Bis 2030 sollen doppelt so viele Menschen mit dem Zug fahren wie vor der Coronakrise – dies ist eine der von der UN-Klimakonferenz beschlossenen Maßnahmen, um die Erderwärmung auf 1,5 °C zu beschränken. Die Bahn ist ein klimafreundliches und zuverlässiges Verkehrsmittel und daher ein wichtiger Bestandteil der Strategie der Europäischen Kommission für „nachhaltige und intelligente Mobilität“.
Das Bewusstsein, dass man durch sein eigenes Reiseverhalten die Umwelt schonen kann, ist während der Coronakrise gewachsen. Auch deshalb werden sich langfristig immer mehr Menschen für das Reisen mit der Bahn entscheiden. Allerdings nicht bedingungslos. Denn nur wenn das Reisen mit der Bahn genauso attraktiv ist, wie mit dem Auto zu fahren oder zu fliegen, wird ein Paradigmenwechsel stattfinden.
Verkehrswende geht nur mit vielen Partnern
In vielen Lebensbereichen haben wir gerade die Gelegenheit, unsere Verhaltensmuster zu hinterfragen, um Dinge in Zukunft besser zu machen. Auch die Reise- und Schienenverkehrsbranche sollte diese Chance wahrnehmen. Denn genau jetzt – noch mitten in der Krise – ist der perfekte Zeitpunkt, um das Reisen neu zu definieren, Bahnfahren attraktiver zu machen und umweltschonendes Reisen zu fördern.
Die Situation könnte nicht herausfordernder sein: Aktuell glauben laut einer repräsentativen Civey-Umfrage 81% der Deutschen, dass die Deutsche Bahn eine Reform braucht. Der Rückgang der Passagierzahlen durch die Coronakrise hat die Bahn in ihre tiefste Krise versetzt. Aus eigener Kraft wird die Deutsche Bahn es nicht schaffen, den Trend von der Straße auf die Schiene wiederzubeleben. Hierfür braucht es ein stabiles Marktumfeld mit fairen Wettbewerbsbedingungen, damit alle Mitglieder des Bahn-Ökosystems dieses Ziel gemeinsam verwirklichen können. Konkret bedeutet dies, dass dominante Player wie die Bahn ihre Position nicht zum Nachteil von Wettbewerbern und Partnern ausnutzen dürfen.
Ticketbuchungs-Plattformen wie Trainline kombinieren und vergleichen verschiedene Reisemöglichkeiten wie Zug und Bus und bieten Reisenden eine größere Auswahl und einen besseren Überblick über die günstigsten Tickets. Innovative Funktionen zeigen zum Beispiel die Auslastung einzelner Wagen oder den besten Buchungszeitpunkt an. Nationales und länderübergreifendes Reisen wird dadurch so einfach wie möglich. Da über Plattformen mehr Menschen auf die Angebote der Deutschen Bahn zugreifen können, erschließen sie auch neue nationale und internationale Kundengruppen. Kurzum: Sie können helfen, Menschen von einer Bahnfahrt zu überzeugen. Leider erschwert die Deutsche Bahn eine Zusammenarbeit mit Partnern wie Trainline.
Die Deutsche Bahn muss die Echtzeitdaten freigeben
Aktuelle Informationen zu Fahrplänen, Verspätungen, geänderten Bahnsteignummern oder Waggonreihungen verhelfen Reisenden zu einer reibungsloseren Bahnfahrt. Durch das Zurückhalten von Echtzeitdaten schränkt die Bahn die Attraktivität von unabhängigen Ticketplattformen enorm ein: Kunden, die ihr Ticket über eine solche Plattform gebucht haben, fehlen wichtige Reiseinformationen. Ohne Echtzeitdaten haben es Wettbewerber schwer, sich im deutschen Markt zu behaupten. In dieser Hinsicht ist Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern eine Ausnahme.
Die meisten Menschen, die online Tickets buchen, nutzen Suchmaschinen wie Google. Die für die Suche zentralen Begriffe dürfen Wettbewerber und Partnerunternehmen der Deutschen Bahn nicht mit Werbung besetzen. Die Marketingbeschränkungen der Deutschen Bahn führen folglich dazu, dass deutsche Verbraucher online nur selten Alternativen zur Deutschen Bahn und dem DB Navigator finden. Nutzer von Ticketplattformen wie Trainline erhalten bei der Suche nach einer Reiseverbindung kein Angebot ihres bewährten Anbieters.
Für Partner der Deutschen Bahn fehlen zudem tragfähige Konditionen für den Verkauf von Fahrkarten. Aufgrund der niedrigen Provisionen ist ihr Verkauf für Dritte mit einem hohen finanziellen Aufwand verbunden, häufig ist er sogar ein Verlustgeschäft. In der Konsequenz werden Anbieter weiterhin davon abgehalten, in den deutschen Markt zu investieren.
Der Ball liegt nun bei der Bundesregierung. Wenn sie nach wie vor die Verkehrswende anstrebt und klimafreundliches Reisen fördern möchte, muss sie den Rahmen für einen zukunftsfähigen Schienenverkehr schaffen – unmittelbar in Deutschland und mittelbar auch für ganz Europa.
Staatshilfen für die Deutsche Bahn nicht ohne Kooperation
Angela Merkel verhandelt heute auf dem Autogipfel im Kanzleramt mit den Automobilherstellern, damit sie beim Datenraum Mobilität mitmachen und mehr Daten austauschen. Wir fordern die Regierung dazu auf, auch auf die Deutsche Bahn einzuwirken, damit sie unabhängigen Partnern wie Trainline die für Zugfahrer enorm wichtigen Echtzeitdaten zur Verfügung stellt.
Die Deutsche Bahn steht kurz davor, umfangreiche Staatshilfen zu erhalten: 2019 wurden ihr elf Milliarden Euro als Teil des deutschen Klimapakets bis 2030 zugesagt. Zusätzlich soll sie eine Eigenkapitalerhöhung von fünf Milliarden Euro als Reaktion auf die Verluste während der Coronakrise erhalten. Dass die Bahn in einer Krise wie dieser Unterstützung bekommt, ist wichtig und richtig. Diese staatlichen Hilfen dürfen aber nicht zu Lasten dritter Akteure gehen.
Wenn wir das Potenzial für klimafreundliches Reisen wirklich ausschöpfen wollen, dann müssen wir über die in Deutschland etablierten Bahnbetreiber hinaus auch neue Geschäftsmodelle in den Blick nehmen. Unabhängige, neutrale Plattformen können wieder mehr Menschen auf die Schienen bringen, mehr Vergleichbarkeit schaffen und die Branche mit neuen Ideen voranbringen.
Auch der Deutschen Bahn könnten sie steigende Passagierzahlen bescheren – wenn die Bahn denn bereit wäre, sich auf faire Partnerschaften einzulassen. Am Ende schadet die Deutsche Bahn nicht nur sich selbst, sondern handelt auch gegen Verbraucherinteressen und bremst die Bundesregierung beim Vorantreiben der Verkehrswende aus.