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Gesundheit & E-Health

Standpunkte Mit Start-ups gegen die Pflegekrise

Eckhardt Weber, General Partner von Heal Capital
Eckhardt Weber, General Partner von Heal Capital Foto: privat

Können digitale Innovationen den Pflegenotstand beheben helfen? Ja, meint Eckhardt Weber von Heal Capital. Vor allem für den ambulanten Sektor seien in den vergangenen Jahren vielversprechende Lösungen entwickelt worden. Sie hätten das Potenzial, die Pflege deutlich effizienter und weniger bürokratisch zu gestalten.

von Eckhardt Weber

veröffentlicht am 20.09.2021

aktualisiert am 14.02.2023

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Die Pflege in Deutschland ist in mehrfacher Hinsicht eine große Herausforderung. Aufgrund der demografischen Struktur nimmt der Bedarf unweigerlich zu. Im selben Ausmaß ziehen auch die Kosten an. Beides führt dazu, dass jede Pflegekraft für mehr und mehr Pflegebedürftige zuständig ist. Stress und Überforderung sind die Folge. Nicht wenige Pfleger:innen geben deshalb diesen ohnehin schon anspruchsvollen Beruf auf.

Auch wenn von vielen Seiten ein höherer Lohn für Pflegekräfte gefordert wird, lässt sich das Problem nicht allein dadurch lösen. Auch das Arbeitsumfeld sowie die körperliche und mentale Belastung müssen bei Lösungskonzepten adressiert werden. Das gilt insbesondere für das Thema Anerkennung und Wertschätzung. Start-ups mit ihren vor allem digitalen Lösungen können das Problem sicher nicht allein lösen, allerdings einen wichtigen Beitrag dabei leisten.

Eine neue Generation macht sich auf

In der Vergangenheit haben sich bereits einige junge Unternehmen auf das Terrain Pflege gewagt. Die anfangs großen Ambitionen konnten meist mit der Realität jedoch nicht mithalten. Hauptgründe hierfür waren die schlechte digitale Infrastruktur in der Pflege, zum Beispiel von Pflegeheimen, die manchmal nicht einmal WLAN besitzen. Außerdem wurden die konkreten Probleme der Beteiligten, seien es Pfleger:innen, Patient:innen oder Familienangehörige noch nicht genau genug adressiert.

Mittlerweile hat eine neue Generation an Pflege-Start-ups aus diesen Fehlern gelernt. Vor allem in den letzten Jahren sind zahlreiche neue Lösungen für die Pflege entwickelt worden. Dabei muss man allerdings zwischen der stationären und der ambulanten Pflege trennen. Bei letzterer noch einmal zwischen Pflege durch Fachkräfte oder durch Angehörige. Oft sind es Familien und Freunde, die die Pflege im ersten Schritt übernehmen. Sind diese überfordert, werden professionelle Pflegedienste in Anspruch genommen. Geht es auch hier nicht mehr weiter, ist das Pflegeheim die letzte Station. In Deutschland werden von 4,1 Millionen Pflegebedürftigen 56 Prozent zu Hause größtenteils durch Angehörige gepflegt, 24 Prozent durch ambulante Pflegedienste und 20 Prozent vollstationär in Heimen.

Selbstorganisierte Pflegeteams

Die meisten Start-ups konzentrieren sich derzeit vor allem auf die ambulante Pflege. Für Angehörige stehen vor allem Erleichterungen im Bereich Bürokratie und Organisation im Fokus. Dieser Aufwand wird in der öffentlichen Wahrnehmung oft unterschätzt, führt aber häufig schon zu Frustration. So hilft ucura dabei, den komplizierten Erstantrag auf Pflege in nur 20 Minuten auszufüllen. In Zukunft sollen mehr Funktionen, etwa die Bestellung von Materialien, folgen. Eine ähnliche Richtung schlägt nui care ein. Diese Lösung wird sogar bereits von der Allianz-Krankenversicherung angeboten. Patronus konzentriert sich im ersten Schritt auf den Notfall und ersetzt Notrufknöpfe durch Smartwatches. Daneben entstehen gerade auch einige DIPA’s, also Digitale Pflegeanwendungen, die sich eher auf eine jüngere Zielgruppe konzentrieren.

Auch im Bereich Pflegedienste passiert viel. Hier tun sich vor allem Start-ups aus dem angelsächsischen Raum hervor. Die Ansätze konzentrieren auf der einen Seite, wie schon bei den Angehörigen, auf eine verbesserte Organisation. Ein Beispiel ist hier das britische Unternehmen Birdie, das eine Software zur Teamorganisation und Wissensmanagement speziell für die Pflege entwickelt hat.

Auf der anderen Seite gibt es Start-ups, die selbst Pflege-Dienstleistungen anbieten. Ein gutes Beispiel aus Deutschland ist Kenbi. Das junge Unternehmen beschäftigt selbst Pflegekräfte, die sich jedoch mittels des aus den Niederlanden stammenden Buutzorg-Ansatz eigenständig organisieren. Dadurch gewinnt das Pflegepersonal stark an Autonomie, während die Bürokratie minimiert wird. Dieser Ansatz ist nicht nur effizient, sondern motiviert auch wieder mehr Menschen, in der Pflege zu arbeiten – und könnte so einen Teil dazu beitragen, die konstante Personalnot zu lindern.

Vor allem ambulante Pflege im Fokus

Die Situation in der Pflege können Start-ups natürlich nicht von heute auf morgen und schon gar nicht allein lösen. Allerdings sind in den vergangenen Jahren Lösungen entstanden, die das Potenzial haben, die Pflege deutlich effizienter und weniger bürokratisch zu gestalten. Dabei steht vor allem die ambulante Pflege im Fokus. Das wird auch in näherer Zukunft erst einmal so bleiben. Hier werden immer mehr digital-native-Plattformen entstehen, die sich letztlich zu one-stop-shops für alle Belange der Pflege entwickeln.

Das Level der Digitalisierung mag dabei anfangs eher partiell und gering erscheinen. Die Summe an Verbesserungen durch diese Lösungen wird jedoch einen nachhaltig positiven Einfluss die Situation der Pflege in Deutschland haben.

Eckhardt Weber ist General Partner von Europas einzigem reinen HealthTech VC Heal Capital. Die Berliner Venture Capital-Gesellschaft wirbt Gelder ein und investiert sie in Start-ups, deren Technologien Innovationen für die Gesundheitsversorgung vorantreiben.

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