Der GKV-Schätzerkreis hat gerade seine Prognose für das Jahr 2025 abgegeben. Er geht von einer Finanzierungslücke von 13,8 Milliarden Euro aus. Um dieses drastische Defizit zu schließen, wird das Bundesgesundheitsministerium (BMG) Anfang November den durchschnittlichen Zusatzbeitragssatz um 0,8 Prozentpunkte auf 2,5 Prozent anheben müssen. Das wäre dann ein Negativ-Rekord und stellt der Gesundheitspolitik ein schlechtes Zeugnis aus.
Sicher ist nach der Vorstellung dieser dramatischen Finanzsituation, dass das Thema der Finanzierbarkeit unserer Sozialversicherungssysteme wieder in den Fokus gerät. Denn es ist damit zu rechnen, dass die Zusatzbeitragsätze durch die Kassen flächendeckend angehoben werden müssen. Reflexartig wird dann auch wieder über vermeintlich notwendige Leistungskürzungen gesprochen. Beides geht beziehungsweise ginge zu Lasten der Versicherten und der Arbeitgeber. Dabei sollten aber auch einmal andere Faktoren für den stetig steigenden Finanzbedarf in Augenschein genommen werden.
Der Luxus einer jährlichen Anhebung
Für die Vergütung – und das bedeutet jährlich für die Erhöhung der Vergütung – der Leistungen der niedergelassenen Vertragsärztinnen und -ärzte sowie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten ist in § 87 Absatz 2e SGB V ein Verfahren festgelegt worden, wonach jährlich bis zum 31. August der Orientierungswert zur Vergütung der vertragsärztlichen Leistungen festgelegt werden muss. Mit diesem in vielen Faktoren standardisierten Verfahren hat die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) mit dem GKV-Spitzenverband eine Anhebung der Grundvergütung zum 1. Januar 2025 um 3,85 Prozent ausgehandelt. Im Vorjahr erhielten die Niedergelassenen eine Anhebung in gleicher Höhe. Summa summarum bedeutet dies für das laufende Jahr 1,74 Milliarden Euro mehr für die Vertragsärzteschaft. Für viele Beitragszahlerinnen und Beitragszahler wäre es ein Grund zum Jubeln, würde ihnen per Gesetz jährlich eine Erhöhung ihres Gehaltes zugesprochen.
Insgesamt werden die gesetzlichen Krankenkassen für die ärztliche Behandlung ihrer Versicherten in der ambulanten Versorgung im Jahr 2025 bis zu 50 Milliarden Euro ausgeben. Hierfür haben die Kassenärztlichen Vereinigungen im Gegenzug die vertragsärztliche Versorgung sicherzustellen, Stichwort: Sicherstellungsauftrag. Doch von Seiten der Ärzteschaft wurde auch dieses Jahr das Ergebnis der Verhandlungen als „Tropfen auf dem heißen Stein“ oder auch als „enttäuschendes Signal“ kommentiert. Mit dem Plus von fast vier Prozent ließen sich die Ausgabensteigerungen im ambulanten Sektor schwerlich kompensieren, so die Niedergelassenen. Außerdem, so die Kritik, müsse man weg von einer retrospektiven hin zu einer prospektiven, also vorausschauenden, Anpassung des Orientierungswertes.
Wir Innungskrankenkassen sind über diese Forderungen mehr als verwundert. Ein solches Vorgehen wäre den beitragszahlenden Versicherten und Arbeitgebern nur schwer zu vermitteln. Auch im gewerkschaftlichen Tarifgeschäft käme man nicht auf die Idee, bei den Tarifverhandlungen die etwaige Ausgabensteigerungen und Risiken des kommenden Jahres zu berücksichtigen.
Wird der Sicherstellungsauftrag erfüllt?
Trotz dieser jährlichen und gesetzlich vorgeschriebenen Erhöhung der finanziellen Mittel hat sich in den letzten Jahren gezeigt, dass keine spürbare Versorgungsverbesserung eingetreten ist. Im Gegenteil, unsere Forsa-Umfrage aus dem August 2024 hat ergeben, dass als drängendste Probleme im deutschen Gesundheitswesen die große Mehrheit der gesetzlich Versicherten lange Wartezeiten auf Termine bei Ärzten beziehungsweise Fachärzten (85 Prozent) sowie den Mangel an Fachkräften im Gesundheitssystem (79) nennt.
Deshalb darf man sich durchaus die Frage stellen, ob die niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten ihrem Sicherstellungsauftrag ausreichend nachkommen. Denn trotz höherem finanziellen Aufwand seitens der Kassen bleiben wichtige Probleme der Versorgung ungelöst und weiterhin versorgungsrelevante Lücken offen. Die Schwierigkeiten von gesetzlich Versicherten, einen Termin in einer Haus- oder Facharztpraxis zu bekommen, sind da nur ein Beispiel.
Der oben genannte Sicherstellungsauftrag umfasst eigentlich die angemessene und zeitnahe Zurverfügungstellung der vertragsärztlichen Versorgung. Der Gesetzgeber wollte durch das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) aus dem Jahr 2019 und das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz von 2022 durch weitere finanzielle Anreize bei der Terminvermittlung hier Abhilfe schaffen und Patienten schnellere Arzttermine insbesondere bei Fachärzten ermöglichen.
Inakzeptable Terminnot
Dennoch warten aktuell GKV-Versicherte noch viel zu lange auf einen Facharzt Termin: Einer Infas-Umfrage von Beginn dieses Jahres zufolge müssen gesetzlich Versicherte oft mehr als zwei Wochen auf einen Termin bei einem Haus- oder Facharzt warten, ein Drittel muss sich sogar bis zu zwei Monate oder länger gedulden. Ist ihr Leidensdruck dann zu hoch, nutzen sie die Selbstzahler-Sprechstunden. Das ist aber individuell bitter und seitens der Kostenträger des Gesundheitswesens nicht akzeptabel! Ein noch viel größeres Problem ist aber die Sicherstellung der ambulanten Versorgung insbesondere im ländlichen Raum. Hier finden die Versicherten teilweise keine Praxen mehr vor, bei denen sie sich um Termine bemühen könnten – und dies trotz verschiedener Prämien und Anreizmodelle für die niedergelassene Vertragsärzteschaft.
Dass die reflexartige Forderung nach mehr Geld sowie weniger Pflichten und Kontrollen – dies wird dann auch noch als Bürokratieabbau bezeichnet – nicht die gewünschte Wirkung bringt, zeigt ein Beispiel: Die Forderung nach Entbudgetierung, welche für die Leistungen der Kinder- und Jugendmedizin bereits Realität ist. Blickt man auf die letzten drei Quartale, zeichnet sich eine Tendenz dahingehend ab, dass, wenn auch in geringer Zahl, weniger Kinder statt wie beabsichtigt mehr Kinder versorgt werden. Dafür werden im Gegenzug jedoch mehr Leistungen am einzelnen Kind abgerechnet. Das kann es aber nicht sein!
Intransparente Honorarverteilung
Und trotzdem wird jetzt die Entbudgetierung hausärztlicher Leistungen als Königsweg gesehen, die Versorgung zu verbessern. Fakt ist jedoch, dass für die hausärztliche Versorgung das Budget nur in wenigen KV-Bereichen überhaupt ausgeschöpft wird. Statt mehr Geld in die Versorgung zu pumpen, sollte man lieber dafür sorgen, dass die Beitragsgelder dort ankommen, wo sie für eine gute Versorgung benötigt werden. Man sollte also bei der Honorarverteilung durch die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) ansetzen, aber hier herrscht Intransparenz.
Um nicht missverstanden zu werden: Es geht uns nicht darum, die Vergütung zusammenzustreichen oder jeglicher Erhöhungen eine generelle Absage zu erteilen. Aber wir wollen, dass die Beitragsgelder der Versicherten und Arbeitgeber für eine gute, nachhaltige und zukunftsorientierte Versorgung eingesetzt werden.
Hans- Jürgen Müller ist Vorstandsvorsitzender des IKK e.V.