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Verkehr & Smart Mobility

Standpunkte Stillstand, wo Fortschritt war

Alexander Möller, Geschäftsführer ÖPNV beim Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV)
Alexander Möller, Geschäftsführer ÖPNV beim Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) Foto: promo

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts stehen auch Budgets, die für die öffentliche Mobilität und Verbesserung von Deutschlands Infrastruktur geplant waren, zur Disposition. Nun müssen Prioritäten gesetzt werden. Sie sollten stark auf die Lebenswirklichkeit der Menschen ausgerichtet werden.

von Alexander Möller

veröffentlicht am 20.11.2023

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Dieser Text entsteht 24 Stunden nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Klima- und Transformationsfonds der Bundesregierung. 60 Milliarden Euro fehlen – erst einmal – für Investitionen und konsumtive Ausgaben bei der Bekämpfung des menschengemachten Klimawandels. 

Das betrifft auch Budgets, die für die öffentliche Mobilität geplant waren. Bereits in den letzten Wochen sind – diplomatisch ausgedrückt – Einsparungen, beispielsweise in der Förderung von E-Bussen, erlebbar geworden. Bei den anstehenden Priorisierungen wird es im Verkehrsbereich um Maßnahmen zur Verbesserung von Deutschlands Infrastruktur gehen: auf der Schiene, der Straße, bei der digitalen Transformation und hin zu alternativen Antrieben im Fahrzeugbereich. 

Priorisieren ist stets richtig, bedeutet in diesem Falle jedoch Stillstand dort, wo eigentlich bereits der Fortschritt beschlossen wurde. Die dann definierten Prioritäten sollten stark auf die Lebenswirklichkeit der Bürger*innen und damit potenziellen Wähler*innen ausgerichtet werden. Die Aufgaben des Bundesverkehrsministers – Mobilität, Logistik und Digitalisierung – sind jeden Tag lebenswirklich spürbar: Finden die Pendler*innen verlässliche Mobilitätsangebote? Erreichen Güter Unternehmen und Menschen? Haben wir bundesweit eine ausreichende Bandbreite für die Nutzung digitaler Angebote?

Personal muss besser bezahlt werden

In der öffentlichen Mobilität spiegelt sich diese Lebenswirklichkeit in den Mobilitätsbedürfnissen der Menschen wider. Nur, wenn diese Bedürfnisse erfüllt werden, kann öffentliche Mobilität einen Beitrag zur Dekarbonisierung der individuellen Mobilität leisten. Wir wissen: Während andere deutliche Fortschritte machen konnten, herrscht beim Verkehrssektor mit Blick auf die Klimaschutzziele unverändert Stillstand.

Das Angebot von Bus und Bahn zu erhalten und auszubauen, macht Investitionen und höhere Ausgaben für den Betrieb notwendig. Das gilt für die regionale und lokale Infrastruktur, für Fahrzeuge auf Schiene und Straße sowie für – eine nicht alltägliche Aussage für einen Branchenverband – mehr und (endlich) besser bezahltes Personal ganz unterschiedlicher Berufsgruppen. 

Aktuell steht bundesweit insbesondere fehlendes Fahrpersonal im Busbereich im Fokus. Die oftmals zweistelligen Krankenquoten werden trotz vielfältiger Maßnahmen in den Unternehmen vor Ort nicht besser. Offensichtlich spielt auch die zunehmende Aggression im Straßenverkehr und der Kund*innen für die Kolleg*innen im Bus eine große Rolle. Auch deshalb sind Überlegungen, die Solidarität mit diesen Kolleg*innen zum Beispiel durch die Entkriminalisierung des Straftatbestands des Fahrens ohne Ticket („Schwarzfahren“) aufzukündigen, abzulehnen.

Flatratetickets einführen, Fahrpreisanpassungen ignorieren

Schon der Erhalt des Angebots ist also mit höheren Ausgaben verbunden. Vor lauter neuen und begrüßenswerten Ticketlösungen in Deutschland ist eines in Vergessenheit geraten: Es ist in den letzten Jahren – politisch entschieden – keine auskömmliche Tarifsteigerung für die Fahrgelder durch Tariforganisationen erreicht worden. Das Ergebnis: Die Schere zwischen Ausgaben und Einnahmen in den Unternehmen ist weiter aufgegangen. 

Dazu hat auch die Einführung des Deutschlandtickets entscheidend beigetragen. Sein Preis trägt nicht seine Kosten und bedarf auch deshalb zusätzlicher öffentlicher Gelder. Bund und Länder haben sich auf die weitere Finanzierung temporär verständigt. Die Details der Folgen dieser Vereinbarung zu Lasten der kommunalen und privaten Gesellschafter der Verkehrsunternehmen werden zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Textes hoffentlich in der Musterförderrichtlinie des Deutschlandtickets zwischen Bund und Ländern geregelt sein.

Leider hilft diese Einigung nicht bei den notwendigen Entscheidungen einer künftigen ÖPNV-Finanzierung. Dabei hat der VDV schon 2021 im „ÖPNV-Leistungskostengutachten“ herausarbeiten lassen, wie groß der Finanzbedarf für den Erhalt und Ausbau des ÖPNV bis 2030 ist, damit die Klimaschutzziele im Sektor erreicht werden. Der Bund selbst hat mit einem eigenen Gutachten den Finanzbedarf bis 2031 ermitteln lassen. Das zentrale Ergebnis: Der Finanzbedarf wächst weiter, obwohl weniger Verkehre als 2021 angenommen werden, dafür aber deutlich höhere Kosten. 

Außerdem wird ein stärkerer Anteil an E-Autos unterstellt sowie vor allem weniger On-Demand-Angebote als vom VDV angenommen (deren Regelfinanzierung im städtischen und ländlichen Raum dringend nötig wäre). Doch es geht nicht um einen Gutachterstreit. Es geht jetzt darum, eine Basis zu finden, um den Finanzbedarf nach vorn zu identifizieren und eine Verantwortungsteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen zu erreichen. 

Zentrales Werkzeug bleibt ungenutzt

Mit dem „Ausbau- und Modernisierungspakt“ (AMP) hat die Bundesregierung eine Maßnahme entwickelt, die diese Frage abschließend klären könnte. Leider ist nach der Erstellung eines – klugen – Leitbildes im Oktober 2022 nichts Substanzielles mehr geschehen. Auch die Vorschläge des VDV sind vom Bundesverkehrsministerium noch nicht berücksichtigt worden. Anders als beim „Bündnis bezahlbares Wohnen“ des Bundesbauministeriums fehlt es offensichtlich an einer hohen Priorisierung des Themas in der BMDV-Hausspitze.

Ich meine, der AMP könnte die künftige Finanzierung des deutschen ÖPNV regeln, er könnte eine bundesweite Angebotsgrundlage in Menge und Qualität für die unterschiedlichen Räume vom Ballungsraum, über Speckgürtel bis zum Dorf definieren und er könnte dies auf der Grundlage tatsächlicher Mobilitätsbedürfnisse tun – also dort, wo wir heute in den unterschiedlichen Räumen unterschiedliche Autoverkehre sehen.

Und die Branche selbst? Der Bundesverkehrsminister hat – wohl um von dem Konflikt mit den Ländern abzulenken und den eigenen Finanzminister zu entlasten – eine „Zwei-Milliarden-Euro“-Anstrengung von Ländern und Branche verlangt und über Strukturen gesprochen. Die Branche ist immer gesprächsbereit, wenn es um Effektivitätssteigerungen geht. Doch man muss auch wissen, dass die heutigen Strukturen der Verkehrsverbünde und -unternehmen das Ergebnis unserer föderalen Struktur sind. 

Digitalisierung mehr als ein Schlagwort

Es geht dabei auch um Entscheidungen über das Notwendige vor Ort, infolge eines demokratischen Prozesses und mit der Legitimation, öffentliche Gelder hier auszugeben. Wichtiger als Strukturfragen sind stärkere Formen der Zusammenarbeit und Standards. Es bleibt richtig, gerade mit der dauerhaften Existenz des Deutschlandtickets, Hintergrundsysteme zu vereinheitlichen, Einkauf, Personalrekrutierung und Vertrieb stärker partnerschaftlich anzugehen. Der Digitalminister ist mit der digitalen Vorgabe beim D-Ticket den richtigen Weg gegangen. 

Die digitale Chipkarte und das Handyticket dominieren beim D-Ticket mit über 90 Prozent – das Papierticket ist zur aussterbenden Nische geworden. Fast zwei Drittel der verkauften Deutschlandtickets werden über einen digitalen Vertriebskanal verkauft. Das spornt an, auch hinsichtlich der digitalen Möglichkeiten im Bereich der Dienst- und Umlaufplanung, der präventiven Instandhaltung oder des nach vorn gerichteten Personalmanagements. 

Dafür sind Investitionen notwendig, und ein veränderter Denkansatz: Mehr 80/20 als 110-Prozent-Lösungen, mehr verlässliche Kernprozesse und das konsequente Beenden von analogen Angeboten „daneben“.

Die Kolleginnen und Kollege der Branche haben mit der Covid-Krise, der Einführung des Neun-Euro-Tickets und der Etablierung des Deutschlandtickets in Rekordzeit Höchstleistungen erbracht. Trotz der daraus erfolgten Erschöpfung ist die Branche bereit, den Pfad der Mobilitätswende weiter zu beschreiten. Die Politik entscheidet darüber, ob dieser Weg gemeinsam gegangen und das Ziel einer sozial gerechten, wirtschaftlich tragfähigen Mobilitätswende für alle erreicht werden kann. Diese Politik entscheidet auch über den Standort Deutschland.

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