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Standpunkte Kostenbasierte Preisbildung: Eine irreführende Debatte

Ulrike Götting ist vfa-Geschäftsführerin Markt und Erstattung
Ulrike Götting ist vfa-Geschäftsführerin Markt und Erstattung Foto: vfa

In Japan gilt der kostengestützte Preisbildungsansatz als umstritten, trotzdem wird hierzulande darüber diskutiert. Die vfa-Geschäftsführerin für Markt und Erstattung, Ulrike Götting, hält stattdessen „pay-for-performance“-Modelle für ein probates Mittel, um die Finanzierungsrisiken bei begründet limitierter Evidenz oder bei hohen Einmalkosten partnerschaftlich zu tragen.

von Ulrike Götting

veröffentlicht am 15.01.2025

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Die Arzneimittelpreisregulierung muss allerorten eine Balance zwischen einer sicheren, hochwertigen Patientenversorgung, den unmittelbaren Finanzierungsauswirkungen und nachhaltigen Innovations- und Investitionsanreizen finden. Mit dem „AMNOG-Verfahren“ wurde in Deutschland 2011 ein Mechanismus etabliert, der diese Ziele grundsätzlich austariert. Das Verfahren folgt dem Prinzip der wertbasierten Preisbildung: Zunächst wird der Zusatznutzen neuer Arzneimittel festgestellt, dann wird auf dieser Basis zwischen Pharmaunternehmen und GKV-Spitzenverband ein angemessener Preis verhandelt. International findet dieses System große Anerkennung.

Das AMNOG-Prinzip wird jedoch hierzulande nicht von allen wertgeschätzt. Von Krankenkassenseite wird in der politischen Debatte immer wieder aufs Neue für einen kostenbasierten Ansatz der Preisregulierung als Alternative zum AMNOG geworben. Die Arzneimittelpreise, so das Alternativmodell, sollten auf Basis der Forschungs- und Entwicklungskosten genau berechnet und gegebenenfalls mit zusätzlichen Prämien versehen werden. Dieser Preis soll den Unternehmen schon zum Markteintritt von den Kostenträgern vorgegeben werden.

Probleme des Modells

So interessant die Idee zunächst klingt, bringt sie bei genauer Betrachtung doch eine ganze Reihe von Problemen mit sich. Sie wäre weder einfach umsetzbar noch innovationsförderlich. Vor allem aber hätte sie negative Folgen für die Versorgung von Patientinnen und Patienten in Deutschland.

  • So lassen sich die Forschungs- und Entwicklungskosten von Unternehmen nur schwer für ein einziges Arzneimittel beziffern. Schließlich ist die Pharma-Forschung ein langwieriger, komplexer und risikobehafteter Prozess. Am Ende schaffen es nur wenige der neuen Substanzen, von denen sich Forscherinnen und Forscher in ersten Tests eine Wirkung erhoffen, zum Medikament. Investitionen für „Fehlschläge“ müssen deshalb auf andere Arzneimittel umgelegt werden. Dadurch erhöht sich die Gesamtbilanz der Forschungs- und Entwicklungskosten für erfolgreiche Neueinführungen. Zudem wird die Arzneimittelentwicklung in global aufgestellten Unternehmen sehr unterschiedlich organisiert und findet in mehrjährigen Entwicklungsschritten oftmals in Kooperation mit anderen Unternehmen und Forschungseinrichtungen statt. Hier jeweils die Aufwände exakt zu erfassen und zuzuordnen, funktioniert bestenfalls in der Theorie, nicht jedoch in der Praxis.
  • Ein oft übersehener Fakt: Der kostenbasierte Ansatz zur Preisfindung setzt genau die falschen Anreize. Statt Innovationen zu befeuern und zu beschleunigen, würden vor allem teure, ineffiziente Forschungs- und Entwicklungsprozesse belohnt. Gerade jene Unternehmen würden benachteiligt, die mit geringen Kosten ein wichtiges Arzneimittel auf den Markt bringen, das für die Patientinnen und Patienten einen großen Zusatznutzen hat – die also genau die Forschungsanstrengungen erbracht haben, die besonders wertvoll sind. Der ermittelte Preis wäre zudem nur eine Art rückwärtsgewandte Aufwandsentschädigung. Bereits angefallene Kosten sind für unternehmerische Entscheidungen jedoch nicht mehr relevant („sunk cost“). Der kostenbasierte Preis hätte für die Industrie keine Signalfunktion für die Zukunft, in die Entwicklung weiterer wertvoller Therapien zu investieren.
  • Schließlich würde die Umstellung auf ein kostenbasiertes Preisfindungsmodell den schnellen Zugang zu innovativen Arzneimitteln erheblich gefährden. Neue Medikamente werden gegenwärtig sehr schnell in Deutschland eingeführt, weil hier Erstattung und Konditionen zum Zeitpunkt der Markteinführung klar sind. Eine initiale (kostengestützte) Preisvorgabe, die den Pharmaunternehmen bei der Marktzulassung mitgeteilt würde, wäre für sie in vielen Fällen nicht akzeptabel. Es würde damit eine Markteintrittshürde geschaffen. Insbesondere weil viele andere Länder sich am deutschen Arzneimittelpreis orientieren, würden Unternehmen kritisch prüfen, ob sie ihr neues Arzneimittel erst später in Deutschland in Vertrieb bringen. Patientinnen und Patienten bekämen innovative Medikamente in der Folge erst später oder gar nicht mehr.

Ernüchternde Erfahrungen in Japan

Als vermeintliches Vorbild für einen kostenbasierten Ansatz wird in der politischen Debatte gerne auf Japan verwiesen. Dort wird für einen ausgewählten Teilmarkt ein kostenbasiertes Preisbildungsverfahren angewandt: Wenn keine Vergleichspräparate im Markt sind, muss ein Pharmaunternehmen in Japan die Herstellungs- und Vertriebskosten für ein Arzneimittel in einem Dossier darstellen. Die zuständige Regierungsstelle setzt auf dieser Basis den Preis fest. Sie kann dabei nach verschiedenen Kriterien Prämien vergeben (etwa für als innovativ eingestufte Medikamente) oder Sanktionen verhängen (etwa bei mangelnder Transparenz im Dossier).

Insgesamt erweist sich dieses Preisbildungsverfahren als sehr komplex und herausfordernd in der Umsetzung. Die gewünschte Kostentransparenz, so die Erfahrung in Japan, lässt sich bei globalen Herstellungs- und Lieferprozessen oftmals nicht herstellen. Vielen Unternehmen ist es nur möglich, im Dossier den Einkaufspreis für den japanischen Markt zu dokumentieren, ohne einzelne Kostenpositionen weiter aufschlüsseln zu können. Sie sehen sich dann damit konfrontiert, keinen Prämienanspruch zu haben, auch wenn ihr Arzneimittel die offiziellen Kriterien dafür eigentlich erfüllt. Zudem werden die tatsächlich angefallenen Kosten, etwa im Bereich der Forschung und Entwicklung bei der Preisberechnung nur zum Teil berücksichtigt. Positive Anreize, künftig in die Arzneimittelforschung und -entwicklung zu investieren, gibt es bei der Preisberechnung keine.

In Japan ist der kostengestützte Preisbildungsansatz daher umstritten und gilt nicht als Erfolgsmodell. Die aktuellen Bemühungen der dortigen Regierung konzentrieren sich indessen auf die Schaffung innovationsförderlicherer Rahmenbedingungen und schließen mitnichten eine Stärkung des kostenbasierten Ansatzes ein. Der Aufwand bei der Erstellung und Prüfung der umfangreichen Dossiers ist für alle Beteiligten tatsächlich sehr hoch und die Diskussion über die Angemessenheit von Arzneimittelpreisen, über falsche Anreize und unerwünschte Marktverzerrungen auch für den kostenbasiert regulierten Teilmarkt keineswegs beigelegt. Der Blick nach Japan ist daher sehr ernüchternd.

Weiterentwicklung des AMNOG

Der wertbasierte Preisbildungsansatz im deutschen System ist am Nutzen für die Patientinnen und Patienten orientiert und setzt grundsätzlich die richtigen Signale für die Arzneimittelforschung und -entwicklung. Statt diesen Ansatz nun ad acta zu legen, sollte das AMNOG-Verfahren sinnvoll weiterentwickelt werden. Dazu gehört – neben Flexibilisierungen bei der Nutzenbewertung – die Öffnung des Systems für outcome-basierte Erstattungsmodelle. Gerade bei hochpreisigen Medikamenten für sehr kleine Patientengruppen könnten Unternehmen und Kostenträger vereinbaren, die Erstattungspreise an den tatsächlich erzielten individuellen Therapieerfolg zu koppeln. Ratenzahlungsmodelle würden zudem den neuen Therapieansätzen, die langanhaltende Wirksamkeit erreichen, gerecht.

Dieser Weg wird bislang noch nicht konsequent erprobt. Das ist erstaunlich, denn „pay-for-performance“-Modelle wären eigentlich ein probates Mittel, die Finanzierungsrisiken bei begründet limitierter Evidenz oder bei hohen Einmalkosten partnerschaftlich zu tragen. Hier ist augenscheinlich ein etwas flexiblerer gesetzlicher Rahmen erforderlich.

Gerade eine Weiterentwicklung des AMNOG in diesem Bereich würde helfen, die Diskussion über hohe Einzelpreise einiger neuer Medikamente einer guten, passgenauen Lösung zuzuführen. Damit Deutschland seine Rolle als Innovations- und Wirtschaftsmotor im Pharmabereich bewahrt und Patientinnen und Patienten weiter schnellen Zugang zu neuen Wirkstoffen bekommen, sind solche Reformen unerlässlich. Eine kostenbasierte Preisbildung, die in der Praxis nicht funktioniert, wäre demgegenüber ein Irrweg.

Dr. Ulrike Götting ist vfa-Geschäftsführerin Markt und Erstattung.

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