In der Krise sind sich von der Kanzlerin bis zur EU-Kommissionschefin alle einig: „Wir merken jetzt, dass die Gesundheit genauso ein öffentliches Gut ist wie ein verträgliches Klima“. Covid-19 hat nicht nur für Ursula von der Leyen gezeigt: Der „Green Deal“ braucht eine weiße Komponente. Weiß als Farbe der Medizin. In der Coronakrise wurden aus der Politik immer wieder Forderungen nach weniger Abhängigkeit im Gesundheitssektor von einzelnen Konzernen und Ländern laut. Kein Wunder: Geht es doch im Wettbewerb um einen Impfstoff gegen das Virus um Leben und Tod und um unsere Freiheit.
Gesundheit ist schon viel zu lange ein „closed shop“ für professionelle Investoren und wenige Länder, den es aufzubrechen gilt. Deutschlands Arzneimittelhersteller sind von Importen aus Indien und China abhängig. Denn bislang galt: Es geht immer noch billiger! Bis es zu ersten Engpässen von Vitaminpräparaten und Kopfschmerzmitteln und sogar lebenswichtigen Arzneien kam.
Wir brauchen die Globalisierung
Spätestens als Schutzmasken gebraucht wurden, zahlten Krankenhäuser und Patienten einen hohen Preis. „America First“ sollte nicht nur beim Impfstoff gelten, sondern auch beim Mundschutz. Es ist ein Fall im Thriller: Eine für die Berliner Polizei bestimmte Lieferung von 200.000 Schutzmasken von der US-Firma 3M war auf dem Flughafen der thailändischen Hauptstadt Bangkok plötzlich verschwunden. Die Lieferung sei nach einer US-Direktive storniert und das Frachtflugzeug in die USA umgeleitet worden, da war der Berliner Senat ziemlich baff. Innensenator Andreas Geisel warf den Amerikanern einen „Akt moderner Piraterie“ vor.
Um eines klarzustellen: Wir brauchen die Globalisierung. Ein Roll-Back zum Nationalismus ist keine Lösung – auch nicht für die Gesundheitsbranche. Doch wenn wir insbesondere Arzneimittel und Medizinprodukte immer weiter weg von zuhause produzieren lassen, weil sie dann immer billiger werden, schafft das Abhängigkeiten, die im Ernstfall existenzieller sind als längere Transportwege für neue Modekollektionen oder Plastik-Weihnachtsmänner, die mit dem Tanker aus Asien später ankommen.
Gesundheit als Herausforderung der Zukunft
Das Coronavirus hat uns vor Augen geführt: Gesundheit macht nicht an Ländergrenzen halt. Wenn heute Wuhan niest, niest morgen Gangelt. Wenn wir eine Lehre daraus ziehen sollten, dann diese: Es ist Zeit für einen neuen Blick auf den Wert unserer Gesundheit. Denn in der Solidargemeinschaft der vergangenen Wochen wurde klar: Wir sitzen alle im selben Boot, hoffen auf dieselben Masken, Medikamente und Impfstoffe. Deshalb sollte sich auch die Finanzierung von Innovationen im Gesundheitsbereich auf mehrere Standbeine verteilen und nicht nur in privaten, gewinnorientierten Händen liegen.
Noch etwas ist für unsere „Post-Corona“-Gesundheit wichtig: Wer heute auf dem Balkon steht und klatscht, sollte sich morgen dafür engagieren, dass Krankenschwestern und Pfleger tatsächlich mehr verdienen als einen Applaus. Wer die Digitalisierung und den Klimawandel für die Herausforderungen der Zukunft hält, sollte ab sofort ergänzen: Unsere Gesundheit gehört ganz gewiss auch dazu. Mit mehr Innovationen und weniger Abhängigkeiten durch kleinere und öffentliche Strukturen. Wir dürfen unsere Gesundheit nicht Einzelnen überlassen und deren Kosten-Nutzen-Rechnung. Krankheiten dürfen nicht zu Geschäftsmodellen werden, bei denen es irgendwann heißt: „Ihre Wiederherstellung und Genesung lohnt sich leider nicht.“ Es war der grüne Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer, der uns einen Vorgeschmack auf das gegeben hat, was sich zum Glück die meisten nicht zu fragen trauen: Bis zu welchem Punkt lohnt es sich, Leben zu retten?
Wir brauchen einen „White Deal“
Offen gesagt: Ich befürchte, dass sich nach der Krise nicht viel ändern wird. Bislang lag es immer daran, dass Gesundheit für viele nicht greifbar ist, bis sie persönlich betroffen sind. Doch hat uns dieses Coronavirus nicht etwas anderes gelehrt? Selbstverständlich ist die Bekämpfung des Klimawandels weiterhin richtig und wichtig, doch krank werden können wir bereits, bevor die Eisscholle für den Eisbären weggetaut ist. Wir müssen aber gar nicht in den ausgrenzenden Kampf mit dem Eisbären gehen, denn wir sollten beides beherrschen: den „Green Deal“ und den „White Deal“.
Lasst uns unsere Gesundheit in die Hände vieler legen, zum Beispiel durch Investitionen in junge Start-ups, die an Impfstoffen arbeiten, an Selbsttests oder an Methoden der Telemedizin. Dort steckt eine ganze Menge „Purpose“ drin, würde man heute in der Wirtschaft sagen. Mehr als in jedem anderen Business-Modell. Crowdinvesting ist ein Ansatz, der unsere Gesundheit wieder zu einem öffentlichen Gut machen soll, das in der Verantwortung der Gesellschaft liegt. Billiger wird Gesundheit gewiss nicht werden, wenn wir uns aus dem Wettrennen um den günstigsten Produktionsstandort verabschieden. Doch die Coronakrise hat uns alternativlos aufgezeigt, wie kostbar unser Leben und unsere Freiheit doch sind. Lasst uns dieses neue Bewusstsein pflegen und daraus die richtige Lehre ziehen!
Dr. Patrick Pfeffer ist Gründer und Geschäftsführer der Crowdfunding-Plattform „aescuvest“, die als erste europäische Plattform auf den Gesundheits- und Life-Sciences-Sektor spezialisiert ist. Um Start-ups bei der Forschung und Entwicklung von Produkten und Lösungen zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie finanziell zu unterstützen, hat Pfeffer gemeinsam mit den wichtigsten deutschen Crowdfunding-Plattformen das Bündnis #CrowdBeatsCorona ins Leben gerufen.