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Gesundheit & E-Health

Standpunkte Das MVZ mit gebundenem Vermögen

Mergime Gerguri, Leiterin der AG Verantwortungseigentum bei Purpose Health
Mergime Gerguri, Leiterin der AG Verantwortungseigentum bei Purpose Health Foto: promo

Gemeinsam mit Felix Hoffmann erklärt Mergime Gerguri, warum dem Problem investorenbetriebener medizinischer Versorgungszentren mit Sozialgesetzgebung allein nicht beizukommen ist. Sie sind beim Verein Purpose Health aktiv und erklären in ihrem Standpunkt, wie MVZ mit gebundenem Vermögen umgesetzt werden könnten.

von Mergime Gerguri

veröffentlicht am 12.07.2023

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Das Problem ist schon seit Längerem bekannt, der Bundesgesundheitsminister höchstpersönlich machte zum Jahreswechsel darauf aufmerksam: „Es gibt den fatalen Trend, dass Investoren medizinische Versorgungszentren mit unterschiedlichen Facharztpraxen aufkaufen, um sie anschließend mit maximalem Gewinn zu betreiben“, sagte Karl Lauterbach der Bild-Zeitung – und kündigte an: „Ich schiebe einen Riegel davor, dass Investoren mit absoluter Profitgier Arztpraxen aufkaufen“.

Der Handlungsbedarf liegt auf der Hand. Zu groß ist bei solchen Tendenzen die Gefahr, dass Patientinnen und Patienten nicht die bestmögliche, sondern die am besten vergütete Behandlung erhalten. Gerade das ist aber Teil der Geschäftsstrategie einiger Investorinnen und Investoren, wie Richard Bůžek, der zu diesem Thema forscht, der ZEIT sagte: „Renditestrategie ist, nicht nur im laufenden Betrieb, sondern vor allem mit dem Wiederverkauf den Gewinn zu erzielen.“ Damit sich das lohnt, muss der Verkaufspreis steigen. Und möchte der Investor erneut gewinnbringend verkaufen, müssen die Profite erneut steigen. Wohlgemerkt: Profite, die im Fall von Arztpraxen durch die Behandlung kranker Menschen erwirtschaftet werden müssen. Folglich müssen die Einnahmen immer weiter erhöht und die Kosten gesenkt werden. Es wird zulasten der Qualität und der Gesundheit der Patientinnen und Patienten gespart.

Schaffung eines MVZ-Regulierungsgesetzes

Lauterbach ist seinen „Riegel“ bislang schuldig geblieben. Nun aber hat der Bundesrat eine „Entschließung“ gefasst. Eine solche ist nicht rechtsverbindlich, ruft aber die Bundesregierung zum Handeln auf. Die Länder sind der Meinung, es seien „Risiken für die Versorgung abzuwenden“. Sie stellen fest, dass, „Investoren die Versorgungskapazitäten tendenziell in lukrative Ballungsgebiete“ verlagern und „einen stärkeren Fokus auf gut skalierbare und umsatzsteigernde Leistungen“ legen, „weshalb zu befürchten ist, dass nicht mehr das gesamte Behandlungsspektrum abgebildet wird“. Die Länder fordern konkrete Maßnahmen wie eine räumliche Beschränkung der Gründungsbefugnis, Schutzvorschriften, mögliche Disziplinarmaßnahmen oder eine Begrenzung des Versorgungsanteils.

Immerhin: Das Problem wird erkannt. Aber man fragt sich: Sind diese Maßnahmen wirklich ein Schritt in die richtige Richtung, oder fällt diese Entschließung eher unter das Motto gut gemeint, aber schlecht gemacht?

Das Ziel ist zweifelsfrei richtig, denn ein Gesundheitsunternehmen sollte in erster Linie der Gesundheitsversorgung dienen und kein Spekulations- und Renditeobjekt für Anlegerinnen und Anleger sein. Doch die in der Entschließung des Bundesrats genannten Empfehlungen zur konkreten Umsetzung sind weitestgehend sozialrechtlicher Natur, die zugrundeliegende Problematik ist im Kern aber ein gesellschaftsrechtliches Thema. Ein Mehr an Komplexität ist allerdings das Letzte, was das deutsche Sozialrecht braucht, denn Ärztinnen und Ärzte kämpfen heute schon mit großen bürokratischen Hürden.

Das Kernproblem besteht darin, dass die Eigentümerinnen und Eigentümer vieler MVZ in der Lage sind, unbegrenzt Vermögen aus dem MVZ zu entnehmen und ihr unternehmerisches Handeln vorrangig darauf auszurichten, möglichst schnell möglichst hohe Gewinne zu erwirtschaften. Eine Studie des IGES Institut, beauftragt von der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns, kommt zum Ergebnis, dass Praxen in der Hand von Investorinnen und Investoren durchschnittlich 10,4 Prozent mehr Honorarvolumen abrechnen als Einzelpraxen. Die Studie stellt fest: „Die Unterschiede im Honorarvolumen sind dabei allein auf das Merkmal der Eigentümerschaft zurückzuführen“. Die Gesundheitsversorgung ist somit kein Selbstzweck mehr, sondern wird Mittel zum Zweck.

Verantwortungseigentum

Die genannten Empfehlungen des Bundesrats zielen darauf ab, einerseits mehr Transparenz über die Eigentumsstrukturen herzustellen und andererseits den Einfluss von Investorinnen und Investoren zu begrenzen.

Neben sozialrechtlichen Regelungsmöglichkeiten existiert aber auch eine sehr attraktive gesellschaftsrechtliche Lösungsmöglichkeit. Wenn ein MVZ mit einer Vermögensbindung ausgestattet wäre, die eine Gewinnausschüttung an die Eigentümerinnen und Eigentümer ausschließt, stünde mehr Geld für eine bessere Versorgung und höhere Gehälter für die Beschäftigten zur Verfügung. Auch für die Eigentümerinnen und Eigentümer von MVZ bieten sich freilich gute Verdienstmöglichkeiten, vorausgesetzt, sie sind aktiv im MVZ tätig.

Eine neue Rechtsform für Unternehmen mit gebundenem Vermögen – auch Verantwortungseigentum genannt – scheint zum Greifen nah. So heißt es im Ampel-Koalitionsvertrag: „Zu einer modernen Unternehmenskultur gehören auch neue Formen wie Sozialunternehmen oder Gesellschaften mit gebundenem Vermögen.“ Und weiter: „Für Unternehmen mit gebundenem Vermögen wollen wir eine neue geeignete Rechtsgrundlage schaffen, die Steuersparkonstruktionen ausschließt.“

Verantwortungseigentum, oft auch als „treuhänderisches Eigentum“ bezeichnet, stellt eine alternative Eigentumsstruktur für Unternehmen dar, die sich deutlich von herkömmlichen Eigentumsstrukturen des Gesellschaftsrechts abhebt. Im Zentrum dieses Modells steht der Sinn und Zweck des Unternehmens – neudeutsch: Purpose – und nicht die kurzfristige Profitmaximierung. Bei diesem Eigentumsverständnis bleibt das Vermögen an das Unternehmen selbst gebunden, sodass Gewinne von den Eigentümerinnen und Eigentümern nicht für private Zwecke entnommen werden können, sondern ausschließlich der langfristigen Entwicklung des Unternehmens zugutekommen. Auch ein Verkauf der Geschäftsanteile zu einem höheren Preis als dem Nennwert ist nicht möglich. Diese Besonderheit schützt das Modell vor den Risiken von Spekulation und der Fixierung auf kurzfristige Gewinnmaximierung. Die Rolle des Unternehmers wandelt sich vom Vermögenseigentümer zum Treuhänder.

Ein weiteres zentrales Merkmal von Verantwortungseigentum ist die Gewährleistung, dass die Steuerung des Unternehmens in den Händen von Menschen bleibt, die dem Unternehmen verbunden sind und meist selbst aktiv ins Unternehmen involviert sind. Zusammen mit dem Prinzip der Vermögensbindung entsteht so eine Umgebung, in der Unternehmen ihren gesellschaftlichen Nutzen maximieren können, ohne ihre marktwirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit einzubüßen.

Die Regierung muss nun handeln

Es ist richtig und ein wichtiger Schritt, dass sich die Bundesregierung nun mit der Regulierung von MVZ befassen muss. Es wäre aber fatal, wenn dies zu einer noch komplexeren Ausgestaltung des SGB 5 führt. Stattdessen sollte die Bundesregierung auch gesellschaftsrechtliche Lösungen in Betracht ziehen.

Bundesfinanzminister und FDP-Vorsitzender Christian Lindner hat auf der Republica jüngst angekündigt, dass die Vereinbarung aus dem Ampel-Koalitionsvertrag, eine Rechtsform mit gebundenem Vermögen einzuführen, noch in dieser Legislaturperiode umgesetzt wird. Mitte Juni haben sich zudem 22 Wirtschaftsverbände hinter die Forderung nach der Rechtsform gestellt.

Mit dieser wäre eine geeignete und zugleich unkomplizierte Möglichkeit gegeben, um MVZ mit gebundenem Vermögen umzusetzen. Andere Konstellationen wie Stiftungsmodelle sind zwar bereits heute möglich, aber sehr komplex und teuer und somit mit einem deutlich höheren Aufwand verbunden. Die Gesellschaft mit gebundenem Vermögen müsste, damit sie wirklich im Gesundheitssektor helfen kann, mit einer verbindlichen, nicht rückwirkend aufzulösenden Vermögensbindung umgesetzt werden. Wird sie das, könnte sie eine weitere Alternative für MVZs sein, eine gesellschaftsrechtliche Lösung für ein Problem, dem mit Sozialgesetzgebung nur durch hohe Bürokratie-Hürden beizukommen ist.

Mergime Gerguri ist Leiterin der AG Verantwortungseigentum bei Purpose Health. Felix Hoffmann ist Vorsitzender des Vereins.

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