Die „eVTOLs“, elektrisch betriebene Fluggeräte, die senkrecht starten und landen können (electric Vertical Take-Off and Landing), haben das Potenzial, urbane Mobilität nachhaltig umzugestalten. Schon bald werden Flotten dieser kleinen, schnellen, leisen und emissionsarmen Fluggeräte den Betrieb als Lufttaxis aufnehmen und Passagiere und Güter in Städten und Ballungsräumen schnell von A nach B bringen.
Neben internationalen Metropolen wie Dubai, Singapur, London, New York, Orlando und Paris steigt auch das Interesse hierzulande. In Deutschland will beispielsweise Lilium schon Ende 2022 in die Serienproduktion gehen, in den USA strebt Konkurrent Joby Aviation die Zulassung für 2023 an. Die elektrischen Senkrechtstarter sollen den Straßenverkehr entlasten – mit Reisezeiten, die für Pendler heute noch unvorstellbar sind.
Durch die angekündigten Fortschritte in der Urban Air Mobility (UAM)-Technologie und einem wachsenden Ökosystem von Herstellern, Betreibern und Infrastrukturanbietern ist zu erwarten, dass eVTOL innerhalb des nächsten Jahrzehnts zu einem praktikablen Angebot in Städten und Ballungsräumen werden wird. Auf diese Weise wird sich der städtische Verkehr und die damit einhergehende Verkehrsüberlastung verbessern.
Wie können Reiseunternehmen von Urban Air Mobility profitieren?
Urban Air Mobility hat Auswirkungen auf die gesamte Reisebranche. Fluggesellschaften etwa könnten sich dazu entschließen, selbst Lufttaxidienste zu betreiben oder dies in Partnerschaft mit Start-ups angehen. Auch unterstützende UAM-Dienste wie Wartungsdienste, Crew- und Pilotenschulungen, Flugbetrieb, Luftraummanagement und so weiter könnten für Luftfahrtunternehmen zu einer neuen Ertragsquelle werden.
Durch den Einsatz von Lufttaxis hätten Fluglinien den Vorteil, Passagiere schneller zwischen Städten und Flughäfen zu befördern, als dies derzeit auf der Straße oder Schiene möglich ist. Damit könnte die Kundenerfahrung von Anfang bis Ende erheblich verbessert werden.
Es ist jedoch noch unklar, ob Fluggesellschaften langfristig von Urban-Air-Mobility-Initiativen profitieren werden. Denn mit der Verbesserung dieser Technologie wird auch die Reichweite der eVTOLs zunehmen. Und größere Reichweiten werden UAM-Betreiber in direkten Wettbewerb mit Fluggesellschaften bringen – zumindest für Kurzstreckenflüge. Darauf müssen sich die Airlines bereits heute einstellen. Nach Firmenangaben legen Prototypen von Joby Aviation immerhin schon rund 250 Kilometer bei ihren Testflügen zurück.
Ein Beispiel aus den USA: Sie steigen in New York City in einen eVTOL und erreichen Washington DC oder Boston in 90 Minuten. Wenn man das mit dem Aufwand vergleicht, zum Flughafen zu fahren, durch die Sicherheitskontrolle zu gehen, einen Inlandsflug zu nehmen und dann mit dem Auto oder der Bahn in die Zielstadt zu gelangen, ist es offensichtlich, dass UAM den Fluggesellschaften auf diesen kurzen Shuttle-Strecken letztendlich Passagiere „abjagen“ könnten. In Deutschland wären Strecken wie Frankfurt-München oder Hamburg-Berlin denkbar. Damit würden sich UAM-Anbieter nicht nur als Wettbewerber zu Airlines, sondern auch weiteren Mobilitätsdienstleistern positionieren.
Die Luftfahrtunternehmen werden sich also genau überlegen müssen, ob sie langfristig in diesem sich neu bildenden Marktsegment konkurrieren, Partnerschaften mit neuen Anbietern eingehen oder andere Maßnahmen ergreifen wollen, um ihre bestehenden Erträge aus Kurzstreckenflügen vor eVTOL-Wettbewerbern zu schützen.
Konkurrieren, sich gegenseitig ergänzen oder völlig ignorieren?
Doch wie sieht es in anderen Bereichen der Reisebranche aus? Tatsächlich könnten Hotels eine wichtige Rolle beim Aufbau der UAM-Infrastruktur spielen. Damit UAM in einem größeren Maßstab betrieben werden kann, wird ein großes Netz von „Vertiports“ zum Landen, Aufladen und Starten benötigt – alle in leicht zugänglichen städtischen Gebieten.
Aufgrund ihres großen Immobilienbestands in vielen erstklassigen Innenstadtlagen könnten Hotels ideale Standorte für UAM-Vertiports sein – sei es auf den Dächern, auf Parkplätzen oder in anderen Teilen der Hotelanlage. Aus Sicht der UAM-Betreiber ist dies ein potenziell attraktives Angebot, das ihnen ermöglicht, die erforderliche Infrastruktur schnell aufzubauen. Hotelbetreiber könnten zudem zusätzliche Einnahmequellen erschließen und ihre Gästefrequenz erhöhen. Es würde sich auch anbieten, neue Angebote wie Vertiport-Gastronomie und andere Dienstleistungen aufzubauen und schnelle, direkte Transfers von den Flughäfen anzubieten, um die Attraktivität der einzelnen Häuser zu steigern.
Lufttaxis schaffen auch in anderen Bereichen des Reisesektors neue Möglichkeiten – und Herausforderungen. Kreuzfahrtunternehmen könnten beispielsweise eVTOLs nutzen, um ihre Premiumpassagiere viel schneller an beziehungsweise von Bord zu bringen oder als kostenpflichtigen Zusatzservice für weitere Passagiere anzubieten. Autovermietungen wiederum stehen vor der wichtigen Entscheidung, ob sie mit UAM-Betreibern um einen sich überschneidenden Kundenstamm konkurrieren oder sich auf Dienstleistungen für die neuen Marktteilnehmer, zum Beispiel in Bereichen wie Wartung oder Vertiport-Management, konzentrieren sollen.
Das bedeutet nicht, dass jedes Reiseunternehmen sofort eine vollwertige Strategie für Urban Air Mobility benötigt. Noch immer sind viele Fragen offen, wie sich die Technologie und das Ökosystem entwickeln werden – und wann. Das disruptive Potenzial von Urban Air Mobility ist jedoch so groß, dass es sich kein Teilnehmer der Reisebranche leisten kann, abzuwarten.
Während in Deutschland die Zulassungsverfahren vermutlich noch eine Weile dauern, werden wir die ersten Praxiseinsätze vermutlich in Dubai, Singapur, Orlando, London oder Paris sehen. Unabhängig davon gilt es in einem ersten Schritt, die potenziellen Auswirkungen auf Umsatz und Rentabilität zu quantifizieren, über mögliche Partnerschaften nachzudenken und schon jetzt ein Angebot zu entwickeln, das zu gegebener Zeit auf den Markt gebracht werden kann. Es ist nur eine Frage der Zeit: Alles deutet darauf hin, dass die UAM-Technologie in der Lage sein wird, den Markt zu erobern. Luftfahrt- und Reiseunternehmen sollten sich frühzeitig mit den Risiken und Chancen vertraut machen, um sich Teile dieser Entwicklung zunutze zu machen.