Erweiterte Suche

Verkehr & Smart Mobility

Standpunkte Der wirtschaftlichste Bieter darf nicht der billigste sein

Tim-Oliver Müller, Geschäftsführer Hauptverband der Deutschen Bauindustrie
Tim-Oliver Müller, Geschäftsführer Hauptverband der Deutschen Bauindustrie Foto: Hauptverband der Deutschen Bauindustrie

Verkehr und Klimaschutz passen zusammen, die Bauindustrie kann mit innovativen Lösungen den Ressourcenverbrauch und Schadstoffemissionen senken. Sie müssen aber auch bestellt werden. Die Branche fordert deshalb, dass auch die durch den Bau beeinflussbaren CO2-Emissionen in Form eines Schattenpreises bei Ausschreibungen berücksichtigt werden.

von Tim-Oliver Müller

veröffentlicht am 12.10.2023

Lernen Sie den Tagesspiegel Background kennen

Sie lesen einen kostenfreien Artikel vom Tagesspiegel Background. Testen Sie jetzt unser werktägliches Entscheider-Briefing und erhalten Sie exklusive und aktuelle Hintergrundinformationen für 30 Tage kostenfrei.

Jetzt kostenfrei testen
Sie sind bereits Background-Kunde? Hier einloggen

Autos, Autobahnen, Tempolimit: Über kaum einen Bereich wird in Deutschland so engagiert gestritten wie über Verkehr und seinen Beitrag zum Klimaschutz. Scheinbar zu Recht: Im Vergleich zum Referenzjahr 1990 sind die Emissionen nicht gesunken. Doch: Wie immer lohnt sich der Blick ins Detail.

Denn die in der Öffentlichkeit immer wieder aufgestellte Behauptung, im Verkehr hätte sich nichts getan, ist falsch. Moderne Lastkraftwagen und Autos sind deutlich ressourcenschonender und effizienter als in der Vergangenheit. Alternative Antriebe und neue Kraftstoffe haben sich nach anfänglicher Skepsis fest am Markt etabliert. Das einzelne Fahrzeug stößt deutlich weniger CO2 aus als 1990. Dass der Verkehr seinen Beitrag trotzdem nicht ausreichend leisten kann, liegt darin, dass die Mobilität in den letzten 30 Jahren rasant zugenommen hat. 

Der von einigen erhoffte Effekt, Corona könnte hier zu einer Trendumkehr führen, hat sich nicht bewahrheitet. Der Verkehr rollt wieder, die Menschen fahren ins Büro, zu Veranstaltungen oder in den Urlaub. Güter werden transportiert. Und dies ist auch gut so. Wohlstand beruht auf Warenaustausch und Vernetzung. 

Gleichzeitig müssen wir aber unserer aller Verantwortung gerecht werden und die Klimaziele einhalten, wenn wir weiterhin in einer lebenswerten Umgebung leben möchten. Sind diese Ziele miteinander in Einklang zu bringen? Die Hoffnung lautet: Den Straßenbau auf reine Erhaltungsmaßnahmen reduzieren, die Bahn massiv ausbauen und anschließend den Güter- und Personenverkehr auf die Schiene verlagern. Dem stimme ich grundsätzlich zu, die Grenzen sind aber immanent.

Umbau von Straßen und Schiene braucht Zeit

Das Problem ist: Verlässliche Alternativen zu schaffen dauert Zeit. Zeit, die wir nicht haben. Und selbst wenn wir die ehrgeizigen Verlagerungsziele erreichen, werden wir damit die Güterströme nicht allein sichern können. Dies merken insbesondere die Kommunen, die mit ihren Entscheidungen direkten Einfluss auf die Bürgerinnen und Bürger vor Ort haben. Weder Dieselfahrverbote, Energiesteuer, Umweltspuren, noch Parkraumbewirtschaftung haben bisher eine relevante Lenkungswirkung erzeugt. Allein in Berlin ist die Zahl der zugelassenen Pkw in den letzten zehn Jahren um acht Prozent gestiegen.

Bahnen im Fern- und Nahverkehr auszubauen, ist richtig und wichtig. Wir müssen allerdings Politik an einem realistischen Erwartungsmanagement ausrichten. Bei der Deutschen Bahn haben wir nach dem jüngsten Schienengipfel einige entscheidende Durchbrüche erzielt. 

Mit den großen Korridorsanierungen, einer ausreichenden Finanzierung und der bevorstehenden Gründung der gemeinwohlorientierten Infrastrukturgesellschaft sind einige wichtige Weichen gestellt worden. Auch im kommunalen öffentlichen Personennahverkehr besteht enormer Handlungsbedarf. Die jüngst von uns unter großem Interesse vorgestellte DIFU-Studie bilanziert dem kommunalen ÖPNV einen Nachhol- und Ersatzbedarf von 64 Milliarden Euro. Nur zum Erhalt des bestehenden Netzes wohlgemerkt.

Selbst wenn es uns also gelingt, in einer nationalen Kraftanstrengung die Bahn in den nächsten zehn Jahren auf ein leistungsfähiges und attraktives Niveau zu heben, würde der Anteil der Schiene am Güterverkehr nur dann signifikant steigen, wenn wir mehr verlagern, als der Bedarf insgesamt anwächst.

Ungenutztes Potenzial an Fernstraßen und an Tankstellen

Verkehrszuwächse in diesem Sinne zu begrenzen, neudeutsch: de-growth, sind nicht praktikabel. Wir müssen deshalb davon ausgehen, dass die Straße auf absehbare Zeit der wichtigste Verkehrsträger für den Güterverkehr bleiben wird. Bis 2040 können die Bundesfernstraßen als Gesamtsystem klimaneutral gestaltet werden.

In einem Land, in dem Flächen zunehmend knapp werden, stellen die Bundesfernstraßen ein bislang ungenutztes Potenzial dar. Nehmen wir einmal an, es würden nur die Flächen entlang der Autobahnen vollständig für erneuerbare Energien genutzt: Dann könnten auf dieser Fläche bei großzügigem Abstand 11.000 Windräder betrieben und Lärmschutzwände mit Solar-Paneelen ausgestattet werden. Dies würde ausreichen, um über fünf Millionen Haushalte mit Strom zu versorgen. Ähnliche Lösungen gibt es für die Verbesserung von Luftqualität oder die Temperaturabsenkung in Innenstädten.

Allein die Dachflächen von deutschen Tank- und Rastanlagen würden ausreichen, um eine mittelgroße Stadt für ein ganzes Jahr mit Energie zu versorgen. Mit dem Planungsbeschleunigungsgesetz soll es nun erheblich einfacher werden, diese Flächen für Erneuerbare Energien zu erschließen. 

Aber was tun wir als Branche, um den Bau selbst zu dekarbonsieren? Unsere Ingenieurinnen und Ingenieure arbeiten mit Volldampf an emissionsarmen Baustoffen. Wenn ab 2025 der temperaturabgesenkte Asphalt zum Standard im Straßenbau wird, wird dies nur der erste Schritt sein, aber bereits erhebliche CO2-Einsparpotentiale realisieren. Neue Asphaltmischungen und CO2-neutraler Beton aus Pyrolyse befinden sich bereits im Experimentierstadium. Und auch die Umstellung der Energieart in den Produktionsstätten ist möglich, aber derzeit wirtschaftlich kaum darstellbar – es zählt leider nur der billigste Preis, nicht die beste Idee. 

Baustoffrecycling und Modulbauweise

Darüber hinaus zeigen wir bereits heute, wie der Ressourcenverbrauch reduziert werden kann. So liegt die Wiederverwertungsquote im Straßenbau bereits bei über 90 Prozent. Sollten regulatorische Hemmnisse fallen, wie sie die Ersatzbaustoffverordnung derzeit noch aufbaut, ist technisch noch weit mehr möglich. Wir können Baustoffrecycling und Kreislaufwirtschaft, die Politik muss der Branche nur die Möglichkeit dazugeben. Wenn aber Recycling-Baustoffe gerade von öffentlichen Auftraggebern ausgeschlossen werden, können wir unser Know-how nicht einbringen.

Zudem können wir den Bauablauf erheblich beschleunigen. Staus und verstopfte Umleitungsstrecken sind nicht nur ein Ärgernis, sie kosten auch Geld und erhöhen Emissionen. Mit Modulbrücken aus vorgefertigten Komponenten reduzieren sich beispielsweise Bau und Sperrzeiten auf ein Minimum – jede eingesparte Tonne CO2 zählt. 

Diese Technologien und Innovationen können sich aber nur durchsetzen, wenn es auch wirtschaftliche Anreize gibt. Das Vergaberecht ist hierbei der zentrale Hebel. Denn: Das Bauunternehmen erbringt exakt die Leistung, die in der Ausschreibung beschrieben wird. Deshalb wollen wir, dass bei öffentlichen Ausschreibungen in Zukunft nicht nur die Bauleistung selbst, sondern auch die durch den Bau beeinflussbaren CO2-Emissionen in Form eines Schattenpreises in die Angebotsbewertung mit einfließen. 

Der wirtschaftlichste Bieter darf nicht länger der billigste sein. Er muss ein nachhaltiger Bieter sein. Das spornt nicht nur die Innovationskraft der Unternehmen an, sondern vermeidet auch ruinöse Unterbietungswettbewerbe, die heute jeglichen Innovationen im Weg stehen. Voraussetzung dafür sind nachvollziehbare, standardisierte und unbürokratische Nachweise und Abrechnungsverfahren.

Verkehr und Klimaschutz passen zusammen, und die Bauindustrie als Schlüsselindustrie steht für die Zusammenführung und Umsetzung parat.

Lernen Sie den Tagesspiegel Background kennen

Sie lesen einen kostenfreien Artikel vom Tagesspiegel Background. Testen Sie jetzt unser werktägliches Entscheider-Briefing und erhalten Sie exklusive und aktuelle Hintergrundinformationen für 30 Tage kostenfrei.

Jetzt kostenfrei testen
Sie sind bereits Background-Kunde? Hier einloggen