Standpunkte Kommunen unter Druck: Wege aus der Investitionskrise




Das Sondervermögen Infrastruktur soll die notwendigen kommunalen Investitionen fördern. Doch damit Mittel wirklich ankommen, braucht es klare Zuständigkeiten, schnellere Prozesse – und neue Partnerschaften zwischen Staat und Wirtschaft.
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Jetzt kostenfrei testenDie Infrastruktur in Deutschland steht unter Druck, insbesondere vor Ort, in den Kommunen. Zwar sind Städte und Gemeinden starke Player im fiskal-föderalen Gefüge; sie tätigen rund 70 Prozent der öffentlichen Sachinvestitionen. Gleichzeitig stehen ihnen aber nur rund 15 Prozent der Steuern und steuerähnlichen Abgaben zu. Sie sind folglich wie keine andere Ebene von Zuweisungen abhängig, um ihre Aufgaben erfüllen zu können.
Der kommunale Finanzierungssaldo, der die Einnahmen abzüglich der Ausgaben klassifiziert, weist bundesweit aktuell ein substanzielles Defizit von 24,3 Milliarden Euro aus. Hohe Kosten bei Sozialleistungen wie der Grundsicherung für Arbeitssuchende, der Jugend- oder der Eingliederungshilfe sowie die Personalausgaben sind enorm gewachsen. Zwar erhöhten sich auch die Steuereinnahmen moderat (seit 2024 hingegen schon schwächer), durch die geringe eigene kommunale Steuerbasis wirkt dies jedoch keineswegs entlastend, im Gegenteil.
Kommunale Transformationsaufgaben fiskalisch schwer zu stemmen
Die derzeitige wirtschaftliche Stagnation, wie jüngst im Sachverständigenrat-Jahresgutachten prognostiziert, trifft die kommunalen Haushalte zusätzlich; eine dauerhafte strukturelle Schieflage ist absehbar. In den Städten und Gemeinden besteht somit kaum finanzieller Spielraum für neue Aufgaben, wie etwa der Verkehrs- oder Wärmewende, bei Klimaschutzmaßnahmen, Digitalisierung oder der Infrastrukturinstandhaltung.
Inwiefern allein der kommunale Investitionsrückstand – laut KfW-Kommunalpanel auf aktuell 186 Milliarden Euro beziffert – abgebaut werden soll, ist unklar. Klar ist vielmehr, dass ein massiver Investitionsstau eine maßgebliche Ursache für die schwache wirtschaftliche Lage der Bundesrepublik darstellt. Nicht zuletzt deshalb fordert der Deutsche Städtetag seit längerem einen höheren Anteil für Kommunen an den Gemeinschaftssteuern.
Sondervermögen Infrastruktur nur ein Impuls
Das Sondervermögen Infrastruktur zielt vor diesem Hintergrund nunmehr auf einen entlastenden Impuls. Bei zielgenauer Anwendung und flankierenden Strukturreformen besteht damit die Chance, den jahrelangen Investitionsrückstau ein Stück weit aufzuholen. Für Investitionen der Länder und Kommunen ist hier in den nächsten zwölf Jahren ein Volumen von bis zu 100 Milliarden Euro vorgesehen.
Zusätzlich ist zu erwarten, dass die dem Klima- und Transformationsfonds zugewiesenen Mittel in Höhe weiterer 100 Milliarden Euro auch in den Ländern und Kommunen genutzt werden können. Zudem werden die Investitionsspielräume noch einmal dadurch erhöht, dass die Länder sich nunmehr mit 0,35 Prozent des BIP strukturell verschulden dürfen.
Straffere Prozessorganisationen notwendig
Spannend wird indes die Frage, wie sich das Geld vor Ort „auf die Straße“ bringen lässt. Nicht selten fehlen in Verwaltungen und der Bauwirtschaft entsprechendes Personal und Fachkräfte. Gleichzeitig sind verwaltungsseitig Planung, Vergabe und Bau notwendigerweise zu beschleunigen, damit Infrastrukturprojekte schneller und unbürokratischer umgesetzt werden können. Laut einer Praxisstudie des Kowid und KPMG Law liegt hierbei der Schlüssel weniger in der Änderung des Rechtsrahmens, sondern in prozessualen Verbesserungen.
Hier bleiben bislang viele Potenziale ungenutzt: Digitale Prozesse in den Verwaltungen, straffere Projektorganisationsstrukturen mit präziser Zieldefinition und klaren Verantwortlichkeiten, besserer Logistik und ein strukturiertes Bauzeitenmanagement sowie eine Überwindung der Trennung von Planung und Bau, die enorme Zeitverluste nach sich ziehen, sind essenziell und können relativ zügig und unproblematisch angegangen werden. Auch ist eine gewerkeweise Vergabe – wie häufig angewandt – bei strategischer Infrastruktur wenig hilfreich. Dort, wo Nachhaltigkeit, Zeitdruck oder Betrieb komplex ineinandergreifen, kann eine Generalunternehmervergabe (aus einer Hand) Zeit, Geld und Kapazitäten sparen. Zudem ist der Vergabeprozess zu beschleunigen. Dass Vergaben Monate oder Jahre dauern, liegt selten am Gesetz – und fast immer an interner Abstimmung und fehlender Planung.
Privates Kapital als Hebel
Auch sollte privates Kapital für öffentliche Infrastrukturen mobilisiert werden – ohne die öffentliche Daseinsvorsorge zu privatisieren. Das aktuelle Diskussionspapier des Sustainable-Finance-Beirats der Bundesregierung liefert hierzu richtungsweisende Impulse. Es zeigt auf, wie durch nachhaltige revolvierende Finanzierungsansätze und langfristige Förderkredite sowie institutionalisierte Kooperationen zwischen öffentlicher Hand und Privatwirtschaft zukunftsgerichtet Infrastrukturen finanziert werden können. Die Entwicklung skalierbarer Anlageprodukte mit vertretbarem Rendite-Risiko-Profil ist dabei ebenso zentral wie passfähige Rahmenbedingungen für institutionelle Investoren. Damit ließen sich privates Kapital in größerem Umfang generieren und Prozesse effizienter gestalten.
Privates Kapital kann insbesondere dort eine tragende Rolle spielen, wo klassische Förderinstrumente wie Zuschüsse an fiskalische Grenzen stoßen oder zusätzliche Hebelwirkung gefragt ist. Förderbanken – sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene – sollten ihr Instrumentarium neben Förder- und Konsortialkrediten um eigenkapitalstärkende Produkte wie Hybrid- oder Nachrangdarlehen erweitern. Zinssubventionierte Förderkredite, partielle Risikoübernahmen über Garantien und Bürgschaften oder anteilige Kapitaleinlagen in Infrastrukturfonds erscheinen sinnvoll, um gezielt Risiken zwischen öffentlichen und privaten Investoren zu teilen und Planungssicherheit zu erhöhen. Bundes- oder Landesgarantien können Investitionen absichern – insbesondere in der Planungs-, Genehmigungs- und Frühbauphase.
Nachhaltige Finanzierungskreisläufe erzeugen
Ein Ansatz mit besonderem Potenzial liegt in der revolvierenden Finanzierung: Werden Mittel über Projektzyklen hinweg zurückgeführt und erneut nutzbar gemacht, entsteht ein nachhaltiger Finanzierungskreislauf. Eine solche Mittelbindung mit Rückflussmechanik kann nicht nur finanzielle Spielräume erweitern, sondern die Wirkung öffentlicher Mittel deutlich steigern. Elemente dieses Prinzips werden bereits erfolgreich in einzelnen kommunalen Finanzierungsfonds oder bei EU-Instrumenten wie „InvestEU“ oder „Just Transition Fonds“ angewendet. Revolvierende Förderinstrumente sollten breiter in nationalen und regionalen Förder- und Haushaltsstrukturen genutzt werden.
Darüber hinaus lohnt ein systematischer Blick auf die kommunalen Unternehmen: In deren Bilanzstruktur liegt oft bislang ungenutztes Potenzial. So empfiehlt etwa der Bundesverband Öffentlicher Banken Deutschlands (VÖB), dass Fremdkapital an kommunale Gesellschafter für deren Stadtwerke gezielt als wirtschaftliches Eigenkapital eingesetzt werden sollte, um deren Investitions- und Finanzierungsspielräume zu vergrößern. Auch Förderprogramme, die substanzstärkend wirken oder gezielt auf Projekte mit hohem Innovationscharakter zugeschnitten sind, wie in der Wasserstoffwirtschaft oder bei Wärmenetzen, können zusätzliche Dynamik entfalten.
Kommunale Transformation wirtschaftlich und föderal übergreifend denken
Die Transformation und nachhaltige Finanzierung kommunaler Infrastruktur verlangen nicht nur nach finanzieller Schlagkraft, sondern nach einem strategischen Schulterschluss. Politische Koordination – zwischen Bund, Ländern und Kommunen – sowie sektorübergreifende Zusammenarbeit mit Wissenschaft, Real- und Finanzwirtschaft werden entscheidend sein, um Projekte nicht nur anzustoßen, sondern auch zügig umzusetzen und auf andere Kommunen übertragbar zu machen.
Dafür braucht es politische Zielklarheit, administrative Umsetzungskapazitäten und neue Formen des Wissenstransfers. Transformation gelingt nur gesamtstaatlich – pragmatisch, mit klarer Vision und im Bewusstsein, dass es sich um ein gesamtgesellschaftliches Projekt handelt. Die Jahre 2025 und 2026 werden dabei zu einer entscheidenden Wegmarke: Es gilt, neue Allianzen zu schließen, Investitions- und Finanzierungsstrukturen neu zu denken – und die Kommunen zu befähigen, diese Aufgaben vor Ort auszufüllen: als zentrale Gestalter der Transformation.
Katrin Leonhardt ist Vorsitzende des Vorstandes der Sächsischen Aufbaubank-Förderbank (SAB). Oliver Rottmann ist Geschäftsführer und erster Vorstand bei Kowid – Kompetenzzentrum Öffentliche Wirtschaft, Infrastruktur und Daseinsvorsorge e.V. an der Universität Leipzig.
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