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Standpunkte Der G-BA würfelt nicht, oder doch?

Andrej Rasch ist Experte für Nutzenbewertung im Verband der forschenden Pharmaunternehmen
Andrej Rasch ist Experte für Nutzenbewertung im Verband der forschenden Pharmaunternehmen Foto: vfa

Durch die Benennungspraxis bei Kombinationstherapien steht die Glaubwürdigkeit des gesamten AMNOG auf dem Spiel und hebelt zudem die Rechte der Firmen aus. Der Gemeinsame Bundesausschuss muss zurückfinden zu einer zulassungskonformen und medizinisch plausiblen Bewertungspraxis.

von Andrej Rasch

veröffentlicht am 03.07.2023

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Im Herbst 2022 wurden mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz zahlreiche Änderungen des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes (AMNOG) angestoßen. Zu diesem Paket gehört auch die Einführung eines zusätzlichen Zwangsrabatts von 20 Prozent für Arzneimittel, die gemäß ihrer Zulassung in Kombination mit einem anderen Arzneimittel eingesetzt werden, sogenannte Kombinationstherapien. Voraussetzung dafür ist, dass der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) solche Kombinationen aus neuen Arzneimitteln in seinen Beschlüssen zur Nutzenbewertung benennt. Das praktische Vorgehen in den Beschlüssen des G-BA entsprach zunächst den gesetzlichen Vorgaben: Wo keine Kombinationstherapie seitens der Zulassung erlaubt war, wurde auch keine vom G-BA benannt. Mit Beginn des Sommers hat der G-BA aber eine Kehrtwende vollzogen, die zu grotesken Ergebnissen führt.

Im Juni 2023 hat der G-BA begonnen, Benennungen für Kombinationstherapien als Entwürfe für das Stellungnahmeverfahren zu veröffentlichen. Das Vorgehen wird dabei nicht genau beschrieben, was zur Vorbereitung weitreichender Entscheidungen nicht akzeptabel ist. Denn es entsteht der Eindruck, dass der G-BA schon dann Kombinationstherapien annimmt, wenn die neuen Arzneimittel für die gleiche Erkrankung zugelassen sind. Ob solche Kombinationen durch die Zulassungen überhaupt erlaubt und damit sinnvoll sind, spielt für den G-BA offenbar keine Rolle mehr.

Eine Blackbox, die Zulassungsvorgaben ignoriert

Das beschriebene Vorgehen des G-BA hebelt die Rechte der Firmen aus. Der Gesetzgeber hat ausdrücklich geregelt, dass ein Zwangsrabatt nicht erfolgen darf, wenn eine Kombinationstherapie einen mindestens beträchtlichen Zusatznutzen erwarten lässt. Diese Befreiungsmöglichkeit wird durch den G-BA jetzt aber praktisch ausgehebelt: Da er nun fiktive Kombinationen benennt, die während der Zulassung gar nicht untersucht wurden, können dazu auch keine Studien vorgelegt werden. Fiktive Kombinationen sind nach der eigenen Spruchpraxis des G-BA auch nicht bewertungsfähig. Seit dem Inkrafttreten des AMNOG im Jahr 2011 bewertet der G-BA nämlich nur Arzneimittel und Arzneimittelkombinationen, die über eine entsprechende positive arzneimittelrechtliche Zulassung verfügen.

Glaubwürdigkeit des gesamten AMNOG steht auf dem Spiel

Obendrein führt die Vorgehensweise des G-BA bereits nach wenigen Wochen zu einer Reihe an Benennungen, die man nur als medizinisch abwegig bezeichnen kann. Zwar merkt der G-BA selbst an, dass eine Beurteilung der Plausibilität anhand des Standes der medizinischen Erkenntnisse gar nicht erst vorgenommen wird. Wozu sollen dann aber die neusten Entwürfe des G-BA taugen? So nimmt der G-BA aktuell an, unbehandelte Kinder mit HIV-1-Infektion könnten mit einer Kombination aus einer 3-fach-Fixkombination und einer 4-fach-Fixkombination therapiert werden. Eine solche fiktive 7-fache Kombitherapie widerspricht der medizinischen Praxis und ist schlichtweg hochgradig unplausibel.

Ähnlich medizinisch abwegige Annahmen des G-BA zeichnen sich bei angenommenen Kombinationen zur Routineprophylaxe von Hämophilie A oder der von chronischer Herzinsuffizienz ab. Wenig plausibel erscheint auch die angebliche Kombinationstherapie mit Wirkstoffen zur Behandlung therapieresistenter Depressionen. Einer der angeblich kombinierbaren Wirkstoffe wird in Deutschland seit Jahren gar nicht mehr vertrieben. Ein Umstand, der den G-BA aber nicht davon abhält, eine Verfügbarkeit der Kombination trotzdem zu unterstellen.

Auch wenn es in der Vergangenheit schon einige umstrittene Entscheidungen des G-BA gab, so haben die aktuellen Fehlentwicklungen doch eine ganz andere Qualität: Mit jeder weiteren abwegigen Benennung von Kombinationstherapien wird die Glaubwürdigkeit des gesamten AMNOG-Verfahrens beschädigt. Es kann eigentlich nur eine Lösung geben: Zurück zu einer zulassungskonformen und medizinisch plausiblen Bewertungspraxis des G-BA.

Dr. Andrej Rasch ist Experte für die Nutzenbewertung im Verband der forschenden Arzneimittelhersteller in Deutschland. 

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