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Verkehr & Smart Mobility

Standpunkte „Verkehrswende bedeutet für mich nicht, das Auto zu verteufeln“

Laura Klement ist Teilnehmerin des Programms „Transformationsdesigner:innen“ der Evangelischen Akademie Villigst und studiert in Münster sowie Lille im Master Internationale und Europäische Governance
Laura Klement ist Teilnehmerin des Programms „Transformationsdesigner:innen“ der Evangelischen Akademie Villigst und studiert in Münster sowie Lille im Master Internationale und Europäische Governance Foto: privat

Für Menschen mit Behinderungen, Eltern mit Kindern, pflegende Angehörige, Angestellte im Schichtdienst ist ein Lebensstil ohne Pkw oft unpraktisch, unflexibel und unzuverlässig. Dabei gibt es viele Menschen, die sich ein Auto nicht leisten können oder wollen. Durch die Verkehrswende sollte auch für diese Menschen selbstbestimmte, sichere und günstige Mobilität möglich werden.

von Laura Klement

veröffentlicht am 23.04.2024

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Eigentlich bin ich eine glühende Verfechterin von Bus, Bahn und Fahrrad – wirklich. Ich radele unermüdlich aus meinem bayerischen Heimatdorf über Wald und Wiesen in die nächste Kleinstadt. Den Weg zur Arbeit mit dem Bus nutze ich für eine halbe Stunde Lektüre. Die Fahrradfahrt zur Universität sehe ich als integrierte Sporteinheit. Ich genieße es, wenn die Alpen am Zugfenster vorbeiziehen, wenn ich mit dem Regionalzug nach Füssen zum Wandern fahre. Ich liebe es, im Nachtzug in Deutschland einzuschlafen und in Italien aufzuwachen. 

Aber oft genug wird meiner Leidenschaft ein Dämpfer verpasst: zum Beispiel, wenn mal wieder der einzige Zugang zum Gleis über zwei Treppen ohne Rolltreppe und Aufzug führt. Wenn der Bus zur Stoßzeit so voll ist, dass er meine Haltestelle auslässt und ich deshalb eine Dreiviertelstunde zu spät zur Arbeit komme. 

Wenn ich mich auf einem schmalen Radstreifen zwischen auf der einen Seite parkenden und auf der anderen Seite zu nah überholenden Autos durchschlängeln muss. Wenn besagter Fahrradstreifen einfach im Nirgendwo aufhört. Wenn die App nicht anzeigt, dass der Bus ausfällt, und ich dann um 6 Uhr morgens in meinem Heimatdorf alternativlos an der Haltestelle stehe. 

Kein Auto haben ist oft unpraktisch, unflexibel und unzuverlässig

Dann merke ich, dass mein Lebensstil ohne Auto für viele Menschen in anderen Lebenssituationen zu unpraktisch, unflexibel und unzuverlässig ist: für Menschen mit Behinderungen, Eltern mit Kindern (und besonders mit Kinderwagen), pflegende Angehörige, Angestellte im Schichtdienst und Menschen, die nicht mal so einfach eine Stunde später zur Arbeit kommen können, weil der Bus mal wieder ausgefallen ist. 

Gleichzeitig müssen sehr viele Menschen dennoch mit dieser Situation leben. Denn Autos sind erstens teuer – 425 Euro kostet ein Auto durchschnittlich im Monat. 29 Prozent der deutschen Haushalte ohne Auto besitzen deshalb keines, weil sie es sich nicht leisten könnten. Für diejenigen, die es sich trotz geringem Einkommen leisten (müssen), bedeutet dieser Betrag Einschränkungen in anderen Lebensbereichen. 

Zweitens sind nicht alle Menschen in der Lage, Auto zu fahren: Kinder und Jugendliche, Senior:innen, Menschen mit Behinderung. Diese Personen sind in schlecht angebundenen Regionen entweder vollkommen von autofahrenden Angehörigen abhängig oder eben stark in ihrer Mobilität eingeschränkt

Verkehrswende bedeutet Selbstbestimmung

Deshalb bedeutet die Verkehrswende für mich in erster Linie, Menschen jeden Alters und in jeder Lebenssituation selbstbestimmte, sichere und günstige Mobilität ermöglichen zu können. Verkehrswende bedeutet für mich auch, den kostbaren und raren städtischen Raum effizienter und gemeinwohlorientierter aufzuteilen. Denn wir müssen uns die Frage stellen, ob wir es uns noch leisten können, bei so vielfältigen Nutzungsansprüchen an teuren und knappen urbanen Raum – dringend benötigter Wohnraum, mehr Grünflächen – weiterhin in gleichem Maße Straßen und Parkplätze für Autos vorzuhalten.

Nicht zu vergessen: Den ländlichen Raum besser anzubinden und dafür zu sorgen, dass auch Menschen, die noch nicht oder nicht mehr Auto fahren können (oder wollen), mobil sein können, besonders vor dem Hintergrund des demografischen Wandels, der den ländlichen Raum stärker betrifft als die Städte, ist auch Teil der Verkehrswende.

Geld für nachhaltige Infrastruktur sichern

Wieso priorisieren wir weiterhin finanzpolitisch eine Art von Infrastruktur, die erstens nicht von allen Bürger:innen genutzt werden kann, die pro beförderter Person zehnmal so viel Platz benötigt wie der ÖPNV und die obendrein die öffentliche Hand mehr Geld kostet als der ÖPNV?

Es ist unumgänglich, dass öffentliches Geld im Verkehr gewinnbringender und gemeinwohlorientierter eingesetzt wird. Es kann nicht sein, dass in Zeiten knapper öffentlicher Kassen Bewohnerparkplätze in vielen Städten weiterhin 30 Euro pro Jahr kosten, obwohl sich allein die Herstellungs- und Bewirtschaftungskosten eines Platzes auf 200 Euro belaufen. Genauso unverständlich ist es, dass Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) 150 Millionen Euro in ein Flugtaxi-Start-up investieren will oder dass in Berlin an den Planungen einer Stadtautobahn festgehalten wird, deren Kosten inzwischen auf 200.000 Euro pro Meter geschätzt werden.

Gleichzeitig wird die Unterstützung der Kommunen beim Radwegebau gekürzt. Die kommunalen Verkehrsunternehmen werden seit Jahren in einen Sparkurs gezwungen, und die geplante Finanzierung für Ausbau und Instandhaltung der Bahn soll nun auch gestutzt werden. 

Auto wird Teil der Lösung bleiben

Verkehrswende bedeutet für mich nicht, das Auto zu verteufeln. Elektrische Autos, besonders im Sharingmodell oder Kollektivbesitz, haben auch in Zukunft ihren Platz im Verkehrssystem. Doch die Politik hat den Auftrag, das Gemeinwohl in den Mittelpunkt zu stellen. Das sollte auch für die Verkehrspolitik gelten. 

Deshalb müssen beim Einsatz von öffentlichem Geld diejenigen Verkehrsmittel Priorität haben, die allen Menschen Mobilität ermöglichen und gleichzeitig anderen gesellschaftlichen Zielsetzungen wie sauberer Luft in den Städten, sparsamem Umgang mit Fläche, CO2-Reduktion und Verkehrssicherheit dienen.

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