüssel an. Bei den Betriebsausgaben ist es sogar fast die Hälfte der Unternehmen.

Die bislang vornehmlich auf Finanzströme ausgerichteten ERP-Systeme umzustellen und neu zu strukturieren, ist allerdings nicht einfach: Denn die EU-Taxonomie-Anforderungen sind nicht statisch, sondern entwickeln sich stetig weiter. Diese Dynamik bezeichnen 30 Prozent der Dax-40-Unternehmen in ihrer Berichterstattung als ein Hindernis bei der Anwendung der EU-Taxonomie.

Aus unserer Analyse lässt sich insgesamt schließen: Die EU-Taxonomie ist als Instrument gedacht, um Investitionen in nachhaltige Geschäftstätigkeiten zu fördern. Ob dies gelingt, hängt maßgeblich vom Zuschnitt der EU-Taxonomie ab. Damit diese ihre Transformationswirkung entfalten kann, ist aus unserer Sicht zweierlei wichtig: Zum einen die Anschlussfähigkeit der taxonomiefähigen Wirtschaftsaktivitäten an die Geschäftsmodelle der Unternehmen; zum anderen die Entwicklung von Kriterien für die Taxonomie-Konformität, die auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse die zentralen Hebel für eine nachhaltige Transformation definieren, ohne sich in unwesentlichen Details zu verlieren.

Die stetige Weiterentwicklung der EU-Taxonomie bietet die Chance, aus der Anwendungspraxis zu lernen und die Erkenntnisse bei künftigen Anpassungen des Klassifikationssystems zu berücksichtigen.

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