Alle wollen, dass die Schiene digitaler wird, und das nicht erst seit gestern. Passiert ist jedoch bisher enttäuschend wenig. Unsere These ist, dass viele der Verzögerungen mit der Art und Weise zu tun haben, wie der DB-Konzern aufgestellt ist: nämlich als integrierter Konzern, dessen Infrastruktursparten Monopolbetriebe sind, die von allen Transporteuren auf der Schiene genutzt werden müssen. Ebenfalls zum Konzern gehören eben auch Transportunternehmen, die sich im Wettbewerb bewähren müssen.
Diese Konstellation ist ohnehin höchst schwierig, denn sie führt beim Agieren der Monopolbereiche zu einem Zielkonflikt: Orientiert man sich an der Qualität für alle Nutzer des Netzes, oder steht der finanzielle Erfolgsdruck zum Wohle des Gesamtkonzerns an oberster Stelle? Bisher ist Letzteres der Fall. Das hat den schlechten Zustand des Netzes, der dem Verkehrsträger heute so große Probleme macht, wesentlich mit verursacht. Aber auch der technische Fortschritt, konkret: Digitalisierungsprojekte, wurde in den vergangenen Jahren immer wieder aus der Logik des integrierten Konzerns heraus verschleppt. Dazu einige Beispiele:
Digitale Schiene Deutschland
Für die Ausrüstung des Schienennetzes mit dem europäischen Standard ETCS und mit digitalen Stellwerken gibt es seit 2018 eine Machbarkeitsstudie und, darauf aufbauend, einen Roll-out-Plan. Darin wurden unter anderem drei Projekte des „Starterpakets“ definiert, die als erste umgesetzt werden sollen, um Erfahrungen für den Flächen-Roll-out zu gewinnen. Jedoch wurde bislang nur im Digitalen Knoten Stuttgart mit dem Roll-out begonnen, während der ScanMed-Korridor, der Schienenkorridor zwischen Skandinavien und dem Mittelmeer, sowie die Verbindung Köln-Rhein/Main nach wie vor nur auf bunten Folien stehen. Hauptgrund für die Verzögerung ist, dass sich Bund und DB-Konzern nicht auf einen DB-Eigenanteil für die Finanzierung einigen konnten.
Die seit dem späten Frühjahr 2022 neu hinzugekommene DB-Strategie des „Hochleistungsnetzes“ und der „Generalsanierung“ von Strecken warf die Arbeiten erneut zurück, denn natürlich muss der DSD-Roll-out-Plan mit den Korridorsanierungen harmonisiert werden.
Dabei ist zwar richtig, dass das Haupthindernis bei der Digitalisierung der Schiene die ungesicherte Gesamtfinanzierung ist. Diese gegenüber dem Bundesfinanzministerium und den Haushaltspolitikern zu erreichen, wird aber bei derlei hartnäckiger Verhandlungsführung eines Bundesunternehmens mit seinem Eigentümer und durch ständiges Umplanen nicht eben leichter.
Digitales Kapazitätsmanagement/Baustellenplanung und -kommunikation
Um die vorhandene Netzkapazität bestmöglich zu nutzen, reichen „totgepflegte“ IT-Tools aus den Neunzigerjahren („RuT-K“) erkennbar nicht mehr aus. Die zur Implementierung des Deutschlandtakts dringend notwendige Systematisierung von Trassen muss nicht nur rechtlich abgesichert werden, sondern sich in einer modernen IT wiederfinden. So können die Eisenbahnverkehrsunternehmen erkennen, wo eine Trassenbestellung erfolgversprechend ist und wo Konflikte drohen.
Gerade angesichts der in den vergangenen Jahren drastisch gestiegenen Anzahl von Baustellen ist eine verbesserte Kommunikation und Planung gemeinsam mit den Netznutzern unerlässlich. Dafür sollte es eigentlich bereits seit 2018 die neue „Kommunikationsplattform Bau“ (KomBau) geben. Nach neuesten Aussagen wird sie aber erst 2028 (!) in Betrieb gehen.
Hauptgrund für die Verzögerung ist, dass IT-Projekte im Vergleich zu Personal- und Baukosten vergleichsweise disponibel sind. In einem Betrieb wie der DB Netz AG, die wegen des Gewinnerzielungszwangs unter enormen Kostendruck steht, führte dies immer wieder dazu, dass gerade Zukunftsprojekte in der unterjährigen Budgetsteuerung zurückgefahren wurden.
Die KomBau wurde angesichts der Spardrucks infolge der Corona-Pandemie im Jahr 2021 sogar völlig ohne Budget quasi auf Null gefahren. Die sie betreuenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter konnten zwar konzeptionell einige Verbesserungen planen, programmiert aber wurde nicht. Und das, obwohl die Haushälter des Bundestages Einsparungen bei der Infrastruktur und bei der Digitalisierung explizit von den Corona-Sparaufgaben an die DB ausgenommen hatten.
Tickets von Tür zu Tür
Kaum ein Digitalisierungsthema hat eine solche unmittelbare Fahrgastrelevanz wie ein einfacheres Ticketing. Nicht von ungefähr hebt Digitalminister Volker Wissing (FDP) in der Debatte um die Neun-Euro-Ticket-Nachfolge die Vereinfachung des Vertriebs (nicht unbedingt den günstigen Preis!) so hervor. Was vielen nicht bewusst ist: Technisch ist der Verkauf aller Fahrausweise durch alle Verkehrsunternehmen und auch durch Drittanbieter überhaupt kein Problem. Anpassungen der Vertriebssysteme benötigen eine gewisse Zeit – aber das sind lösbare Probleme.
Was Minister Wissing verschweigt: Gerade der größte deutsche Mobilitätsanbieter DB liefert Dritten keine Echtzeitdaten, verbietet beim Marketing die Nutzung bestimmter Schlagworte und ändert einseitig Vertriebsprovisionen zum Nachteil der Nahverkehrsunternehmen, die durch Verkehrsverträge zum Vertrieb von Fernverkehrsfahrausweisen verpflichtet sind. Möglich ist dies zum einen, weil der Fernverkehrstarif der Deutschen Bahn (A- und B-Preise) nach wie vor ein Haustarif ist, der eben nicht von allen „nur“ anwendenden Unternehmen gemeinsam weiterentwickelt wird.
Dazu läuft derzeit ein einschlägiges Verfahren des Bundeskartellamts gegen die DB. Aber auch wenn diese zu weitgehenden Zugeständnissen in Richtung auf eine „Datendemokratisierung“ gezwungen würde, hätte sie durch ihre Verzögerungstaktik der vergangenen Jahre allein schon dafür gesorgt, dass das Portal bahn.de sowie der DB Navigator eine uneinholbare marktbeherrschende Stellung haben. Dieser ist nur noch durch eine strikte Regulierung beizukommen.
Dabei ist klar: Gäbe es mehr und unterschiedliche Wege zum Ticket, würde das den Kundenkomfort steigern, neue Zielgruppen erschließen und so den öffentlichen Verkehr stärken. Vermutlich würden davon auch die DB-Transportunternehmen profitieren. Relativ größerer Nutznießer aber wären die Wettbewerber. Und daher hält die DB Daten, die vor allem aus ihren heutigen Monopolbereichen (Echtzeitdaten!) stammen, zurück.
Dies sind nur drei Beispiele, warum Digitalisierung auf der Schiene nicht vorankommt. Weitere Fälle erläutert das mofair-Positionspapier. Es wird deutlich: Eine gemeinwohlorientierte Infrastrukturgesellschaft, die aus den Konzernzwängen befreit und ausschließlich auf Qualität programmiert wird, wird die Digitalisierung der Schiene nach vorn bringen. Potenziale werden freigesetzt und Innovationen endlich ermöglicht, die anderswo längst die Regel sind.