„Daten retten Leben“ lautet eine viel genutzte Binse. Denn durch die gezielte Nutzung digitalisierter Gesundheitsdaten kann die Qualität der Behandlung gesteigert werden. Weniger bekannt ist: Daten können auch Krankenhäuser retten, indem ihre kluge Nutzung Personalressourcen schont und Effizienzreserven hebt. Oft wird beklagt, dass der Datenschutz dies behindere, wenn nicht gar unmöglich mache. Ich bin dezidiert anderer Auffassung. Schon heute geht vieles, wir müssen es nur anpacken.
Zuallererst: Wer sollte im Mittelpunkt der Gesundheitsversorgung stehen? Nicht die Krankenhäuser, Krankenkassen, Ärzt:innen, Pflegekräfte oder Unternehmen der Gesundheitswirtschaft, sondern: die Patient*innen. Und denen gehören zunächst einmal ihre persönlichen Gesundheitsdaten.
Datenschutzkonforme, gute Gesundheitsversorgung
Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung kann nicht gegen das Recht auf Gesundheitsversorgung ausgespielt werden. Das ist auch gar nicht nötig, denn hier wird ein Gegensatz konstruiert. Aber die Konstruktion hält bei näherem Hinsehen der Realität nicht stand.
Zunächst einmal müssen die Kliniken ihre eigenen Daten konsequent digitalisieren und nutzen. Das ist datenschutzkonform schon heute ohne weiteres möglich. Wir folgen dabei der, nicht mehr so neuen Erkenntnis von Michael Porter, einem der bekanntesten Verfechter der Value Based Healthcare: „Good quality is less costly“. Gute Behandlungsqualität kostet weniger. Denn präzisere Diagnosen, weniger Fehlbehandlungen, niedrigere Komplikationsraten und schnellere Entlassungen kosten weniger Geld. Kostensenkung ist dabei nicht das Hauptziel, aber eine regelmäßig zu beobachtende Folge.
Interner Datenpool verbessert Behandlung
Die Nutzung digitalisierter Daten ist der Schlüssel dazu. Vivantes hat inzwischen in seinen neun Krankenhäusern in Berlin die Datenerfassung seiner rund 500.000 Patienten pro Jahr konsequent digitalisiert: Ärztinnen und Pflege dokumentieren alle Diagnosen und Therapien in einer digitalen Patientenkurve. Auch die Daten aus der Erstbehandlung von Notfallpatienten, die der Rettungsdienst zu uns bringt, können inzwischen ohne Medienbruch aus dem Rettungswagen in unser Krankenhausinformationssystem (KIS) überspielt werden. So sparen wir Zeit, vermeiden Fehler, entlasten unser knappes Personal und verbessern die Behandlungsqualität.
Auf diesem internen Datenpool setzen nun mehr und mehr von Künstlicher Intelligenz (KI) gestützte Programme auf, die unser medizinisches und pflegerisches Personal bei Entscheidungen unterstützen und in der täglichen Arbeit entlasten. Wir setzen KI bereits in der Bilderkennung der Radiologie und demnächst auch in der Pathologie ein. Mit Patientendaten trainierte Algorithmen warnen frühzeitig vor einer erhöhten Gefahr für typische Krankenhauskomplikationen wie Delir (akute Verwirrtheit), Sepsis (Blutvergiftung) und akutes Nierenversagen. Sie unterstützen mit ihren Prognosen das Klinikpersonal und Patient:innen können davon unmittelbar profitieren.
Patient:innen in die Entscheidung einbeziehen
Wie sieht es nun aus, wenn die Patient:innendaten von einer Klinik in die andere wandern sollen, weil der Patient verlegt werden muss? Dafür haben Vivantes und die Charité Universitätsmedizin, die gemeinsam rund die Hälfte der Berliner Krankenhausbetten betreiben, eine interoperable Datenplattform entwickelt. Diese ermöglicht den Datenaustausch auch zwischen unterschiedlichen KIS. Weitere Krankenhausträger wollen sich anschließen, sodass wir mit dieser Datenplattform künftig fast 90 Prozent der Berliner Krankenhausbetten abdecken können. Hierzu müssen die Patienten in die Weitergabe ihrer Daten einwilligen. Die bisherige Erfahrung zeigt: Wenn Patient:innen der Nutzen erklärt wird, lehnen die wenigsten ab.
Vivantes ist inzwischen einen weiteren, konsequenten Schritt gegangen und hat ein eigenes, klinisches Datenzentrum eingerichtet. Wir arbeiten als Partner der Charité bereits seit drei Jahren am kardiologischen Großprojekt (CAEHR CArdiovascular Diseases – Enhancing Healthcare through cross-Sectoral Routine data integration) mit. Hier geht es um eine bessere regionale Versorgung von Herz-Kreislauf-Erkrankten durch Verknüpfung der Daten aus Notfallversorgung, stationärer Versorgung, Rehabilitation und Nachsorge. Weitere Kooperationen bauen wir gerade auf.
Behandlungen sind besser planbar
Auch intern konnten Daten die Abläufe in den Vivantes Klinika bereits konkret verbessern, beispielsweise bei einem Projekt zum Belegungsmanagement. Auf Basis bereits vorhandener Patient:innendaten kann ein Algorithmus die täglich zu erwartenden Notfälle und zu planenden elektiven Patientenaufnahmen voraussagen. Das entlastet nicht nur die Rettungsstellen, weil die stationäre Aufnahme von Notfallpatient:innen erleichtert wird, sondern verbessert auch die Planung von Behandlungen.
Diese Beispiele zeigen, dass die Möglichkeiten für eine datenschutzkonforme Nutzung von Patientendaten schon heute riesig und noch lange nicht ausgeschöpft sind. Die Europäische Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) privilegiert die Nutzung personenbezogener Daten für die Forschung ausdrücklich. Dem folgt auch das gerade in Kraft getretene Gesundheitsdatennutzungsgesetz. Mit der elektronischen Patientenakte und dem Europäischen Datenraum werden sich diese Perspektiven erweitern.
Bevor wir also unter der Rubrik „Datenschutz behindert Fortschritt“ eine Grundsatzdebatte aufmachen, die nur Ängste weckt und eine gesellschaftspolitische Blockade verfestigt, sollten wir zunächst einmal die vorhandenen Möglichkeiten nutzen.
Johannes Danckert ist Vorsitzender der Geschäftsführung und Geschäftsführung Klinikmanagement bei Vivantes.