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Standpunkte Civic Tech: Digitalisierung ist ein Gemeinschaftsprojekt!

Nora Titz, und Ben Burmeister, Code for Germany/Open Knowledge Foundation
Nora Titz, und Ben Burmeister, Code for Germany/Open Knowledge Foundation Foto: Nora Titz/Ben Burmeister

Die Digitalisierung und das Internet versprachen einmal den Aufbruch in eine demokratischere und gerechtere Zukunft. Diese Hoffnung muss noch nicht aufgegeben werden, schreiben Nora Titz von Code for Germany und Ben Burmeister von der Open Knowledge Foundation: Die Civic-Tech-Bewegung demonstriert, wie mit digitalen Mitteln selbstbestimmtes Handeln ermöglicht und gesellschaftlichen Problemen begegnet werden kann – ob Klimawandel oder politischer Polarisierung.

von Nora Titz und Ben Burmeister

veröffentlicht am 15.09.2022

aktualisiert am 28.09.2022

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Warum digitalisieren? Die Digitalstrategie scheint diese Frage mit dem Wunsch nach Innovationen und weniger Bürokratie zu beantworten. Als wahrer „Aufbruch“ einer „Zukunftskoalition“ könnte man Digitalisierung aber auch als Wandel sehen, zu mehr Demokratie und mehr Teilhabe sowie als Werkzeug bei gemeinschaftlichen Problemen. Genau dafür steht Civic Tech.

Civic Tech richtet Technologie an den Interessen und Bedürfnissen der Bürger*innen aus. Digitales ermöglicht neben neuen Formen der Zusammenarbeit und Effizienzsteigerung eben auch eine Ermächtigung der Gemeinschaft.

Wichtig ist dabei der Prozess. Meist handelt es sich bei Civic Tech um zivilgesellschaftliches Engagement. Lösungen werden im aktiven Austausch mit oder von der betroffenen Community entwickelt. Dabei bilden offen verfügbare Ressourcen, in Form offener Daten und Open Source Software, die Grundlage. Auch das Endprodukt wird offen angeboten, damit es nachvollzogen, weiterentwickelt und wiederverwendet werden kann. So integriert Civic Tech demokratische Werte in digitale Dienste.

Gemeinwohl im Vordergrund

Diskurse zu Digitalem verfallen oft „einfachen“ Auswegen. Anstatt von Künstlichen Intelligenzen oder Blockchains zu schwärmen, braucht es auch Stimmen, die zielgerichtet eine gemeinwohlorientierte Digitalisierung vorantreiben. Dafür müssen in der Digitalpolitik auch zivilgesellschaftliche Stimmen gleichberechtigt gehört werden.

Die Civic Tech Community ist Expertin dafür, wie Digitales einen simplen und doch effektiven Mehrwert für die Gemeinschaft kreieren kann. Anstatt sich an Marktlücken zu orientieren, beginnt sie mit der Suche nach gesellschaftlichen Problemen und Verbesserungsmöglichkeiten. Anstelle von teuren und oft nicht praktikablen digitalen Lösungen basieren Civic-Tech-Anwendungen auf den Grundlagen einer erfolgreichen Digitalisierung: offenen und verknüpften Datensätzen, frei verfügbarer und modifizierbarer Open Source Software und engagierten Menschen.

Civic Tech in der Praxis

Die „Code for All“-Community vereint engagierte Bürger*innen auf der ganzen Welt und liefert vielseitige Beispiele für den Mehrwert von Civic Tech. Code for Germany ist eine von 31 Mitgliederorganisationen. Beim Summit kommende Woche präsentieren sie, wie mit digitalen Mitteln auch die großen Fragen angegangen werden können, wie Bekämpfung des Klimawandels, Stärkung von Diversität, Teilhabe und Demokratie.

Die Projekte überzeugen: Pesacheck von Code for Africa ist das größte Fact-Checking-Netzwerk des Kontinents und leistet essenzielle Arbeit gegen Desinformation, vor der die großen Firmen sich scheuen. Projekte wie Meine Stadt Transparent und Klimawatch in Deutschland oder mySociety in UK machen Behördendaten öffentlich und verständlich und so Regierungshandeln für alle transparent. In der inzwischen europaweit-agierenden sensor.community, die im Rahmen des Stuttgarter Feinstaubproblems entstanden ist, produzieren und teilen Bürger*innen mit selbstgebauten Sensoren offene Daten zur Luftqualität und ermöglichen so ein besseres Verständnis der lokalen Situation. Eine Website mit dem Sanierungsstand aller Berliner Schulen erleichtert die Schulauswahl.

Trotz ihres eindeutigen Nutzens schaffen es viele der tollen Projekte nicht über einen Prototyp hinaus. Vielerorts fehlt es an lokalen Daten, um Anwendungen zu übernehmen oder zu skalieren, und an Ressourcen für Betrieb und Weiterentwicklung. Das betrifft auch beliebte und viel genutzte Projekte wie kleineanfragen.de und offenerhaushalt.de. Für dauerhaftes Betreiben braucht es bessere Strukturen und mehr Unterstützung. Hier muss Politik und Verwaltung unterstützen.

Gemeinwohlorientierte Digitalisierung geht nur zusammen!

Civic Tech Community und Verwaltung – in der Praxis treffen hier Welten aufeinander. Unterschiede können aber auch eine wertvolle Quelle der Zusammenarbeit sein. In der Community sprudeln die Ideen und es fällt ihr leicht, einfach mal etwas auszuprobieren. Die Verwaltung hingegen hat Ressourcen und Befugnisse, um Betrieb und Rechtssicherheit zu garantieren.

Kooperation mit der digitalen Zivilgesellschaft und dem digitalen Ehrenamt finden sich bereits im Koalitionsvertrag. Jetzt muss aber auch ein konkreter Plan folgen, wie diese Zusammenarbeit ausgestaltet werden kann.

Kooperation heißt ernst nehmen und fördern: Funktionierende und effektive Konzepte und Anwendungen müssen aufgegriffen, unterstützt und weiterentwickelt werden. Langjähriger lokaler Expertise muss auf Augenhöhe begegnet werden und digitales Ehrenamt Wertschätzung erfahren. Die Zivilgesellschaft ist eine gleichberechtigte Partnerin.

Vor allem braucht es aber ein stabiles digitales Fundament. Offene Daten sollten nicht als Mehraufwand angesehen werden. Langfristig sind diese das automatische Erzeugnis einer effizienten digitalen Verwaltungsarbeit. Auch Open Source Software nach dem Prinzip „öffentliches Geld, öffentliches Gut“ erleichtert die Entwicklung einer digitalen Verwaltung enorm und das Nachnutzungspotenzial durch engagierte Bürger*innen ist riesig – und wird nicht akkurat in wirtschaftlichen Kennzahlen erfasst.

Von der Civic Tech Community lernen heißt vor allem, den immensen Wert von offener Zusammenarbeit erkennen. Denn Gemeinwohlorientierung setzt auch Gemeinsames voraus!

Nora Titz studiert Politikwissenschaften an der FU Berlin und arbeitet aktuell als Community-Redakteurin für Code for Germany. Besonders interessiert sie das emanzipatorische Potential von digitaler Vernetzung und Civic Tech.

Ben Burmeister studiert Politikwissenschaften und Digitalpolitik an der Sciences Po Paris und der FU Berlin. Aktuell arbeitet er im Policybereich der Open Knowledge Foundation Deutschland. Er interessiert sich für Alternativen zur Machtkonzentration im digitalen Raum und das demokratische Potenzial digitaler Systeme.

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