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Verkehr & Smart Mobility

Standpunkte Autonomes Fahren aus dem ÖPNV heraus denken

Martin Schmitz, VDV-Geschäftsführer Technik
Martin Schmitz, VDV-Geschäftsführer Technik Foto: VDV

Ohne intelligente Regulierung des autonomen Verkehrs drohen der Mobilität der Zukunft unerwünschte Effekte, warnt VDV-Geschäftsführer Martin Schmitz. Der Regelbetrieb autonomer Fahrzeuge solle vor allem im öffentlichen Personenverkehr möglich sein, schreibt er im Gastbeitrag.

von Martin Schmitz

veröffentlicht am 28.08.2020

aktualisiert am 12.07.2022

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Große Veränderungen stehen an: Zum einen beschleunigt sich der Trend zur Digitalisierung durch die Pandemie. Zum zweiten bestehen die Einsicht und der Wille in die politische Notwendigkeit, endlich eine nachhaltige Verkehrswende zu schaffen, um die Klimaschutz- und Luftreinheitsziele zu erreichen. Die Mobilität steht damit vor einem tiefgreifenden Wandel.

Im Zentrum der Entwicklung steht der öffentliche Nahverkehr: Damit zukünftige intermodale und bedarfsgesteuerte Mobilitätskonzepte ihr volles Potenzial entfalten können, ist insbesondere die Automatisierung und Vernetzung der Verkehrsträger notwendig.

Durch autonomes Fahren können neue Mobilitätsangebote dort geschaffen werden, wo sie heute noch fehlen oder rein betriebswirtschaftlich nicht tragbar sind. Sei es als bedarfsgesteuertes Ridepooling-System („BerlKönig“) oder als Ergänzung zum klassischen Linienbetrieb in der Stadt oder auf dem Land. Sowohl die Megafon-Studie, als auch die Lissabon-Studie der OECD haben das Potenzial einer automatisierten Verkehrswelt hervorgehoben.

Durch ein Nahverkehr-integriertes, hierarchisches Verkehrsnetz mit Schienenfahrzeugen, Großraumbussen und Kleinfahrzeugen kann der Verkehr sicherer, umweltfreundlicher und effizienter werden. Deshalb muss dem Bus- und Bahn-System eine zentrale, integrierende Rolle im Verkehrssystem der Zukunft zugedacht werden. Daraus folgt auch: Eine zukunftsfeste Regulierung erfordert für die Kommunen wesentliche Steuerungsinstrumente.

Vor der Beschleunigung steht die Genehmigung

Doch bis der Betrieb mit selbstfahrenden Kleinbussen im Straßenraum starten kann, haben die Unternehmen langwierige, umfangreiche Genehmigungsverfahren zu durchlaufen. Zwar haben die technischen Dienste und die Länder in den vergangenen Monaten eine erste Genehmigungspraxis entwickelt, doch ein echter Regelbetrieb mit vollautomatisierten und vor allem fahrerlosen Fahrzeugen wird dadurch noch nicht ermöglicht.

Fest steht: Aus verkehrlicher Sicht könnte der Probebetrieb nahtlos in das Angebot der Verkehrsunternehmen integriert und eine Konzession für die Personenbeförderung erteilt werden.

Die Verkehrsunternehmen erproben gegenwärtig mit Industrie- und Forschungspartnern auf bundesweit über 40 digitalen Testfeldern die sinnvolle technische und betriebliche Integration selbstfahrender Fahrzeuge – derzeit stets noch mit Sicherheitsfahrer an Bord. Um Betreibern, Behörden und Kommunen ausreichend Planungs- und Rechtssicherheit zu geben und einen fahrzeugführerlosen Betrieb zu ermöglichen, bedarf es dringend weiterer Harmonisierung durch verbindliche technische Anforderungen an fahrerlose Fahrzeugsysteme und eines einheitlichen Rechtsrahmens für die Zulassung und den Betrieb von Kraftfahrzeugen mit autonomen Fahrfunktionen.

Umso mehr begrüßen die VDV-Mitgliedsunternehmen die Aktivitäten der Bundesregierung zum Regelungsvorhaben „Autonomes Fahren in festgelegten Betriebsbereichen“ und der damit verbundenen Umsetzung von fahrerlosen Mobilitätskonzepten. Auch der VDV erarbeitet als Branchenverband dazu derzeit Vorschläge.

Aufbauend auf dem Erfahrungswissen um die betrieblichen Besonderheiten der Personenbeförderung, den Genehmigungserkenntnissen der Pilotprojekte und der ÖPNV-immanenten Sicherheits-Philosophie muss der Blick dafür geschärft werden, neue technologische Anwendungen des autonomen Fahrens im ÖPNV zu konzipieren.

Konzeption und Zielvision eines „Level 4 ÖV“

Primäres Ziel muss es sein, den Regelbetrieb von Kraftfahrzeugen mit autonomen Fahrfunktionen in den spezifischen Anwendungsfällen des öffentlichen Nahverkehrs zu ermöglichen. Eine dauerhafte Überwachung durch einen Fahrzeugführer wird dabei nicht mehr erforderlich sein. Die Systemgrenzen werden vom Fahrzeug selbst erkannt, sodass es in der Lage ist, jederzeit einen risikominimalen Zustand herzustellen.

Die menschliche Überwachung des Gesamtsystems erfolgt durch die verstärkte Einbindung von Leitstellen. Sie können dabei künftig dem Fahrzeug „Fahrmanöver“ erteilen, es aus der Ferne deaktivieren oder wieder freischalten. Ein fahrzeugführerloser Betrieb von Kraftfahrzeugen im öffentlichen Straßenraum, eingebettet in Leitstellen zur Betriebsüberwachung und -lenkung geeigneter öffentlicher Verkehrsunternehmen als Betreiber, entspricht dabei als „Stufe 4 ÖV“ den Bedürfnissen des ÖPNV und den erwartbaren Fähigkeiten der Technik.

Öffentlicher Verkehr als Integrator automatisierter Verkehrsangebote

Für die zukünftigen Rahmenbedingungen automatisierter Verkehre sind vielfältige Rechtsanpassungen notwendig. Neben den straßenverkehrs- und zulassungsrechtlichen Vorschriften betrifft dies auch das Personenbeförderungsrecht. Die Regelungen sollten durch eine klare Gewichtung zugunsten von Bahn, Bus, Fahrrad und Fußverkehr geprägt sein.

Die Fahrgäste werden neue Mobilitätsmöglichkeiten zur Auswahl haben. Den Bedarf an Fachkräften wird die Automatisierung dabei nicht mindern. Doch ihre Rolle wird sich teilweise ändern: Welche Qualifikationen benötigen wir in der Welt von morgen? Wie gelingt es uns, neue Berufsbilder zu entwickeln, um Menschen für die neue Technologie zu begeistern? Wie stemmen wir den Bedarf an qualifizierter beruflicher Aus- und Weiterbildung? Die neuen technischen Möglichkeiten bedürfen neuer Konzepte auf allen Ebenen der Mobilität.

Auf dem heute stattfindenden VDV-Symposium zum autonomen Fahren moderiert Martin Schmitz unter anderem die Diskussion „New ways of Mobility“ mit Hans Bekkers vom VDL, Stefan Häfner, Leiter des Projekts autonomes Fahren bei der R+V Versicherung, Valerie von der Tann, General Manager von ViaVan in Berlin und Jochen Erlhof, Geschäftsführer der Mainzer Verkehrsgesellschaft.

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