Damit der Pflege nicht die Leute ausgehen, müssen wir künftig noch mehr Augenmerk auf die Ausbildung legen. Denn nach Schätzungen der Berufsverbände fehlen heute in der Pflege circa 200.000 Stellen und viele Stellen sind zudem unbesetzt. Eine freie Stelle neu zu besetzen dauert laut Bundesagentur für Arbeit etwa ein halbes Jahr.
Durch die Pflegekammern wissen wir zudem, dass etwa 40 Prozent der Pflegefachpersonen (500.000!) in den nächsten zehn bis zwölf Jahren das Renteneintrittsalter erreichen werden. Doch woher nehmen und nicht stehlen? 700.000 neue Pflegestellen zu besetzen, wird nicht allein durch Azubi gehen.
Verbleib im Pflegeberuf: ein unbeachtetes Potenzial
Es müssen auch Investitionen in den Berufsverbleib erfolgen, indem beispielsweise bessere Rahmenbedingungen für Pflegende geschaffen werden, damit sie nicht ständig fachliche und ethische Standards ihrer Profession verletzen müssen. Geschätzt mindestens 100.000 Pflegefachpersonen arbeiten nicht mehr im Pflegeberuf und könnten reaktiviert werden – das ist das größte, kurzfristig zu mobilisierende Fachkräftereservoir.
Um Pflegefachpersonen zurückzugewinnen aber auch zu halten, müssten sich die Rahmenbedingungen spürbar verändern. Das bedeutet, dass wir dringend mehr Planstellen in der Pflege brauchen. Denn nur wenn die Arbeitsbelastung glaubhaft sinkt – und dies gelingt nur durch mehr Personal – werden auch frustrierte Pflegefachpersonen in den Beruf zurückkehren.
Pflegenachwuchs nicht aus dem Auge verlieren
Neben der Bindung von Personal ist auch die Qualifizierung des Pflegenachwuchses von großer Bedeutung. Wir erleben derzeit, dass es nicht zuletzt durch die Pandemie eine hohe Verunsicherung bei den Azubis gibt. Es gibt noch keine Zahlen wie viele Azubis 2020 die Pflegeausbildung begonnen haben. Aber es gibt Rückmeldungen aus etlichen Pflegeschulen, dass mehr Pflegeazubis im vergangenen Jahr schon in der Probezeit die Ausbildung abgebrochen haben als in den Jahren zuvor. In einer für die Azubis eh schon schwierigen Situation von ihnen die Übernahme weiterer Verantwortung zu fordern – wie jüngst, dass sie bei den Testungen helfen – dient der Sache in keiner Weise.
Die jungen Azubis, die im vergangenen Jahr die neue generalistische Ausbildung zur Pflegefachfrau beziehungsweise zum Pflegefachmann begonnen haben, kommen in einer schwierigen Situation in die Praxiseinsätze, da die Pflegefachpersonen vor Ort in den Einrichtungen und Kliniken mit der derzeitigen Versorgungslage schon überlastet sind. Dazu erfolgt der theoretische Unterricht meist online und sie müssen sich von Anfang an im disziplinierten Selbststudium die Inhalte aneignen – ohne schnell nachfragen zu können.
Durcheinander von Ausbildungen
Wir müssen aufhören, die Azubis als vollwertige Arbeitskräfte zu missbrauchen! Dazu gehört auch, die Azubis im zweiten und dritten Lehrjahr nicht mehr auf den Stellenplan anzurechnen. Sie lernen einen der schönsten und wichtigsten Berufe der Welt. Sie gleich zu Beginn zu überfordern und ihnen Verantwortung aufzubürden, die sie aufgrund ihres Wissenstandes nicht tragen können, ist angesichts der komplexen Anforderungen nicht zielführend und sogar kontraproduktiv! Der Pflegenachwuchs muss unter kontrollierten Bedingungen lernen und einüben können, wie man kranke, alte und pflegebedürftige Menschen versorgt.
Wir müssten weiter unterschiedliche Angebote entwickeln, die sich am Bildungsstand der Interessierten orientiert. Dazu gehört nicht nur eine akademische Ausbildung. Unterhalb der Ebene der Ausbildung zur Pflegefachperson gibt es derzeit ein großes Durcheinander von Ausbildungen zu Pflegeassistenten, basierend auf Landesrecht – und eine Vielzahl von Qualifikationen unterhalb dieses Niveaus. Niemand ist in der Lage, selbst nur die auf Landesrecht basierenden Pflegeassistenzausbildungen miteinander zu vergleichen. Ein seit Jahren vorliegender Beschluss der Arbeits- und Sozialministerkonferenz und Gesundheitsministerkonferenz zur Vereinheitlichung der Pflegeassistentenausbildung ist bisher – außer im Land Niedersachsen – nirgends umgesetzt. Es ist dringend erforderlich, dass wir bundeseinheitlich Pflegeassistenten in einer zweijährigen Ausbildung qualifizieren. Diese Ausbildung eröffnet dann den Zugang für eine verkürzte Ausbildung zur Pflegefachfrau beziehungsweise zum Pflegefachmann.
Akademisierung: Schlüssel für die Professionalisierung
Neben der beruflichen Ausbildung müssen wir die hochschulische Ausbildung besser gestalten. Mit dem Pflegeberufegesetz können Interessierte regelhaft – parallel zur beruflichen Ausbildung – über ein Studium Zugang zum Beruf erlangen. Die Studierenden erzielen neben dem Berufsabschluss als Pflegefachfrau/Pflegefachmann einen Bachelorgrad. Allerdings ist dieser Weg durch den Gesetzgeber strukturell benachteiligt, denn es gibt – im Gegensatz zur beruflichen Ausbildung – keine Praxisvergütung für die 2.300 Stunden Praxiseinsätze und es gibt auch keine Refinanzierung der Praxisanleitung in den Einrichtungen. Dies muss dringend korrigiert werden. Denn in internationalen Studien ist vielfach belegt, dass hochschulisch qualifizierte Pflegefachpersonen in der klinischen Praxis zu besserer Versorgung führen, bis hin zu einer niedrigeren Sterblichkeit. Wir können es uns als Gesellschaft schlichtweg nicht leisten, auf solche Kompetenzen zu verzichten.
Der zukünftige Bedarf an Pflege ist enorm – quantitativ wie qualitativ. Wir kommen nicht umhin, in eine bessere Ausbildung auf allen Ebenen zu investieren und attraktive Arbeitsplätze zu schaffen, um im Wettbewerb mit anderen Berufen den gesellschaftlichen Bedarf an Pflege sicherzustellen. Wie das gelingen kann, ist hinlänglich bekannt, es muss nur endlich konsequent umgesetzt werden. Applaus von Balkonen wird dazu nicht reichen. Anerkennung muss sich auch in angemessenen Gehältern ausdrücken, die nach Auffassung der Bundespflegekammer und des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe bei 4.000 Euro Einstiegsgehalt liegen sollten.
Dr. h.c. Franz Wagner ist Mitglied des Präsidiums Bundespflegekammer und Präsident des Deutschen Pflegerats.