Nach Einschätzung des Bundesverkehrsministers soll „Deutschland weiterhin international die Nummer 1 beim autonomen Fahren bleiben“. So steht es in der Pressemitteilung, die das jüngste Vorhaben des Ministers begleitet: Ein Gesetz, das die Grundlage für Tests autonom fahrender Autos nach SAE Stufe 4 auf Deutschlands Straßen bildet. Tatsächlich hat Deutschland den Spitzenplatz bei dieser Technologie aber bereits vor Jahren verloren. Um Deutschland wieder auf die Pole-Position zurückzuführen, sind eine ganze Reihe ambitionierter Maßnahmen nötig.
Dass Ambitionen fehlen, beobachte ich schon seit Jahren. 1997 habe ich in Deutschland angefangen am autonomen Fahren zu arbeiten. Damals war die Bundesrepublik in der Tat die Nummer 1. Bereits zehn Jahre später hatten andere Nationen auf- und überholt. Ich bin daher 2007 ins Silicon Valley an die Stanford Universität gezogen, weil sich das Epizentrum hierher verlagert hatte. Hier haben die von der US-Regierung veranstalteten Wettbewerbe Grand Challenge und Urban Challenge die Forscher davon überzeugt, dass autonome Fahrzeuge in naher Zukunft Realität werden können.
Wie Deutschland abgehängt wurde
In Deutschland war dagegen die vorherrschende Meinung – auch vieler Experten – man müsse sich mit autonomen Fahrzeugen noch nicht so intensiv beschäftigen, weil es ohnehin noch mehrere Jahrzehnte dauern würde, bis die Technik reif für Serienfahrzeuge sei. Große Ambitionen schien die Industrie damals kaum zu gehabt zu haben. Ganz anders bei Google. Dort werden solche Ambitionen „Moonshots“ genannt. Der Bereich, der an diesen arbeitet, heißt passenderweise „Moonshot Factory“, und diese Factory zeigt seither, was möglich ist.
Der Bundesverkehrsminister hofft nun, dass „Deutschland als erstes Land weltweit autonome Fahrzeuge aus den Forschungslaboren auf die Straße holen wird.“ Im Silicon Valley ist dies schon längst Realität. Unter dem letzten technologieaffinen Präsidenten wurde das Thema zur Chefsache erklärt und die US-Regierung legt bereits seit Anfang 2017 jährlich Strategiepapiere zum autonomen Fahren vor. 2016 konnte ich im Weißen Haus die vorbereitenden Diskussionen mitgestalten.
Kalifornien war schon damals einen großen Schritt weiter. Der US-Bundesstaat veröffentlichte bereits 2012 ein Gesetz, das Tests mit AD-Prototypen und inzwischen auch die kommerzielle Inbetriebnahme autonomer Fahrzeuge reguliert. 2020 haben die ersten kommerziellen, autonomen Mobile ihren Betrieb aufgenommen. Mittlerweile sind in Kalifornien über 600 autonome Fahrzeuge registriert, und die autonom gefahrenen Testkilometer werden zentral erfasst, beeindruckende 20 Millionen sind inzwischen zusammengekommen. Wie viele sind es eigentlich in der Bundesrepublik?
Was die USA von Deutschland unterscheidet
Ich kenne die Situation in Deutschland als auch in den USA sehr genau. Mit meiner Firma bin ich in beiden Märkten vertreten. Gegründet habe ich sie 2017 im Silicon Valley, mit dem Ziel ein Betriebssystem für autonome Fahrzeuge zu entwickeln. 2019 wurde unser erstes Büro in München eröffnet und in 2020 die Niederlassung in Berlin. Spitzen-Softwareentwickler sind auch in Deutschland zu finden. Mit den Erfahrungen aus diesen Standorten lassen sich die ökonomischen und praktischen Rahmenbedingungen direkt miteinander vergleichen. Ein Vergleich, bei dem Deutschland noch Aufholpotenzial zeigt.
Beispielsweise beim Thema Venture Capital Funding. Im Jahr 2019 wurden laut OECD in den USA 112 Milliarden Euro (135 Milliarden US-Dollar) Risikokapital investiert, in Deutschland lediglich gut zwei Milliarden Euro. Ein gründerfreundliches Investitionsklima sieht anders aus. immerhin ist die Firmengründung in Deutschland nicht wirklich komplizierter als in den USA. Und in Deutschland fanden wir sowohl im Münchner Technologie Zentrum als auch in der „Drivery“ in Berlin schnell und einfach inspirierende Arbeitsumgebungen.
Problematisch wird es in Deutschland, wenn es um das Testen der neuen Technologie geht. Mir sind keine Start-ups oder Unternehmen in der Größe von Apex.AI bekannt, die in Deutschland auf öffentlichen Straßen testen. In den USA erproben mit uns dagegen über 50 andere, große und kleine Unternehmen diese Technologie.
Kann der Zugriff auf spezielle Testgelände den Erprobungsbetrieb auf öffentlichen Straßen ergänzen oder sogar teilweise ersetzen? Definitiv ja. Daher wurden in den USA in den letzten Jahren eine Reihe von öffentlich geförderten und Hersteller-unabhängigen Testgeländen speziell für autonome Fahrzeuge eröffnet. Es gibt ganze künstliche Städte, die ideale Rahmenbedingungen zum Entwickeln von AD-Fahrzeugen bieten. Auch kleine Firmen können sie tage- oder stundenweise nutzen. Das sind geradezu paradiesische Zustände.
In Deutschland existieren dagegen lediglich das „Digitale Testfeld Autobahn“ auf der A9 und wenige Kilometer Teststrecke in Hamburg. Für Forschung und Erprobung – gerade von SAE Stufe 4 Fahrzeugen, welche ja das neue Gesetz explizit adressiert – sind aber eher geschlossene Anlagen interessant, praktischer und vor allem sicherer. Wünschenswert wäre es, wenn die deutsche Politik Anreize schafft, bestehende Verkehrsübungsplätze so zu erweitern, dass diese von Firmen zur AD-Erprobung genutzt werden können.
Es gibt aber auch ein Feld, da liegt Deutschland ganz klar vorn: bei der Förderung wissenschaftlicher Projekte durch die öffentliche Hand. Leider sind die Maßnahmen für agile Unternehmen wie unseres aber weniger interessant. Denn unsere Stärke, die auf der Silicon-Valley Kultur beruht, ist es, schnell zu entwickeln und agil zu planen. Wir haben unser erstes Produkt in Kalifornien in nur drei Jahren entwickelt und in einem Jahr zertifiziert. Mit dieser Geschwindigkeit sind öffentlich geförderte Projekte einfach zu wenig kompatibel.
Dennoch sehe ich gute Chancen für das autonome Fahren in Deutschland. Die Gesetzesinitiative ist eine geeignete Grundlage. Allerdings wünsche ich mir zusätzlich ambitionierte, praxisrelevante Maßnahmen, vor allem beim Bereitstellen von Infrastruktur, um Deutschland wieder fit für den Spitzenplatz zu machen.