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Standpunkte Ansteckungsgefahr im Testzentrum

Axel Plaß, Präsident Bundesverband Spedition und Logistik (DSLV)
Axel Plaß, Präsident Bundesverband Spedition und Logistik (DSLV) Foto: DSLV

Die von Deutschland eingeführten Grenzkontrollen führen zu einer Kettenreaktion in Europa, beklagt Verbandspräsident Axel Plaß. Zur Sicherung der Lieferketten braucht es seiner Ansicht nach europaweit gültige Ausnahmetatbestände von Test- und Quarantänepflichten für Beschäftigte im Güterverkehr. So handhabt es Schweden.

von Axel Plaß

veröffentlicht am 18.02.2021

aktualisiert am 09.01.2023

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Sie erinnern sich sicherlich noch an die Bilder aus dem Frühjahr 2020: kilometer- und tagelange Staus, unterbrochene Lieferketten und Versorgungsengpässe im Handel und in der Industrie, nachdem Deutschland seine Grenzen zur Eindämmung des Corona-Virus zeitweilig geschlossen hat. Diese Belastungsprobe gerade auch für die in der Logistik Beschäftigten wiederholte sich während der Weihnachtstage des vergangenen Jahres auf dramatische Weise in Südengland, als Frankreich in Sorge vor der Ausbreitung einer Virenmutation die dortige Grenze temporär schloss.

Daraus sollten eigentlich zwei Lehren gezogen worden sein: Zum einen lässt sich ein Virus kaum an Landesgrenzen aufhalten und zum anderen braucht es zur Sicherung von europäischen Lieferketten europaweit gültige Ausnahmetatbestände von Test- und Quarantänepflichten für Beschäftigte im Güterverkehr, damit die Logistik ihren Versorgungsauftrag für Bevölkerung und Unternehmen zuverlässig erfüllen kann. Noch unter deutscher Ratspräsidentschaft hat die europäische Staatengemeinschaft deshalb den Green-Lanes-Leitlinien der EU-Kommission zugestimmt und gemahnt, die Volkswirtschaften nicht noch mehr durch eine Behinderung des grenzüberschreitenden Warenflusses zu schädigen. 

Genau diesen Fehler scheint Deutschland derzeit zu wiederholen. Am Sonntag, den 14. Februar 2021, wurden von deutscher Seite aus nach dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland, Irland und Portugal nunmehr auch die Slowakei, Tschechien und das Bundesland Tirol zu Virusvarianten-Gebieten erklärt. Seitdem müssen auch im Transportsektor Beschäftigte ihre Einreise – selbst wenn sie nur im Transit durch die jetzt von Deutschland zu Virusvarianzgebieten erklärten Regionen fahren – anmelden und einen zertifizierten Corona-Negativtest vorweisen. Diese neuen Hürden führten erneut unmittelbar zu Grenzstaus und weiträumigen Umfahrungen, wodurch im Ergebnis gestörte Lieferketten drohen. 

Speditionshäuser werden Lieferzusagen nicht einhalten können

Trotz Coronakrise konnte die Logistikbranche die Industrie- und Handelsunternehmen durch die Erschließung zusätzlicher Beschaffungs- und Absatzwege bislang immer noch flexibel und zuverlässig mit Gütern und Waren beliefern. Die Systemrelevanz der Logistik ist offensichtlich. Dennoch wird ihr Versorgungsauftrag durch das nicht harmonisierte Einreiserecht zahlreicher EU-Mitgliedstaaten massiv erschwert. Speditionshäuser werden bedarfsgerechte Lieferzusagen unter diesen Voraussetzungen nicht mehr einhalten können.

Auch wenn mit der erneut verschärften Corona-Einreiseverordnung ein grundsätzlich nachvollziehbares Bemühen der Bundesregierung zur Pandemie-Eindämmung vollzogen wurde, dürfen wir jetzt nicht wieder zu einer einzelstaatlichen Politik geschlossener Grenzen wie im März 2020 zurückkehren. Die EU-Mitgliedstaaten müssen auf die dynamische Pandemieentwicklung natürlich entschieden reagieren – aber als Gemeinschaft und mit Folgeabschätzungen der eingeleiteten Maßnahmen für die Wirtschaft in ganz Europa.

Beim Güterverkehr jedenfalls setzt die Bundesregierung an der falschen Stelle an. Besonders Lkw-Fahrer*innen kommen wie Lokführer*innen, Schiffsbesatzungen und Flugpersonal während ihrer grenzüberschreitenden Touren und selbst bei Be- und Entladungen kaum mit anderen Menschen in Kontakt. Denn die Logistikbranche hat von Beginn an konsequent gehandelt, indem sie ihre Mitarbeiter weitgehend von zu Hause aus arbeiten lässt und umfassende Hygienekonzepte überall dort umsetzt, wo Menschen zur Aufrechterhaltung der Lieferkette vor Ort zusammenarbeiten müssen. Da wundert man sich, warum nun unzählige Fahrer*innen in Testzentren aufeinandertreffen müssen.

Die jetzt hastig beschlossenen Maßnahmen stellen die Speditions-, Transport- und Logistikbranche erneut vor erhebliche Planungsschwierigkeiten. Die Anordnung vom Freitag hat viele Unternehmen und ihre Fahrer*innen kalt erwischt. Sie waren auf ihren grenzüberschreitenden Rundläufen längst unterwegs – und müssen nun kurzfristig einen Test auftreiben, der anerkannt wird. Offen bleiben Fragen der praktischen Umsetzung, die durch die fehlende Synchronisation mit den weiter geltenden Quarantäneverordnungen der Bundesländer zusätzlich erschwert wird. Deutsche Speditionshäuser beschäftigen tausende von Menschen als Fahrer*innen, als Lager- und Logistikfachkräfte und kaufmännische Mitarbeiter*innen, die ihren Wohnsitz im grenznahen Ausland haben. Es fehlen (Schnell-)Testkapazitäten, einheitliche Quarantäneregelungen und Ausnahmen für den Transportsektor, die sich am Bedarf der logistischen Praxis orientieren.

Umwege von mehreren hundert Kilometern

Dass es derzeit verglichen zum Frühjahr 2020 noch ruhig an den Grenzen zugeht, liegt vor allem an der Flexibilität der Logistik. Zum Teil können Waren auf die Schiene verlagert werden, zum Teil werden Umwege von mehreren hundert Kilometern in Kauf genommen, um beispielsweise den Brenner zu umfahren. Denn auf die restriktiven deutschen Einreisebestimmungen hat Österreich bereits reagiert: Um endlose Rückstaus zu vermeiden, begrenzt die Alpenrepublik ihrerseits die Zufahrt und damit den Transit aus Italien kommender Lkw. Eine Kettenreaktion einzelstaatlicher Einreisevorschriften mit verheerenden Folgen – und eine Eskalation mit Ansage. Deutschland hat ad hoc eine Maßnahme umgesetzt, ohne sie vorbereitet zu haben. Das Problem wurde auf die Nachbarstaaten verlagert.

Dabei gibt auch gute Beispiele in Europa. So hat Schweden die Green-Lanes-Leitlinien sehr klar und ohne Interpretationsspielraum eingeführt: Die vorübergehenden Einreisebeschränkungen gelten nicht für Transportpersonal – selbst dann nicht, wenn sie auf dem Weg zu oder von ihrem Fahrzeug, Flugzeug oder Schiff (zur Durchführung oder nach Beendigung eines Transportvorgangs) Grenzen überschreiten. So bleibt am Ende nur die Forderung nach europaweit verbindlichen Regelungen, die Grenzen für den Waren- und Güterverkehr offenhalten und gleichzeitig den Schutz der Gesundheit und die Versorgungssicherheit garantieren.

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