Die aktuelle MVZ-Debatte speist sich vielfach aus dem Gefühl, dass sich weitgehend unbeobachtet große Verbünde bilden (können) und möglicherweise auch bereits in relevantem Maße die Versorgung bestimmen. Dass also die bekannten MVZ-Standorte und –Träger nur die Spitze des Eisberges darstellen. Die Zahlen belegen in vielerlei Hinsicht das Gegenteil dieser Sorge; wenngleich es natürlich regionale und Fachrichtungs-Unterschiede gibt. Deren Interpretation kostet aber Zeit und setzt Kompetenzen voraus, sich den Datenzugang zu organisieren. Das Gefühl, dass es eine weitere, unsichtbare Ebene der MVZ-Entwicklung gibt, ist somit die erwartbare Konsequenz, weil die Datenverfügbarkeit nicht auf Knopfdruck gegeben ist. Dieser Anschein von Unmöglichkeit ist allerdings falsch.
Tatsächlich wird ausnahmslos jede zulassungsrelevante Aktivität, also sowohl die Gründung als auch Veränderungen während des MVZ-Betriebs, sei es der Erwerb eines Sitzes oder der Wechsel von Ärzten, vom Zulassungsausschuss (ZA) erfasst und in der Registerakte von Arzt und MVZ verwaltet – dies alles natürlich längst digital. Was nicht stattfindet, ist eine Zusammenführung und Auswertung dieser Daten. Dass das hingegen vergleichsweise unkompliziert und auch detailliert geht, beweist die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) eindrücklich mit ihren Veröffentlichungen zu Fremdinvestoren in der vertragszahnärztlichen Versorgung. Daher ist es ein Irrgedanke, dass eine neue zusätzliche und umfassende Transparenzbürokratie für MVZ her müsse.
Alle Daten liegen bereits vor
Fakt ist: Alle Daten liegen digital bei den Registerstellen der ZA vor. Weshalb das (noch amtierende) Bundesgesundheitsministerium (BMG) sinnvollerweise im Kontext der Modernisierung der Zulassungsverordnung (ZV) für Ärzte schon 2022 eine Normsetzungsinitiative angestoßen hat, um diesen Datenschatz zu heben. Leider ist das Vorhaben kurz danach von der MVZ-Debatte überrollt worden, deren Fokus am 24. Dezember 2022 von Lauterbachs irrlichterndem Tweet zu Investoren-MVZ und deren „letztem schönen Weihnachten“ vorgegeben wurde. Sachlichkeit ist aber mehr denn je das Gebot der Stunde. Deshalb ist es wichtig, dem ursprünglichen BMG-Vorhaben, die Ärzte- und Zahnärzte-ZV zu modernisieren, eine Bühne zu geben. Zumal es bei diesem Projekt, das ohne Bundestagsbeteiligung als Rechtsordnungsverfahren geplant wurde, um sehr viel mehr als um Registerfragen und Strukturdaten geht.
Bereits mit Datum vom 10. November 2022 war ein vollständiger Referentenentwurf des BMG für eine "Verordnung zur Änderung der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte und der Zulassungsverordnung für Vertragszahnärzte" veröffentlicht und an die relevanten Fachverbände übermittelt worden. Kern sind zahlreiche Bemühungen, die Zulassungsverfahren massiv zu entbürokratisieren, und damit sowohl Kassenärztliche Vereinigungen (KVen) und Kassen als auch die Vertragsärzteschaft spürbar zu entlasten. Bekanntermaßen war das eines der Hauptanliegen von Lauterbach. Gleichzeitig sollen alle Prozesse rund um Assistenz und Vertretung systematisch modernisiert, und zwischen niedergelassenen und angestellten Ärzten vereinheitlicht werden – sowie auch, ja, die für die Zulassungsakte von MVZ und Ärzt:innen zu leistenden Gebühren um 10 Prozent angehoben werden.
Durchdachter Vorschlag des Ministeriums
Der Verordnungsentwurf umfasst insgesamt 72 Seiten, das zugehörige Stellungnahmeverfahren wurde bis Ende 2022 durchgeführt und von Kassenärztlicher Bundesvereinigung, Kassenverbänden, Psychotherapeuten, Spitzenverband der Fachärzte & Co. weitgehend positiv begleitet. Das gilt insbesondere für die Reformvorschläge zur Evolution des bisherigen Arztregisters, dessen Funktion und Parameter seit ehedem in Anhang 2 der Ärzte-ZV festgelegt sind. Denn klar ist, sollen die K(Z)Ven regelhaft MVZ-Daten auswerten, ist dabei zwecks überregionaler Vereinheitlichung und Vergleichbarkeit eine normative Ermächtigung und Vorschrift unabdingbar.
Der Entwurf sieht genau das vor und geht sogar einen Schritt weiter: Tatsächlich wird das Arztregister mit den Vorschlägen des BMG um einen kompletten Strukturdatenteil ergänzt. Das heißt, alle bedarfsplanungsrelevanten Angaben etwa auch zu Nebenbetriebsstätten und den dort vorgehaltenen Leistungen sollen gerade nicht nur für MVZ, sondern für alle Praxisarten systematisch erfasst werden. Damit hat das BMG einen durchdachten Vorschlag vorgelegt, der das Wissen um die Angebotsstrukturen im ambulanten Bereich schlagartig um ein Vielfaches erhöhen würde. Damit würden auch für MVZ automatisiert alle im Zulassungsverfahren gemachten Angaben erfasst und laufend aktuell gehalten. Also neben den Angaben zur Ärztlichen Leitung auch Zahl der Sitze und Ärzte, Versorgungsumfang und Fachrichtung(en), Leistungsorte und Gesellschafter.
Verflechtungen leicht identifizierbar
Stopp halt: Das ist ja – wird der Einwand kommen - die Gretchenfrage: Alle Gesellschafter? Im Zulassungsantrag ist nur die erste Ebene relevant, also bei nicht-ärztlichen Trägern, das Trägerkrankenhaus. Weitere Gesellschafterebenen regelhaft zu erfassen, würden das Korsett des Arzt- beziehungsweise Strukturregisters sprengen. Allerdings ist das aber auch nicht nötig: Denn die Marktverflechtungen von Private-Equity-Akteuren sind bereits mittels dieser ersten Gesellschafterebene überregional sichtbar, da ihr gemeinsames Merkmal gerade ist, das dieselbe Klinik bundesweit Träger für alle MVZ-Standorte ist.
Derzeit werden deutschlandweit gut 50 Kliniken betrieben, die bei einer solchen Datenaggregation leicht identifiziert werden können. Zumal zu den in diesen Fällen darüber liegenden Gesellschafterebenen detaillierte Analysen, bzw. Recherchen durchaus vorliegen – neben der KZBV, ist hier auf die Arbeiten von Rainer Bobsin zu verweisen. Diese sollten schlichtweg stärker berücksichtigt und vor allem systematisch gefördert werden.
Umfassende Strukturtransparenz notwendig
Zurück also zur Modernisierung der Ärzte-/Zahnärzte-ZV und der enthaltenen Evolution des bisherigen Arztregisters hin zu einem Arzt- und Strukturregister: Warum wurde diese seit zwei Jahren fertig vorliegende BMG-Initiative nicht weiterverfolgt? Obwohl sie weitgehend kostenneutral daherkommt und sowohl von KV-, als auch von Kassenseite begrüßt wurde? Im Grunde kann niemand, der sich in der ambulanten Versorgung auskennt, das anders sehen. Ist es doch grob fahrlässig, wie wenig wir heute als Gesellschaft über die tatsächlichen Strukturen im Vertragsarztbereich wissen. Oder hätten Sie gedacht, dass mehr als die Hälfte alle Großpraxen in Deutschland gerade kein MVZ, sondern eine Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) oder eine überörtliche Berufsausübungsgemeinschaft (üBAG) sind; dafür aber die Mehrheit aller MVZ mit maximal vier Ärzten arbeitet und damit eher einer Gemeinschaftspraxis ähnelt?
Und doch sind diese Ergebnisse Realität. Man erfährt von ihnen nur leider nicht auf Knopfdruck. Das können und sollten wir uns als Gesellschaft nicht länger leisten. Wir brauchen eine umfassende Strukturtransparenz. Ein – trotz gerechtfertigter Detailkritik – im Kern sehr guter Vorschlag wurde vom BMG vor zwei Jahren vorgelegt und dann in der Mottenkiste versenkt. Das Warum sollte alle Akteure und die Gesundheitspolitiker im Bundestag unbedingt interessieren, um 2025 in dieser wichtigen Frage einen schnellen Neustart zu ermöglichen.
Susanne Müller ist Geschäftsführerin des Bundesverbands Medizinische Versorgungszentren - Gesundheitszentren - Integrierte Versorgung (BMVZ).