In Tagesspiegel Background war es zu lesen: Der für den August erwartete große Sachstandsbericht des Weltklimarats IPCC wird – nach allem, was man weiß – erneut zu ernüchternden Ergebnissen kommen: Das weltweite Bemühen um den Klimaschutz reicht nicht aus. Ein gutes Beispiel für mangelhaften Klima-Einsatz lieferte jüngst die International Maritime Organisation (IMO), ausgerechnet eine Uno-Organisation.
Vor der im Juni abgehaltenen 76. Sitzung des IMO-Ausschusses zum Schutz der Meeresumwelt (MEPC) waren die Erwartungen groß – die Enttäuschung im Anschluss war noch größer: Das Gremium konnte sich zu fast nichts entschließen. Die dringend erwartete Leitlinie für die Umsetzung einer maritimen Energiewende? Fehlanzeige. Beratungen über einen weltweiten CO2-Hebel? Sollen erst in zwei Jahren überhaupt beginnen. Die für die Regulierung der Schifffahrt zuständige Organisation lässt damit eine weltweite Schlüsselindustrie weiter ohne klaren Kurs dahinschlingern. Das ist fatal.
Denn die Schifffahrt steht vor immensen Transformationsherausforderungen. Mit rund 2,5 Prozent trägt der Sektor erheblich zu den weltweiten CO2-Emissionen bei. Dieser Anteil wiegt umso schwerer, ruft man sich seine alternativlose Bedeutung für die weltweiten Lieferketten vor Augen sowie das erwartete Wachstum. Um bis zu 250 Prozent könnte der Seehandel bis zum Jahr 2050 an Volumen zulegen. Wird das Steuer nicht endlich entschlossen umgelegt, könnte sein weltweiter Anteil an den Treibhausgas-Emissionen binnen weniger Jahrzehnte auf rund zehn Prozent steigen.
Die Branche braucht Klarheit
Im Jahr 2018 hatte die IMO nach langem und zähem Ringen endlich eine Roadmap für eine Emissionsreduktion vorgelegt: Bis 2030 sollen die Treibhausgas-Emissionen der Schifffahrt um mindestens 40 Prozent sinken, sich bis 2050 mindestens halbieren. Seither wartet die Branche auf mehr Klarheit, wie die Vorgaben umzusetzen sind.
Dabei mangelt es nicht an technischen Lösungen. Durch den Einsatz wasserstoffbasierter, klimaneutraler Kraftstoffe lässt sich der weltweite Seehandel perspektivisch völlig emissionsfrei gestalten. Von synthetischem LNG über Methanol bis hin zu Ammoniak (Übersichtsartikel hier) stehen verschiedene Kraftstoffe zur Wahl, um den gängigen Schiffsdiesel zukünftig abzulösen. Auch die passenden Antriebssysteme sind entwickelt und weitgehend einsatzfertig.
Zugleich ist die Schifffahrt ein idealer Ermöglicher für den internationalen Wasserstoffhochlauf: Mit einem jährlichen Bedarf von rund 300 Millionen Tonnen Kraftstoff generiert die Schifffahrtsbranche genug Nachfrage, um den Markt für emissionsfreie Kraftstoffe auch für viele andere Branchen zu erschließen.
Hapag-Lloyd investiert 850 Millionen Euro in sechs Schiffe
Der Aufbau einer Versorgung mit grünem Kraftstoff bedeutet einen Kraftakt. Von der Produktion der grünen Kraftstoffe über deren Transport und Bunkerung in den Seehäfen bis zur Wahl des passenden Antriebssystems werden weltweit gigantische Investitionen notwendig. Berücksichtigt man die Einsatzzeit eines Hochseeschiffs von 20 bis 40 Jahren, wird zudem klar, dass Reeder sich vor allem eines wünschen: Planungssicherheit.
Wer – wie jüngst Hapag-Lloyd – 850 Millionen Euro in sechs Schiffe investiert, will die Gewissheit, dass diese auch die Umweltauflagen des Jahres 2050 erfüllen können. Durch ihr zögerliches Vorgehen schafft die IMO daher eine gefährliche Unsicherheit im Markt, die dazu führt, dass notwendige Investitionen ausbleiben. Jeder wartet auf jeden – und alle auf die IMO.
Im Rahmen des Green Deal hat die Europäische Kommission auch die Schifffahrt im Blick. Eine Regulierung auf europäischer Ebene wird in der Branche traditionell kritisch gesehen. Die Furcht vor dem regulatorischen Flickenteppich ist groß. Das Dauer-Zaudern der IMO aber ändert die Perspektive: Die EU sollte ihre Hebelwirkung als größter Binnenmarkt der Welt nutzen und im Zuge des Fit-for-55-Pakets einen Regulierungsvorschlag vorlegen, der erstens durch wirksame CO2-Bepreisung Investitionsanreize in nachhaltige Technologien setzt, zweitens die Verfügbarkeit von klimaneutralen Kraftstoffen in der Schifffahrt sicherstellt und drittens auf eine international abgestimmte CO2-Bepreisung abzielt.