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Werkstattbericht Die verlorene Kunst der Vereinfachung

Benjamin Seibel berichtet aus dem Alltag des Berliners Stadtlabors.
Benjamin Seibel berichtet aus dem Alltag des Berliners Stadtlabors. Foto: Privat

Es ist immer risikoärmer, eine weitere Abstimmungsschleife, einen weiteren Prüfschritt einzuziehen, als eine Entscheidung zu treffen und sie in die Tat umzusetzen. Warum gerade bei der Verwaltungsdigitalisierung ein Kulturwandel zu mehr einfachen Lösungen notwendig ist, erläutert Benjamin Seibel, Leiter des City Lab Berlin, in seinem Werkstattbericht.

von Benjamin Seibel

veröffentlicht am 11.12.2024

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Man sagt ja, Weihnachten sei die Zeit, in der sich die IT-Experten der Republik für ein paar Tage in ihre Elternhäuser zurückziehen, um dort das WLAN zu reparieren. Zur Einstimmung auf diese jährliche Tradition und zum Einstieg in diese Kolumne möchte ich Ihnen vier Handlungsoptionen anbieten, wie Sie sich diesem Problem, also der Instandsetzung des elterlichen WLAN-Netzes, nähern können. Entscheiden Sie selbst!

a) Sie beauftragen ein Beratungsunternehmen damit, eine Workshopreihe mit der gesamten Verwandtschaft durchzuführen, um möglichst viele Perspektiven auf Bedarfe und Anforderungen zur Nutzung des heimischen W-LANs zu sammeln und diese in einer Präsentation aufzubereiten.

b) Sie initiieren gemeinsam mit der lokalen Universität ein dreijähriges Forschungsprojekt über „Chancen und Risiken der Nutzung von WLAN unter besonderer Berücksichtigung familienpolitischer Aspekte“.

c) Sie bitten den Hausmeister, bis Ende 2026 ein detailliertes Schaltdiagramm aller Glasfaser- und Stromleitungen im Haus anzufertigen, inklusive einer nach Monaten aufgeschlüsselten Schätzung des Energieverbrauchs, der durch den Betrieb eines WLAN-Netzes entstehen könnte

d) Sie schalten den Router einmal aus und wieder an.

Wenn Sie a), b) oder c) geantwortet haben, dann herzlichen Glückwunsch – Sie empfehlen sich für einen Job bei der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung, wo wir die Kunst der subtilen Verkomplizierung perfektioniert haben. Nun sind es nur noch ein, zwei Schritte auf der Karriereleiter, bis Sie auf Fachkongressen Vorträge wie „Heimisches WLAN – Von der Idee zur Umsetzung“ halten können. Falls Ihre Eltern derweil nachfragen sollten, wann ie nun endlich wieder online gehen können, antworten Sie einfach, dass sich das Projekt „in Abstimmung“ befindet.

Verwaltungsdigitalisierung durch Kulturwandel beschleunigen

Aber genug der Häme, denn die Lage ist ernst und das Problem real. „Deutschland ist, denkt und handelt zu kompliziert“ diagnostizierte der Normenkontrollrat bereits 2021, aber eine Zeitenwende in der öffentlichen Verwaltung lässt bis heute auf sich warten. Um zu verstehen, dass dieser Zustand nicht nur lästig, sondern brandgefährlich ist, reicht aktuell ein Blick in die USA, wo Elon Musks krude Kahlschlag-Visionen für mehr „Regierungseffizienz“ nur deshalb verfangen können, weil ein Großteil der Wählerschaft offenbar das Vertrauen in die öffentlichen Institutionen verloren hat.

Eines der besten Bücher zur Verwaltungsdigitalisierung stammt vom Gründungsteam des britischen Government Digital Service. Es heißt „Digital Transformation at Scale“ und beginnt mit dem schönen und sehr wahren Satz: „Governments […] have a habit of confusing complexity with substance.“ Ein kompliziertes Vorgehen ist eben nicht zwangsläufig ein Ausweis besonderer Gründlichkeit oder Objektivität. Es führt bei der Entwicklung von Digitalprodukten auch selten zu besseren Ergebnissen.

Höchste Zeit also, die verlorene Kunst der Vereinfachung wiederzuentdecken. Was nicht ganz so leicht ist, wie es klingt. Man muss sich auf Widerstände einstellen, denn die Anreizsysteme der Verwaltungsarbeit sind so gestaltet, dass sie Verkomplizierung nahelegen und Vereinfachung erschweren. Es ist immer risikoärmer, eine weitere Abstimmungsschleife, einen weiteren Prüfschritt einzuziehen, als eine Entscheidung zu treffen und sie in die Tat umzusetzen. Wer zu pragmatisch vorgeht, macht sich schnell verdächtig, nicht die nötige Seriosität an den Tag zu legen.

Die Rehabilitierung des Einfachen ist deshalb ein ganz wesentlicher Aspekt des ominösen „Kulturwandels“, der häufig gefordert wird, ohne dass je klar wäre, was damit konkret gemeint sein könnte. Deshalb zum Abschluss drei Strategien, wie wir mit unserer Arbeit versuchen, pragmatische Wege zur Verwaltungsdigitalisierung zu erschließen:

1) Zugänge erleichtern: Nichts trägt bei der Digitalisierung mehr zur Klarheit bei als ein praktisches Erleben. Deshalb haben wir im CityLAB nicht nur ein eigenes Prototypen-Entwicklungsteam, sondern auch ein Software-Testlabor eingerichtet, in dem schon vorhandene Lösungen unkompliziert ausprobiert werden können. Statt aufwendige Vorstudien zu beauftragen, können sich Verwaltungsbeschäftigte bei uns ein eigenes Bild von einer vielversprechenden Lösung machen und technische Herausforderungen mit unserem Team diskutieren.

2) Einfacher sprechen: In einem von Buzzwords geprägten Digital-Diskurs kursieren viele unscharfe Begriffe, die zu Missverständnissen einladen und Verkomplizierungen nach sich ziehen. Der neue Metaverse-Cybertwin ist eigentlich nur eine ganz normale Datenbank? Dann nennen wir ihn vielleicht auch so. Klingt weniger futuristisch, aber dafür gleich viel machbarer.

3) Resonanz erzeugen: Vereinfachung hat nichts mit Bequemlichkeit zu tun, sie ist harte Arbeit, die Anerkennung verdient. Man braucht dafür Mut, Entscheidungen zu treffen, statt Verantwortung abzuschieben. Und man braucht strategischen Weitblick, um Wichtiges von Unwichtigem zu trennen. Wir nutzen deshalb jede Gelegenheit, Vereinfacher:innen ins Scheinwerferlicht zu stellen und Ihnen für ihr Engagement zu danken – auf dass sie ein Vorbild für andere werden können.

Ich wünsche Ihnen möglichst unkomplizierte Feiertage, wir lesen uns im nächsten Jahr!

Der promovierte Kultur- und Medienwissenschaftler Benjamin Seibel leitet das City Lab Berlin. Das 2019 gegründete Stadtlabor wird von der Berliner Senatskanzlei finanziert und der Technologiestiftung Berlin betrieben. Im City Lab arbeiten Teams aus der öffentlichen Verwaltung gemeinsam mit der Stadtgesellschaft und der Forschung an der Stadt der Zukunft.

Zuletzt von ihm in dieser Rubrik erschienen: „Irgendwas mit Digitalisierung?“, „Mein Besuch der Smart City Expo“, „Mut zu Risiko und gesundem Menschenverstand“, „Im Workshop-Hamsterrad“, „Wenn Labore erwachsen werden“, „Schriftliche Anfragen sind nur für analoge Verwaltungen ein Problem.

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