Ein „cooles T-Shirt“ mit Glitzer, das im Dunkeln auch noch leuchtet – welches Kind hätte das nicht gern? Und „gratis“! Einfach ein Aktionspaket von Kinderüberraschung kaufen und mit dem Aktionscode das Shirt bestellen. Und natürlich die Schokolade aufessen. Unglaublich, aber wahr: Kinder derart zum Konsum von Süßigkeiten zu animieren, ist in Deutschland legal. Die Folgen tragen die Kinder, ihre Eltern und wir alle über das Solidarsystem. Denn was der Hersteller nicht sagt: Ebenfalls gratis zum Aktionspaket gibt es, je nachdem wie oft das Kind auf solche Werbung hereinfällt, Übergewicht, Adipositas und vielleicht auch als böse Überraschung Diabetes Typ 2, im Kindesalter. Voll cool!
8,7 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland (zwischen drei und 17 Jahren) sind übergewichtig. 6,3 Prozent sogar adipös. Kinder aus armen Familien sind dabei vier Mal so oft betroffen wie Kinder aus wohlhabenden. Es ist auch eine soziale Katastrophe. Denn wer als Kind schon stark übergewichtig ist, bleibt es meist auch als Erwachsener, hat von Anfang an schlechtere Chancen auch im Bildungsbereich. Damit dürfen wir uns nicht abfinden. Wir müssen das stoppen – indem wir diese hoch verletzliche Gruppe schützen vor den heute noch allgegenwärtigen Anreizen, sich falsch zu ernähren.
Es ist doch paradox: Auf der einen Seite versuchen wir Kindern in aufwändigen Programmen etwa in Schulen beizubringen, wie man sich gesund ernährt. Auf der anderen Seite lassen wir zu, dass sie den Rest des Tages mit dem Gegenteil beschallt werden beziehungsweise entsprechende Botschaften in Fernsehen, Internet oder direkt im Supermarkt lesen: „Iss Süßes! Iss Burger! Dann hast du Spaß und bist cool!“
Werbung steigert direkt die Kalorienaufnahme
Die Hersteller winden sich: Es gehe doch nur darum, den ohnehin stattfindenden Konsum auf das eigene Produkt zu lenken. Doch wissenschaftliche Studien zeigen: Werbung triggert direkt den Appetit auf Süßigkeiten bei Kindern. Sie essen dann mehr Kalorien als ohne Werbeeinwirkung. Ironischerweise sogar unabhängig von der beworbenen Marke – die Süßigkeit an sich ist der Auslöser. Mitunter wirkt Werbung sogar stärker als ein gutes Vorbild der Eltern: Kinder, die im Alltag Werbung für McDonalds’s sahen, gingen dadurch doppelt so oft zu McDonald’s, wenn ihre Eltern dies selten taten.
An Kinder gerichtete Werbung für ungesunde Produkte ist daher kein Kavaliersdelikt, sondern eine Gefährdung der kindlichen Gesundheit. Immer mehr Länder haben das erkannt und solche Werbung ganz verboten oder stark eingeschränkt. Auch die WHO empfiehlt das und hat extra ein Nährwertprofil entwickelt, mit Hilfe dessen empfehlenswerte und weniger empfehlenswerte Produkte für Kinder definiert werden können. Auch in Deutschland forderte die Konferenz der Verbraucherschutzminister bereits 2018 die Prüfung „rechtlicher Maßnahmen” gegen Kinderwerbung für Dickmacher. Man sehe „dringenden Handlungsbedarf”. Worauf wartet die Politik also noch? Adipositas und Diabetes, das sei hier nur kurz erwähnt, sind auch Risikofaktoren für einen tödlichen Verlauf von Covid-19.
Nein, es geht nicht um ein Verbot von Süßigkeiten oder Burger, auch wenn das die Produzenten dieser Produkte gern suggerieren, um wirksame Maßnahmen zu diskreditieren und zu verhindern. Man kann das essen. Aber eben nur ab und zu, wenn man gesund bleiben will. Das ist für viele schwer genug. Das letzte, was Kinder und Eltern da brauchen, sind irgendwelche Anreize im Alltag, die den Appetit darauf noch steigern.
Ungesundem zu widerstehen, ist für Kinder schwer genug
Deshalb braucht es ein klares Verbot von an Kinder gerichtetes Marketing für ungesunde Produkte. Schützen wir Kinder vor diesen Einflüssen, die es ihnen schwermachen, normalgewichtig zu bleiben. Entlasten wir Eltern von dem Gequengel, wenn Junior dieses Schokoladen-Aktionspaket im Supermarkt nun wegen des T-Shirts unbedingt haben will. Niemand außer Herstellern und Werbewirtschaft wird Kinderwerbung für ungesunde Lebensmittel vermissen.
Aber eine einzelne Maßnahme kann doch das Problem nicht lösen, argumentiert die Lebensmittellobby gern (um zu erreichen, dass gar keine Maßnahme eingeführt wird). Da hat sie Recht: Ein Werbeverbot allein reicht nicht, es braucht ein ganzes Bündel von Maßnahmen. Dazu gehört auch eine Abgabe auf besonders ungesunde Produkte, ein verpflichtender Nutri-Score und mehr Bewegung in Schule und Kita – verpflichtend mindestens eine Stunde pro Tag.
Gemeinsam sind diese Maßnahmen geeignet, Übergewicht bei Kindern (und Erwachsenen) zu stoppen. Die Politik muss sie nur umsetzen, und sich dabei nicht beirren lassen. Kinderwerbung wäre weiter möglich – aber eben nur für Produkte, die bei höherem Konsum nicht die kindliche Gesundheit gefährden. Das sollte eigentlich keine Forderung sein, sondern eine Selbstverständlichkeit.
Barbara Bitzer ist Geschäftsführerin der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) und Sprecherin der Deutschen Allianz Nichtübertragbare Krankheiten DANK.