Noch nie hat Deutschland so viel in die Bahn investiert wie heute. Das Ziel: Züge sollen nicht nur pünktlicher werden, sondern auch häufiger fahren. Um das zu erreichen, werden Milliarden in den Ausbau und die Erneuerung der Infrastruktur investiert. Das ist nach dem jahrzehntelangen Investitionsstau auch nötig. Aber reicht das aus, um einen stabilen Bahnbetrieb mit attraktiven Fahrzeiten anzubieten?
Nein – mehr Strecken, Weichen und Gleise allein lösen das Problem nicht. Die Digitalisierung des Bahnbetriebs ist mindestens genauso wichtig. Nur so können mehr Kapazitäten geschaffen, die Instandhaltung der Züge – und damit ihre Zuverlässigkeit – verbessert, und mehr Güter über die Schiene transportiert werden.
Dennoch werden Investitionen in digitale Technologien – etwa das Zugsicherungssystem ETCS oder den neuen Kommunikationsstandard FRMCS – oft als „optional“ oder „teure Spielerei“ abgetan. Die Alternative aber wäre, in veraltete Technologie zu investieren, deren Betrieb auf lange Sicht deutlich komplexer und teurer ist. Damit ist klar: Die Bahn von morgen kommt ohne digitale Technologien nicht aus. Und hier sind einige Gründe, warum das so ist, und welche Bausteine dafür nötig sind.
5G macht digitalen Bahnbetrieb der nächsten Generation erst möglich
Wer über Digitalisierung redet, muss zunächst die Infrastruktur dahinter im Blick haben. Ein leistungsfähiges Kommunikationsnetz ist die Grundlage, um große Datenmengen in kurzer Zeit und mit geringer Verzögerung zu übertragen. Nur so lässt sich der zuverlässige und sichere Bahnverkehr der Zukunft organisieren. Das Netz steht also am Anfang aller Überlegungen für den digitalen Bahnbetrieb.
Der heutige digitale Standard im Schienenverkehr ist GSM-R. Diese Technologie basiert auf dem 2G-Mobilfunknetz und stammt aus den neunziger Jahren. Ihr größter Nachteil: Die maximale Datenübertragungsgeschwindigkeit liegt bei 14,4 Kilobyte pro Sekunde. Zur Einordnung: Damit würde es etwa fünf Stunden dauern, das E-Paper des Tagesspiegels herunterzuladen.
Bisher war das kein Problem, da das Netz allein für den Zugfunk und die Übertragung von Positionsdaten genutzt wird. Doch bei zukünftigen Anwendungen sind die Anforderungen deutlich höher. Mit FRMCS gibt es bereits eine leistungsfähige Alternative, die auf dem 5G-Standard basiert. Bisher existiert sie allerdings nur auf dem Papier – der Rollout des neuen Funksystems soll in Deutschland frühestens 2025 beginnen.
FRMCS spielt eine zentrale Rolle bei der zukünftigen Digitalisierung des Bahnbetriebs. Darüber hinaus ist es ein einheitlicher Standard für alle Bahnen in Europa. Das sorgt für mehr Investitionssicherheit, da nicht die Gefahr besteht, dass sich später ein konkurrierender Standard durchsetzt. Nach jetzigen Plänen wird FRMCS allein für die Übertragung von Daten aus dem Bahnbetrieb genutzt werden. Für das schnelle Internet im Zug – wovon die Reisenden profitieren – soll ein eigenes 5G-Netz direkt an den wichtigsten Strecken errichtet werden.
Mehr Kapazität auf bestehenden Strecken
Eine der wichtigsten Anwendungen, für die das neue Kommunikationsnetz später genutzt werden soll, ist das Zugsicherungssystem ETCS. Gerade wenn es um die Einführung von ETCS Level 2 – und später auch Level 3 – geht, ist FRMCS dem heutigen Standard GSM-R überlegen.
Kurz erklärt: Bei Level 2 erfolgt die Positionsbestimmung des Zuges über Funk. Die Strecken sind aber wie bisher in feste Abschnitte eingeteilt, in denen sich jeweils nur ein Zug befinden darf. Bei Level 3 hingegen kommt das System der „Moving Blocks“ zum Tragen. Hier wird auf Signale und die ortsfesten Gleisabschnitte, für die vor Befahren eine Freimeldung vorliegen muss, verzichtet. Stattdessen stellen die Züge automatisch den Abstand zum nächsten Zug fest.
Auf Strecken, die mit ETCS Level 3 ausgerüstet sind, können bis zu ein Drittel mehr Züge fahren. Durch dichtere Zugfolgen ist die vorhandene Infrastruktur besser ausgelastet und mehr Passagiere und Fracht werden transportiert.
Comeback des Güterverkehrs auf der Schiene
Und wo wir bei der Fracht sind: Neben der höheren Streckenauslastung durch ETCS – es könnten dann zum Beispiel mehr Güterzüge tagsüber fahren – spielt eine weitere digitale Technologie eine entscheidende Rolle für die Konkurrenzfähigkeit des Gütertransports auf der Schiene: die Digitale Automatische Kupplung.
Damit lassen sich Güterwagen nämlich nicht nur vollautomatisch miteinander verbinden – diese Technologie gibt es seit über 100 Jahren – sondern auch mit zusätzlichen Funktionen wie der automatischen Bremsprobe versehen. Außerdem kann die Länge des Zuges und die Position jedes Wagens mit einem Klick angezeigt werden.
Mit der Digitalen Automatischen Kupplung können Züge in den großen Umschlagbahnhöfen deshalb deutlich schneller zusammengestellt werden. Damit wird der Einzelwagenverkehr wieder attraktiver gegenüber dem Straßentransport. Ein weiterer Vorteil: Wo automatisch gekuppelt wird, sinkt die Unfallgefahr für Bahnarbeiter.
Weniger Zugausfälle durch Störungen
Jeder kennt Meldungen wie diese: „Der Zug fällt wegen einer technischen Störung am Triebfahrzeug heute leider aus.“ Es stimmt, nicht nur Engpässe im Netz führen zu Verspätungen, auch liegengebliebene Züge tragen dazu bei. Die Gründe dafür: fehlende Instandhaltungskapazitäten, zu wenig Personal, starre Kontrollvorschriften. Mit einem leistungsfähigen Kommunikationsnetz lässt sich das leicht ändern. Moderne Züge sammeln nämlich permanent eine große Menge an Betriebsdaten, die ein genaues Bild über den Zustand kritischer Bauteile wiedergeben. Letztlich entsteht durch zahlreiche Sensoren also ein digitaler Zwilling des Zuges.
Um Ausfälle zu vermeiden, müssen diese Betriebsdaten nun laufend über das 5G-Netz in Echtzeit in einen Datenhub überführt werden, wo ein Algorithmus sie mit historischen Daten abgleicht. So lässt sich frühzeitig erkennen, ob das Bremssystem – oder ein anderes kritisches Bauteil – ungewöhnliche Werte aufweist. Der Zug kann dann gewartet werden, bevor er auf der Strecke liegenbleibt.
Die Techniker in der Instandhaltung wissen bereits bevor der Zug in der Werkstatt eintrifft, welches Bauteil sie eventuell austauschen und deshalb vorrätig haben müssen. Und auch feste Wartungszyklen werden so früher oder später obsolet – heute sind sie noch fest vorgeschrieben –, weil Bauteile immer nur noch dann kontrolliert werden müssen, wenn sie abweichende Werte zeigen.
Kommt der vollautomatische Zugverkehr?
Ein leistungsfähiges Kommunikationsnetz und digitale Infrastruktur werden eines Tages auch den vollautomatischen Zugverkehr ermöglichen. Dafür sind neben hohen Datenübertragungsraten aber geringe Latenzzeiten und – ganz wichtig – eine redundante digitale Infrastruktur nötig. Nur so lässt sich ein zuverlässiger und sicherer Betrieb verwirklichen.
Es klingt zwar einfach, schienengebundene Fahrzeuge vollautomatisch fahren zu lassen – in der Realität ist dieses Vorhaben aber deutlich komplexer. Deswegen bleibt ein Fahrer auch in Zukunft an Bord, um bei Ausfällen der Technik einzugreifen. Und auch die Technik in Zügen wird anders aufgebaut sein müssen – nämlich mit einem Fokus auf IT-Sicherheit. Alle Systeme müssen nach dem „Security first“-Prinzip geplant sein, bieten also keine Lücken für potenzielle Cyberangriffe. Denn: Kritische Infrastruktur wie die Bahn gerät immer mehr in den Fokus von Cyberkriminellen.
Es spricht also vieles dafür, dass die Digitalisierung des Bahnbetriebs auch weiterhin auf der Prioritätenliste ganz oben stehen muss. Die Kosten und der Aufwand dafür sind hoch. Für ETCS müssen allein in Deutschland etwa 13.000 Fahrzeuge umgerüstet werden. Ohne effiziente Abläufe bei den Betreibern und die schnelle Abnahme durch die Behörden geht das nicht. Aber: Es sind Investitionen in die Zukunft, und nicht in veraltete Standards.
Co-Autor: Philipp Kupferschmidt, Leiter des Geschäftsbereich Automobil und Mobilität bei Accenture im deutschsprachigen Raum