Die Gesundheitsversorgung wird mit einem „Weiter-so“ nicht funktionieren. In zentralen Bereichen hat unser Gesundheitssystem bereits den kritischen Punkt überschritten: Finanzierungsdruck, Fachkräftemangel, Regelungsdichte und regionale Versorgungsunterschiede. Diese Überlastung und Übernutzung des Systems und schadet im Endeffekt allen, insbesondere den Patient:innen.
Ein solidarisches, leistungsfähiges und nachhaltig finanziertes Gesundheitssystem ist jedoch ein zentraler Bestandteil unseres Gesellschafts- und Generationenvertrags, für den die Politik sowie alle Akteure im Gesundheitswesen gemeinsam Verantwortung tragen. Ein solches System muss nicht nur den Patient:innen dienen, sondern auch ein attraktives Arbeitsumfeld und einen verlässlichen Wirtschaftsrahmen bieten.
Kleinteilige Anpassungen genügen nicht – es bedarf einer Neuausrichtung, die gleichzeitig im laufenden Betrieb umsetzbar ist. Ein Schlüssel ist dabei das Aufbrechen überbordender Regulierungen und eine Abkehr von kontrollwirtschaftlichem Denken und schablonenhaften Regelungen. Ein zweiter Schlüssel sind klare Rahmenbedingungen und Instrumente, die die Richtung vorgeben und Kooperation, Koordination und Patientenzentrierung als Gestaltungsprinzipien etablieren. Die kommende Legislaturperiode bietet die Chance, Lösungen umzusetzen, die darüber hinaus Bestand haben.
Digitale Transformation nutzen und beschleunigen
Die Digitalisierung bietet große Chancen, Prozesse zu optimieren, die Patientenerfahrung zu verbessern und Ressourcen zu schonen. Eine moderne Telematikinfrastruktur (TI) bildet die Grundlage für ein digitales Ökosystem, das alle Akteure vernetzt, Therapien personalisiert und Patient:innen aktiv einbindet. Um dies zu erreichen, braucht es klare Standards, Interoperabilität und europäische Anbindung.
Gesundheitsdaten sind wertvolle Ressourcen. Sie müssen sicher, transparent und nutzbringend eingesetzt werden – mit Fokus auf Datennutzung statt reiner Datenschutzregulierung. Patient:innen sollten jederzeit Zugriff auf ihre Daten haben und nachvollziehen können, wie diese genutzt werden. Gleichzeitig muss die digitale Versorgung rechtlich gleichgestellt werden, um innovative Modelle flächendeckend zu etablieren.
Digitale Lösungen wie patientenzentrierte Navigation und symptomgestützte Triage verbessern den Zugang und entlasten das System. Digitale Gesundheitskompetenz für Bevölkerung und Fachkräfte ist ebenso wichtig wie politische Leadership, um erfolgreiche Ansätze anderer Länder zu übernehmen.
Schwerpunkt Gesunderhaltung setzen
Gesundheitsförderung und Prävention müssen systematisch gestärkt werden, um das System zu entlasten. Maßnahmen wie Screenings, Impfungen und aufsuchende Hausbesuche sollten zielgruppenspezifisch und über alle Lebensphasen hinweg angeboten werden. Besonders vulnerable Gruppen müssen dabei stärker berücksichtigt werden.
Eine nationale Initiative zur Gesundheitskompetenz kann Eigenverantwortung fördern und Prävention in Schulen, Betrieben und Kommunen verankern. Public Health-Maßnahmen, etwa Zuckersteuer, strengere Alkoholwerbung oder Tabakkontrolle, müssen umgesetzt werden.
Bedarfs- und nutzenorientierte Versorgung
Ein zukunftsfähiges Gesundheitssystem richtet sich konsequent an den Bedarfen der Bevölkerung und dem erzielbaren Nutzen aus. Value-Based Care muss die Mengenorientierung ablösen und qualitative, erfolgsabhängige Vergütungssysteme etablieren. Patient-Reported Outcome Measures (PROMs) sollten als Standards in der Versorgung etabliert werden.
Eine vernetzte Versorgung über Sektorengrenzen hinweg schließt Versorgungslücken und verbessert die Effizienz. Komplexe Eingriffe sollten regional konzentriert und bedarfsgerecht geplant werden. Ein ausgebautes Innovationssystem muss neue Versorgungsmodelle schnell in die Regelversorgung überführen. Vorausschauende Bedarfsplanung durch regionale Analysen sorgt für gezielte Investitionen.
Neue Instrumente der Versorgungssteuerung und -koordination
Primär- und Grundversorgung müssen als System organisiert werden, mit einer „digitalen Eintrittstür“ als 24/7-Anlaufstelle. Primärversorgungszentren bieten koordinierte, multiprofessionelle Versorgung und fungieren als zentrale Anlaufstellen für Akut-, Präventions- und Rehabilitationsleistungen.
Regionale Versorgungsnetze brauchen gesetzliche Freiräume und alternative Vergütungsmodelle, um sektorenübergreifende Zusammenarbeit zu fördern. Care- und Case-Management sowie Patientenlotsen müssen als Regelversorgung etabliert werden. Disease Management Programme (DMPs) sollten ausgebaut, digital unterstützt und verbindlich integriert werden.
Neue Formen der Zusammenarbeit
Interprofessionelle Zusammenarbeit ist der Schlüssel zu einer effektiveren Versorgung. Pflegekräfte, Therapeut:innen und andere Gesundheitsfachberufe benötigen erweiterte Kompetenzen, um eigenständige Aufgaben übernehmen zu können. Ein „Continuum of Care“ verbindet präventive, kurative und rehabilitative Maßnahmen und verbessert so die Versorgungsqualität, besonders bei chronischen Erkrankungen. Die Anerkennung der Pflege als selbstverwaltete Berufsgruppe steigert die Attraktivität des Pflegeberufs und fördert innovative Versorgungsmodelle. Interprofessionelles Lernen, verpflichtend in der Ausbildung, bereitet Gesundheitsfachberufe auf die moderne, patientenzentrierte Versorgung vor.
Das Impulspapier zur Bundestagswahl 2025 des Bundesverbands Managed Care finden Sie in voller Länge auf der BMC-Website.
Professor Dr. Lutz Hager ist Vorstandsvorsitzender des Bundesverbands Managed Care e.V.