Sinkende Absatzzahlen, steigende Produktionskosten, nach Jahren der Rekordgewinne nun der Dämpfer: Um den Standort Deutschland zu retten, übertreffen sich die Parteien im Wahlkampf mit Vorschlägen, die der deutschen Automobilwirtschaft vermeintlich unter die Arme greifen sollen. Auch die EU-Kommission lässt sich nicht zweimal bitten und lädt zum Dialog.
Die Hersteller legen einen ganzen Katalog von Forderungen auf den Tisch: Angefangen bei der Aussetzung herbeibeschworener Strafzahlungen für die Verfehlung rechtlicher Vorgaben, über die dauerhafte Produktion von Plug-in-Hybriden, die aufgrund hoher Verbrauchswerte im Realbetrieb eigentlich längst ein Auslaufmodell sein sollten, bis hin zur Verwendung von E-Fuels im Straßenverkehr – was Herstellerherzen sich so wünschen.
Doch anstatt die erforderliche Transformation der Branche zu unterstützen, tragen diese und weitere Vorschläge dazu bei, Planungssicherheit für Hersteller und Kunden zu schwächen. Sie gefährden die Einhaltung verbindlicher Klimaschutzvorgaben, aber auch den Produktionsstandort Europa.
Im Zentrum steht der weitere Umgang mit der EU-Verordnung, die die CO2-Emissionen von Neuwagen bis 2035 stufenweise auf null reduzieren soll. Diese Verordnung ist eines wenigen Instrumente, um die Treibhausgasemissionen im Straßenverkehr endlich zu senken und das dabei direkt an der Quelle ansetzt – bei den Automobilherstellern.
„Ausschließlich mit E-Fuels betankt“ – eine absurde Idee
Die Vorgaben wurden 2019 beschlossen und 2023 um das Null-Emissions-Ziel im Jahr 2035 ergänzt. Doch sie geraten zunehmend in Bedrängnis. Der erste Vorstoß kam schon zur Verabschiedung der Verordnung: Mit einer angedrohten Blockade in letzter Minute konnte Verkehrsminister Volker Wissing (parteilos) auch auf Drängen der Mineralölwirtschaft erreichen, dass im Null-Emissions-Ziel ein Schlupfloch für Fahrzeuge geschaffen wurde, die „ausschließlich mit E-Fuels betankt“ werden. Dass dies eine absurde Idee ist, stört ihn und seine ehemalige Partei, die FDP, bis heute nicht.
Die aktuellen Vorschläge sägen weiter an den Pfeilern der Verordnung – am Zeitplan, an den Zielen und an den Sanktionen: Die für 2026 vorgesehene Revision soll bereits in diesem Jahr stattfinden, das Null-Emissions-Ziel 2035 soll über die E-Fuel-Klausel hinaus abgeschwächt, die bei Nichteinhaltung der Vorgaben drohenden Sanktionen gestundet oder gar komplett ausgesetzt werden.
All das torpediert die Klimaschutznotwendigkeiten im Verkehrssektor und wird die Marktstellung exportorientierter deutscher und europäischer Hersteller nicht stärken, sondern schwächen. Es wird Verbraucherinnen nicht helfen, bezahlbare Fahrzeuge zu finden, schon gar keine mit Batterieantrieb. Eine Öffnung der Verordnung zum jetzigen Zeitpunkt wäre in jeder Hinsicht fatal.
Der handlungsleitende Reflex ist schnell durchschaut und einfach erklärt: Schwächelnder Absatz insbesondere bei E-Autos und die damit verbundene Möglichkeit einer Verfehlung der festgeschriebenen Vorgaben wecken den Instinkt, das entsprechende Gesetz zu ändern und im Rahmen einer vorgezogenen Revision abzuschwächen.
Autohersteller mussten sich 2024 nicht anstrengen
Tatsächlich sieht die Verordnung für das Jahr 2026 eine Überprüfung der Zielwerte für 2030 und 2035 vor. Jedoch: Die Vergangenheit hat gezeigt, dass Hersteller oft auf den letzten Metern den Verkauf emissionsarmer Fahrzeuge anschieben, um die nächste Grenzwertstufe einzuhalten. Angesichts der vielfach angekündigten neuen Modelle ist dies auch für das Verkaufsjahr 2025 zu erwarten.
Hersteller hatten schlichtweg wenig Grund, sich bereits 2024 zu verausgaben, da die Grenzwerte in diesem Jahr nicht strenger waren als die von 2021. Findet die Revision bereits ein Jahr früher statt, bleiben die Marktdaten des Jahres 2025 und die voraussichtlich stark ansteigenden BEV-Verkäufe unberücksichtigt.
Ein weiterer Vorschlag, die Aufhebung der Strafzahlungen, wäre ein Eingriff in den fairen Wettbewerb gegenüber jenen Herstellern, die ihre spezifischen Ziele erreichen werden, weil sie rechtzeitig die entsprechenden Investitionen getätigt und ihr Portfolio angepasst haben. Eine Stundung der Strafzahlungen – ein Gegenrechnen mit einer „Übererfüllung“ der Grenzwerte in den Folgejahren – ist eine Nebelkerze. Strafzahlungen werden fällig, wenn die spezifischen Flottengrenzwerte eines Herstellers ab dem Verkaufsjahr 2025 nicht eingehalten werden.
Ob die Zielvorgaben eingehalten werden, lässt sich natürlich erst im Nachhinein ermitteln. Strafzahlungen für eine Zielverfehlung im Jahr 2025 werden also, wenn überhaupt, vor 2027 nicht fällig. Wenn die Strafen entfallen, die Vorgaben gelockert werden und auf nationaler Ebene nichts die E-Mobilität anreizt – was sollte Hersteller dazu anhalten, den Wandel voranzutreiben?
Eine vorzeitige Öffnung der Verordnung ist ein riskantes Manöver, das die auch von Industrieseite so oft geforderte Planungs- und Investitionssicherheit massiv gefährdet. Ein Anfassen der Regulierung zum jetzigen Zeitpunkt würde allein dem Ziel folgen, sie zu schwächen. Dies wäre vor dem Hintergrund des überfälligen Beitrags des Verkehrssektors zum Klimaschutz verheerend. Stattdessen müsste im Rahmen der regulären Überprüfung der Flottengrenzwerte 2026 über eine Verschärfung der Grenzwerte nachgedacht werden.
Vorbild Großbritannien: Verbrenner-Aus auf 2030 vorgezogen
Ein Beispiel sollte sich die EU dabei an Großbritannien nehmen, wo das Verbrenner-Aus auf 2030 vorgezogen wird. Von einem verschärfen Flottengrenzwert würde auch Deutschland profitieren, schließlich beträgt die Klimaschutzlücke im Verkehrssektor bis 2030 laut aktuellem Projektionsbericht 180 Millionen Tonnen. Schärfere Flottengrenzwerte würden der Regierung dabei helfen, woran sie in der Vergangenheit immer wieder gescheitert ist: sich endlich an die Vorgaben ihrer eigenen Gesetze zu halten.
Dass ausgerechnet jetzt die genannten Optionen diskutiert werden, passt zum Narrativ der unverschuldet in Schwierigkeiten steckenden Branche, die wahlweise unter der globalen Absatzschwäche, hohen Energie- und Arbeitskosten oder unter der „Bürokratielast“ leidet. Statt über eine Schwächung der Flottengrenzwerte zu sinnieren, muss der Fokus auf eine Ausrichtung fiskalischer und ordnungsrechtlicher Instrumente gerichtet werden, die die Antriebswende unterstützen.
Vorschläge liegen auf dem Tisch: Die bestehende Dienstwagenregulierung etwa ist seit Jahrzehnten maßgeblicher Treiber für die Ausrichtung der Produktpalette hin zu „Premiummodellen“, die nun der Erreichung der Klimaschutzvorgaben im Wege stehen. Dieses Instrument kann mit wenigen Änderungen so umgestaltet werden, dass bezahlbare E-Autos gezielt als Dienstwagen zum Einsatz kommen.
Den deutschen Herstellern hilft ein klares Bekenntnis zur E-Mobilität
Apropos bezahlbar: Verbindliche Standards zur Effizienz von E-Autos, eine transparente Kennzeichnung des Energieverbrauchs (und damit der Energiekosten) sowie eine Anpassung der Kfz-Steuer können dafür sorgen, dass verbrauchsarme und kostengünstige Modelle endlich auf den Markt kommen. Klare Vorgaben sind gefragt, um Klimaschutz und bezahlbare E-Auto-Mobilität, wo sie nötig ist, zu bekommen.
Ob Vorziehen der Revision, Aufhebung der Ziele oder Verzicht auf Strafzahlung – jede Taktik mit dem Ziel, den angestrebten Pfad zur Dekarbonisierung zu verlassen, schadet nicht zuletzt der hiesigen Automobilindustrie selbst, während die Marktmacht chinesischer Hersteller wie BYD oder SAIC im Elektrosegment wächst und wächst.
Langfristig wird die Marktstellung deutscher und europäischer Hersteller nur mit einem klaren Bekenntnis zur Elektromobilität zu halten sein, dessen Umsetzung nicht weiter verschoben wird. Politisch am besten geholfen ist ihnen dabei mit klaren Vorgaben und Zielen, an denen auch im Wahlkampf nicht aus taktischem Kalkül gerüttelt wird.