Im vergangenen Jahr sind die Anbieter autonomer Fahrzeuge wie Waymo und Cruise immer wieder in die Schlagzeilen geraten. Es reihten sich Meldungen über Unfälle, eine fast komplett stillgelegte Flotte wegen ausgefallener Internetverbindung oder mit Verkehrskegeln fahrunfähig gemachte Fahrzeuge aneinander. Und jetzt auch noch eine wütende Menge, die in San Francisco ein autonomes Auto in Brand steckt.
Sicher: Das ist alles in den USA passiert. Doch dort laufen auch die meisten Testbetriebe. Hierzulande verzögern sich indes Pilotprojekte, unter anderem wegen fehlender Genehmigungen, werden Tests nach enttäuschenden Ergebnissen abgebrochen oder bleiben sehr eingeschränkt in kontrollierten Umgebungen. Dabei verspricht autonomes Fahren eine komfortablere und sicherere Mobilität als bislang. Woran hakt es nun?
Apples jüngst berichteter Rückzug vom Markt für autonome Autos gibt einen ersten Eindruck. Zum einen geht es um voraussichtlich geringe Margen, zum anderen um technische Herausforderungen bei der Entwicklung vollautomatisch fahrender Autos. Denn die großen Versprechungen der Autohersteller haben einerseits unrealistische Erwartungen und andererseits unnötige Ängste geschürt.
Schon vor über zehn Jahren versprach General Motors etwa, dass die autonome Technik sehr bald sicherer fahren könne als ein Mensch. Impliziert war das Versprechen, autonomes Fahren auf Level fünf zu ermöglichen – also vollautomatisiert, ohne Sicherheitsfahrer oder Fernsteuerung, im gesamten Verkehrsraum. Tatsächlich begegnen Unternehmen schon bei autonomem Fahren auf Level vier – das ist vollautomatisches Fahren auf festgelegten Strecken – großen technischen und regulatorischen Hürden.
Schritt für Schritt statt Hauruck-Verfahren
Ein Teil der Krux: Menschen fühlen Unbehagen angesichts vollständig autonom fahrender Autos. Es war eine äußerst schlechte Idee, von Menschen nicht kontrollierbare oder auch nur einschätzbare Maschinen in einer Umgebung loszulassen, die seit über 100 Jahren auf den menschlichen Individualverkehr zugeschnitten wurde. Solange sie einen gewissen Grad von Kontrolle über ein Auto haben, ist auch die Akzeptanz gegeben.
Autofahrerinnen und -fahrer begrüßen automatische Fahrassistenzsysteme, die in der Klassifizierung unter Level zwei bis drei laufen. Einparkhilfen, Spurhalteassistenten oder ähnliche Techniken helfen, das Fahrerlebnis zu verbessern. In vielen Situationen lenkt die Technik das Auto dabei bereits sicherer als ein Mensch am Steuer. Der wütende Aufschrei über diese Möglichkeiten bleibt aus. Auch autonome Schienenfahrzeuge wie die Metro in Paris oder die Shuttle-Züge am Frankfurter Flughafen sind völlig akzeptierte Fortbewegungsmittel. Diese bewegen sich jedoch in einem eigenen Verkehrsraum, abgetrennt vom alltäglichen Straßenverkehr.
Ein weiterer Aspekt, der zu der Skepsis gegenüber autonomen Fahrzeugen beiträgt, ist das fehlende Verständnis über den tatsächlichen Stand der Technik. Die großen Versprechungen von prominenten Stellen haben hier den Blick getrübt. Vollautomatisch selbstfahrende Autos werden noch mindestens zehn Jahre brauchen, bis sie wirklich reif sind. Und dass die Hersteller Umsätze mit solchen Fahrzeugen machen können, sodass sich eine Serienproduktion für sie lohnt, liegt entsprechend weit in der Zukunft.
Was hilft also nun? Zunächst benötigen wir einmal eine realistische Bestandsaufnahme. Im Kontext der Ethik autonom fahrender Autos wird häufig darüber diskutiert, wie autonome Autos sich bei einem Dilemma verhalten sollten, wenn sie vor der Wahl stehen, zum Beispiel einen alten Menschen oder ein Kind zu überfahren. Die zugrundeliegende Frage stellt sich aber überhaupt nicht. Einerseits, weil die Realität komplexer ist als in diesem Gedankenspiel und andererseits, weil die Technik so viel Kontext, wie hier nötig wäre, noch gar nicht erfassen kann. Dazu kommt ein weiterer Unterschied in der Wahrnehmung: Macht ein Mensch einen Fehler, dann ist das akzeptabel. Passiert eben. Verursacht aber ein durch Software gesteuertes Auto einen Schaden, dann ist der Unmut zu Recht groß.
Auch regulatorisch sind längst noch nicht alle offenen Fragen geklärt. Für fahrerlose Testprojekte müssen die Anbieter komplizierte Verfahren für Einzel- und Sondergenehmigungen durchlaufen. Gesetzliche Voraussetzungen sind in Deutschland zudem bislang nur für Fahren auf Level vier geschaffen. Vollumfänglich autonome Fahrzeuge im Straßenverkehr sind Stand jetzt sowohl politisch als auch wirtschaftlich noch Zukunftsmusik.
Danach müssen alle Verantwortlichen eine ehrliche, sachliche Kommunikation an den Tag legen und das Thema nüchtern diskutieren. Insbesondere die potenziellen Vorteile autonomer Fahrzeuge sollten hier im Fokus stehen, darunter:
- verbesserte und flexiblere Mobilität in ländlichen Umgebungen sowie für mobilitätseingeschränkte Menschen
- Reduzierung der Fahrzeugmenge in Städten – und damit mehr Gestaltungsraum für Menschen
- deutliches Eindämmen des innerstädtischen Verkehrs
- Abfederung des Fachkräftemangels im ÖPNV
Diese Aspekte gehen bislang häufig unter in einem emotional aufgeladenen Diskurs. Um Vertrauen aufzubauen, müssen die Hersteller außerdem Transparenz schaffen. Nur wenn sie beantworten können, warum ihre Systeme in welchen Situationen welche Entscheidungen treffen, können sie der grassierenden Skepsis entgegenwirken. Eine grundlegende Voraussetzung ist darüber hinaus, die Frage nach der Haftung für Unfälle und Schäden eindeutig zu klären.
Zukunftsaussichten: Selbstfahren als Hobby
Anstelle von Science-Fiction ist also eine sachliche Kommunikation seitens politischer und wirtschaftlicher Akteure hilfreich, um die aufgeheizten Gemüter wieder etwas zu beruhigen. Dann sind die Menschen sicherlich auch wieder zugänglich für die Vorteile der neuen Mobilität. Denn wenn die technischen und regulatorischen Voraussetzungen erst einmal geschaffen sind, kann der Wandel zügig voranschreiten. Bis dahin wird es voraussichtlich noch Jahrzehnte dauern. Und ganz verschwinden werden Menschen am Steuer wohl nie. Im Straßenbild der Zukunft werden wir anstelle von unzähligen entnervten Pendlern einzelne Enthusiasten sehen, die „aktives“ Fahren zu ihrem Hobby gemacht haben.