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Standpunkte Links, rechts oder Vollgas: Was darf KI beim autonomen Fahren?

Christoph Winterhalter, Chef des Deutschen Instituts für Normung DIN
Christoph Winterhalter, Chef des Deutschen Instituts für Normung DIN Foto: DIN

Ohne Künstliche Intelligenz (KI) gibt es kein autonomes Fahren. Doch bevor KI ans Steuer kann, müssen Normen und Standards für die Anwendung definiert werden. Warum es dabei nicht nur um Schnittstellen und eine gemeinsame Sprache geht, sondern auch um ethische Aspekte, erklärt DIN-Chef Christoph Winterhalter.

von Christoph Winterhalter

veröffentlicht am 17.01.2020

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Künstliche Intelligenz (KI) ist eine der Schlüsseltechnologien, um dem autonomen Fahren zum Durchbruch zu verhelfen: Sie lernt beispielsweise aus jeder komplexen Verkehrssituation für die nächste, sie erkennt Hindernisse und andere Verkehrsteilnehmer und sie sieht im Idealfall Situationen auf der Straße vorher. Auch, wenn mancher Autofahrer selbstlenkenden Fahrzeugen noch skeptisch gegenübersteht, arbeitet die Industrie mit Nachdruck daran, dies zu ändern. Doch damit sich KI nicht nur im Mobilitätsbereich, sondern generell als vertrauenswürdige Technologie etabliert, müssen drei Voraussetzungen erfüllt sein 

  • Erstens braucht es ein einheitliches Verständnis von KI.
  • Zweitens eine gemeinsame Sprache und offene Schnittstellen, damit unterschiedliche Systeme oder Komponenten nahtlos zusammenarbeiten.
  • Drittens sind ein klar abgesteckter Handlungsrahmen – das heißt Regeln und auch Einsatzgrenzen für Künstliche Intelligenz vonnöten, um die Technologie sicher und effizient nutzen zu können.

Normen und Standards tragen dazu bei, diese Voraussetzungen zu erfüllen: Sie strukturieren einerseits die KI-Landschaft und legen andererseits notwendige Anforderungen fest, damit selbstlernende Systeme sicher und verlässlich arbeiten. Zudem helfen sie, das Vertrauen von Wirtschaft und Gesellschaft in KI zu stärken und damit die Akzeptanz dieser Technologie zu erhöhen. Auch aus diesen Gründen wurde Standardisierung im Rahmen der KI-Strategie der Bundesregierung als eines von zwölf zentralen Handlungsfeldern und damit als wichtiger Baustein für das bedeutende Zukunftsthema identifiziert.

Es braucht Regeln und Leitlinien, bevor KI vollständig ans Steuer darf

KI im Mobilitätsbereich einzusetzen, könnte nicht nur die oben beschrieben Vorteile bringen. Auch der ADAC sieht im autonomen Fahren die Möglichkeit, ältere oder leistungseingeschränkte Menschen besser einzubinden, den ländlichen Raum noch mehr zu erschließen und generell die Chance für einen flüssigeren und auch sichereren Verkehr.

Doch bevor KI vollständig ans Steuer kann und darf, braucht es Leitlinien und Regeln. Fahrzeuge und Verkehrsleitsysteme können nur über definierte Schnittstellen und eine gemeinsame Sprache miteinander kommunizieren, Normen legen fest, welche das sind und welche Anforderungen dafür gelten.

Wie an den ethischen Fragen gearbeitet wird

Ethikaspekte sollten ebenfalls bedacht werden, beispielsweise muss das Verhalten eines Fahrzeuges im Notfall geregelt sein, wenn etwa Menschenleben auf dem Spiel stehen. Ein Thema, mit dem sich KI-Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft, öffentlicher Hand und Gesellschaft bei DIN beschäftigen – etwa die Arbeitsgruppe Ethik/Responsible AI unter der Leitung von Tobias Krafft (Algorithmic Accountability LabTU Kaiserslautern), die die Normungsroadmap KI miterarbeitet. Diese Roadmap wird eine Übersicht über bestehende Normen und Standards zu Aspekten Künstlicher Intelligenz umfassen und Empfehlungen für noch notwendige künftige Aktivitäten geben.

Das DIN, die Deutsche Kommission Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik in DIN und VDE (DKE) und das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) sind federführend bei diesem Projekt und arbeiten eng zusammen mit so wichtigen Akteuren wie der Plattform Lernende Systeme, der Plattform Industrie 4.0 und der Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität.

Zwar muss man sich darüber im Klaren sein: Normung kann nicht definieren, was ethisch ist und was nicht – das ist Aufgabe von Politik und Gesellschaft. Jedoch kann Normung dazu beitragen, dass technische Standards die Umsetzung ethischer Werte unterstützen, und dass Verzerrungen, Diskriminierungen und Manipulationen vorgebeugt werden, indem diese Standards eingehalten werden.

Deutschland und Europa müssen Standards nach ihren Werten setzen

Die Roadmap ist einer von vielen wichtigen Schritten in die richtige Richtung. Die deutsche Wirtschaft wird es sich nicht leisten können, bei Künstlicher Intelligenz ins Hintertreffen zu geraten – dazu tangiert die Technologie zu viele Bereiche. Kritische Stimmen warnen, dass Deutschland Bei KI den Anschluss verlieren könnte, weil China und die USA deutlich größere Summen in dieses Zukunftsfeld investieren. China hat sich zum Ziel gesetzt, in Sachen KI ab 2030 weltweit führend zu sein und befeuert das mit massiven Finanzmitteln, allein die Stadt Tianjin stellt 12,8 Milliarden Euro für die KI-Förderung zur Verfügung.

Umso wichtiger ist es, dass sich KI-Experten hierzulande auch bei Normung und Standardisierung engagieren: Wer die Standards setzt, erhöht die Chance, dass sich eigene innovative Technologien, Produkte und Dienstleistungen rund um KI durchsetzen. Es geht dabei schlichtweg um einen effizienten Technologietransfer, denn je schneller sich eine Idee im Markt verbreitet, desto höher sind die Chancen für ihren Erfolg – Normen und Standards beschleunigen diesen Prozess und dienen so als Katalysatoren für Innovationen.

Normung und Standardisierung als strategisches Instruments

Selbst KI-Standards zu setzen, ist aus nationaler und europäischer Sicht noch aus einem weiteren Grund wichtig: Sollen unsere europäischen Wertmaßstäbe und ethischen Richtlinien für Künstliche Intelligenz gelten, dürfen wir es nicht anderen überlassen, die Rahmenbedingungen festzulegen. Beispielsweise verfolgen Staaten wie China oder die großen US-Digitalkonzerne wie Amazon, Facebook und Google eigene Interessen, die im ungünstigen Fall unseren Datenschutz- und Ethikvorstellungen widersprechen können. Normung und Standardisierung im Bereich KI sind somit nichts weniger als ein strategisches Instrument, um unsere Wirtschaft international noch wettbewerbsfähiger zu machen und unsere Werte aktiv zu vertreten.

Christoph Winterhalter ist Vorstandschef des Deutschen Instituts für Normung (DIN). Er spricht zu dem Thema KI heute auch bei der „Transferinitiative - Die Rolle von Normung und Standardisierung für den Technologietransfer“, die im Bundeswirtschaftsministerium unter Leitung des Parlamentarischen Staatssekretärs Christian Hirte (CDU) stattfindet.

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