Die Vorteile von Smart-City-Systemen sind mittlerweile weithin bekannt. Dazu zählen beispielsweise die Optimierung von Verkehrsflüssen, die digitale Wohnsitz-Anmeldung und bessere Partizipationsmöglichkeiten für Bürgerinnen und Bürger bei der Stadtplanung. Allerdings stellt die Implementierung komplexer Digitalinfrastrukturen Städte, Gemeinden und Kreise oftmals vor große Herausforderungen. Ihnen fehlt es häufig an vorhandenen Kapazitäten und/oder der technischen Expertise, um Smart-City-Ökosysteme selbst zu entwickeln und einzusetzen oder detaillierte und nachhaltige Bedingungen für die Beschaffung zu erstellen.
So sehen sich viele Kommunen mit zwei pragmatischen Optionen konfrontiert. Die einfachere Option ist, umfassende und oftmals proprietäre Lösungen von Systemhäusern zu beschaffen – langfristige Serviceabkommen inklusive. Dies kann allerdings zu ökonomischen und technischen Abhängigkeiten führen, die dem technischen Fortschritt und dem künftigen Bedarf an bürgernahen Dienstleistungen möglicherweise nicht gerecht werden. Die rasante Entwicklung von generativer Künstlicher Intelligenz dürfte diese Problematik noch verschärfen.
Die andere Option ist, existierende Konzepte, oftmals best practices, eins zu eins zu kopieren. Aufgrund unterschiedlicher physischer, digitaler, politischer und/oder kultureller Unterschiede in den relevanten Gebietskörperschaften ist dies aber eher ein Ansatz für eng-definierte Einsatzzwecke und als kommunalweite Lösung wenig geeignet. Da sich zudem die finanziellen und praktischen Gegebenheiten von deutschen (und weltweiten) Gebietskörperschaften stark unterscheiden, existiert somit in den meisten Fällen eine breite Vielfalt an eingesetzten digitalen Systemen und Modulen.
Digitale Vielfalt braucht Interoperabilität
Eine solche Modularisierung ist einerseits wünschenswert, da es Innovation fördern kann und die Möglichkeit bietet, eine individuelle Kombination aus maßgeschneiderten Modulen zu implementieren anstatt Einheitslösungen. Andererseits setzt solch eine Vielfalt voraus, dass kommunale, regionale, nationale und gar internationale Systeme miteinander kommunizieren können, also interoperabel sind. So empfiehlt beispielsweise der vorgeschlagene Europäische Interoperabilitätsrahmen die „Einrichtung oder Konsolidierung interoperabler lokaler Datenplattformen, die Daten in Städten und Gemeinden integrieren und von Drittnutzerinnen und -nutzern wiederverwendet werden können“ (EIF4SCC , Recommendation 12) und dabei auf offene Standards und offene technische Spezifikationen, APIs und Datenmodelle setzen. Der EIF4SCC ist dabei in die Verordnung für ein interoperables Europa eingebettet, die die Entwicklung von gemeinsamen dezentralen Interoperabilitätslösungen, die auf allen Verwaltungsebenen verwendbar sind, voraussetzt.
Diesen Ansatz verfolgt auch der Durchführungsbeschluss für eine europäische Digitalinfrastruktur für vernetzte lokale digitale Zwillinge auf dem Weg zum Citiverse (LDT Citiverse EDIC). Damit wurde im Februar dieses Jahres die Basis geschaffen, um lokale digitale Zwillinge innerhalb Europas zu verbinden. Solche (fast) Echtzeit-Simulationsmodelle sollen virtuelle Darstellungen von physischen Vermögenswerten, Prozessen und Systemen einer Stadt anzeigen können. Dafür ist Daten-Interoperabilität auf mehreren Ebenen essenziell: lokal, wenn beispielsweise Ampelschaltungen auf wechselnde stadtweite Fahrtaufkommen reagieren; regional, wenn zwei angrenzende ÖPNV-Unternehmen ihr Streckennetz aufeinander abstimmen und gegenseitig auf Verspätungen reagieren; und (inter-)national, wenn Wasserstände und Wetterdaten zur Eindämmung von Überflutungen kombiniert und mit historischen Daten verglichen werden.
Für all das müssen also Daten zwischen Modulen und Systemen auf eine Art und Weise verfügbar gemacht werden, die Kompatibilität garantiert. Dies ist insbesondere für Kommunen ein großes Problem, da die eingesetzten Systeme oftmals sehr divers sind: Hardware-Limitierungen, zugrundeliegende Programmiersprachen, Schnittstellenverfügbarkeit, die Qualität der technischen Dokumentation – all das, und noch viel mehr, kann stark variieren. Existierende Standards können dabei helfen, sofern sie denn eingesetzt werden, was bei proprietären Systemen nicht immer der Fall ist. Aber selbst dann sind möglicherweise zwei weit verbreitete Standards nicht automatisch miteinander interoperabel.
MIMs: Ausreichende Interoperabilitätsmechanismen
Als gemeinnütziges globales Netzwerk von Städten und weiteren Gebietskörperschaften unterstützt Open & Agile Smart Cities & Communities (OASC) daher die Entwicklung von digitalen Interoperabilitätslösungen. Um eine nahtlose gemeinsame (Mehrfach-)Nutzung von Daten verschiedenster Systeme zu gewährleisten, arbeiten wir zusammen mit unseren kommunalen Mitgliedern, Partnern und unabhängigen Experten an den Minimal Interoperability Mechanisms (MIMs). Die MIMs gewährleisten „ausreichende“ Interoperabilität zwischen Modulen und Systemen, die unterschiedliche Standards verwenden. Sie werden in Arbeitsgruppen (weiter-)entwickelt, die sich mit technischen Kernaspekten von Interoperabilität beschäftigen: von Datenmodellen und Kontextinformationen bis hin zu personenbezogenen und Geo-Daten.
Wir verstehen die MIMs als ein technisches Instrument, um weltweit Kommunen dabei zu unterstützen, dass sie
- Daten einfacher (wieder-)verwenden können, auch wenn eigene und Partnersysteme unterschiedliche Technologien verwenden;
- kommerzielle Angebote im Rahmen der Beschaffung digitaler Systeme besser vergleichen und auf ihre derzeitige und künftige Interoperabilität hin überprüfen können;
- schneller auf technologischen Fortschritt reagieren und vielversprechende Lösungen einfach in existierende Systeme implementieren können.
Mehr Interoperabilität wagen
Derzeit arbeiten wir intensiv an der Entwicklung von Selbsttests, damit sowohl Kommunen als auch Anbieter ihre Lösungen auf MIMs-Konformität testen können. Die Implementierung ausgewählter MIMs wird für die Teilnahme an europäischen Smart-City-Projekten oftmals vorausgesetzt. Beispielsweise müssen Pilotstädte des Projekts European data space for smart communities (DS4SSCC-DEP) aufzeigen, wie die Konformität mit mehreren MIMs gewährleistet wird (die Bewerbung als Pilotstadt für die erste Runde läuft noch bis zum 31. August 2024). Ebenso sind sie ein fester Bestandteil der Support services for EU smart communities („LDT toolbox“). Das Projekt hilft europäischen Kommunen bei der Entwicklung eines Smart-City-Aktionsplans und wird unter anderem Beschaffungsvorlagen für Smart-City-Komponenten und Module anbieten, die allen europäischen Kommunen kostenlos zur Verfügung gestellt werden, und auch auf Deutsch verfügbar sein werden.
Diese Beispiele und regelmäßiger Austausch mit unseren Mitgliedern aus aller Welt zeigen, dass Interoperabilität eine Kernaufgabe für die Entwicklung von Smart-City-Ökosystemen darstellt und großer Bedarf an Lösungen besteht. Wir sind davon überzeugt, dass bessere – und zumindest ausreichende Interoperabilität – einen wesentlichen Beitrag zur Bewältigung der Folgen des Klimawandels, von Urbanisierung, des demographischen Wandels und weiteren kommunalen Herausforderungen leisten kann.
Dabei wollen wir die existierenden deutschen Initiativen und individuellen Kommunen in Deutschland unterstützen und mit ihnen gemeinsam daran arbeiten, Smart-City-Ökosysteme interoperabler zu gestalten – und das auf lokaler bis hin zu europäischer (und globaler) Ebene.
Gert Hilgers arbeitet als Local Digital Twin Strategist bei Open & Agile Smart Cities & Communities (OASC). Unter anderem unterstützt er das Support services for EU smart communities („LDT toolbox“) Projekt und koordiniert die MIM Arbeitsgruppe 6: „Security Management“.