Mit dem Green Deal und der Verschärfung der Klimaziele hat sich die EU-Kommission viel vorgenommen. Und dies zu Recht: Es ist ein wichtiger Schritt zur Erreichung der Pariser Klimaschutzziele – wenn auch immer noch nicht groß genug. Nun kommt mit dem „Fit for 55“-Paket am Mittwoch ein ganzes Bündel an Vorschlägen zur Revision zentraler Gesetze. Hier bringt die Kommission auch neue Initiativen ein, etwa einen Emissionshandel (ETS) für die Sektoren Verkehr und Gebäude. Es sind harte Verhandlungen zu erwarten, denn innerhalb der EU setzt sich vor allem die Bundesregierung im Namen der deutschen Wirtschaft für das neue Instrument ein.
Es ist absolut zentral, Klimaschadenkosten in den Bereichen Verkehr und Gebäude einzupreisen, die bislang nicht vom ETS abgedeckt sind. In diesen Sektoren ist nur schleppender Fortschritt zu verzeichnen und es müssen schnellstmöglich die Weichen Richtung Klimaneutralität gestellt werden. Die dafür nötigen Investitionsbedarfe werden um ein Vielfaches von den langfristigen Folgekosten eines ungebremsten Klimawandels übertroffen.
Der geplante neue Emissionshandel ist aber nicht geeignet, um die Sektoren auf Zielkurs zu bringen. Das Instrument würde dem Klima wenig nützen, dafür aber soziale Probleme aufwerfen und andere wirksame Klimaschutzmaßnahmen untergraben.
Lenkungswirkung nicht in Sicht
Der Vorschlag der Kommission wird keine Trendwende anstoßen können. Warum? Im Verkehrssektor sind die CO2-Vermeidungskosten vergleichsweise hoch. Um eine Lenkungswirkung zu erzielen, müsste also auch der Preis für die Zertifikate hoch sein: Bereits 2016, als der ETS-Vorschlag schon einmal kursierte, wiesen unabhängige Institute wie das FÖS darauf hin, dass Zertifikatspreise von 370 bis 440 Euro pro Tonne CO2 nötig seien, um dieselbe Wirkung zu erreichen wie ein Grenzwert von 95 Gramm pro Kilometer für Pkw Neuwagenflotten ab 2021.
Gleiches gilt für den Gebäudebereich, auch hier liegen die Kosten für energetische Sanierungsmaßnahmen deutlich über dem, was als Einstiegspreis im Rahmen eines Emissionshandels zu erwarten ist. Die Weichen für einen klimaneutralen Gebäudebestand müssen aufgrund der langen Lebenszeiten von Gebäuden aber jetzt gestellt werden. Dazu braucht es eine angepasste Förderkulisse sowie klare ordnungsrechtliche Vorgaben.
Die Erfahrung mit dem bestehenden EU-ETS für Kraftwerke und Industrie zeigt weitere Schwachstellen auf. Das Instrument wies anfangs viele Schlupflöcher und einen massiven Überschuss an Zertifikaten auf. Auch jetzt gibt es noch eklatante Lücken wie die freie Zuteilung von Zertifikaten an die Industrie. Ein ähnlich holpriger Start ist bei einem Emissionshandel für Verkehr und Gebäude zu befürchten, da auch hier mächtige Wirtschaftsinteressen versuchen werden, das Instrument zu verwässern.
Wichtige Säulen nicht gefährden
Das bisher geltende Instrument, die Lastenteilungsverordnung, legt den Mitgliedstaaten Klimaschutzziele für die Sektoren außerhalb des EU-ETS auf. EU-Länder können in eigener Regie Wirtschaft und Verbraucher zu mehr Klimaschutz anhalten, sind aber zur Zielerfüllung auch verpflichtet. Das ist umso wichtiger, da zum Beispiel fiskalische Instrumente faktisch bislang nur auf nationaler Ebene zum Einsatz kommen können. Es ist zu befürchten, dass einzelne Mitgliedstaaten diese Verpflichtung in den Verhandlungen um das „Fit for 55“-Paket angreifen, denn schließlich sollen Gebäude und Verkehr ja bereits vom neuen ETS abgedeckt sein.
Daneben könnten auch essenzielle ordnungsrechtliche Begleitinstrumente unter Beschuss geraten. Die CO2-Flottengrenzwerte für Pkw sind das Paradebeispiel für ein Instrument, das Hersteller – in diesem Fall Autobauer – in die Pflicht nimmt. Bei allen Mängeln, die die DUH regelmäßig kritisiert, hat die Verordnung zu einer signifikanten Effizienzsteigerung geführt, nachdem in den Jahren vor ihrer Einführung eine freiwillige Selbstverpflichtung der Hersteller kläglich gescheitert war.
Die anstehende Revision der Verordnung bietet die Gelegenheit, Schwachstellen zu beheben und einen klaren Pfad für den erforderlichen Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor aufzuzeigen, ohne die Last allein auf die Schultern der Nutzer zu laden, wie es bei einem Emissionshandel der Fall wäre. Akteure wie der Automobilverband VDA, aber auch Parteien (FDP, CDU) haben mit Verweis auf angebliche „Doppelregulierung“ bereits angekündigt, sich für ein Auslaufen bestehender Regularien einzusetzen und den Emissionshandel zum „Leitinstrument“ zu machen.
Soziale Unwucht vorprogrammiert
Es ist zu erwarten, dass der Zertifikatspreis
im neuen ETS über höhere Kraftstoffpreise auf die Verbraucher abgewälzt
wird. Das würde einkommensschwache Haushalte überdurchschnittlich
belasten. Es wäre nicht sichergestellt, dass
die Kosten entsprechend des Verursacherprinzips dort anfallen, wo sie
Entscheidungen zur Dekarbonisierung anreizen.
In Deutschland beispielsweise wird der seit diesem Jahr geltende CO2-Preis für Heizbrennstoffe komplett von den Mietern getragen, obwohl die Vermieter Entscheidungen über Heizungstausch und Sanierung treffen. Auch für die Automobilindustrie entsteht so keinerlei Anreiz, finanziell und strategisch zur CO2-Reduktion im Sektor beizutragen. Die Zeche zahlt der Endverbraucher, ohne dass ihm der Umstieg auf emissionsärmere Alternativen möglich wäre.
Soziale Verwerfungen entstehen auch dadurch, dass die Kaufkraft in den Mitgliedstaaten sehr ungleich verteilt ist: In Deutschland ist sie fast doppelt so hoch wie in Bulgarien. Dennoch würde eine bulgarische Seniorin fürs Heizen den gleichen Aufschlag zahlen wie ein deutscher SUV-Fahrer für Sprit. Der soziale Ausgleichsmechanismus, den die Kommission vorlegen will, wirkt dabei nicht überzeugend. Laut des vorliegenden Leaks der ETS-Revision sollen lediglich 50 Prozent der Erlöse aus der Versteigerung der Zertifikate nach unklaren Kriterien von den Mitgliedstaaten an sozialschwache Haushalte verteilt werden.
Die Alternative: CO2-Bespreisung durch Energiesteuerrichtlinie
Ein Nein zum separaten ETS ist keine Absage an ökonomische Instrumente: Es ist sogar wichtig, CO2 einen Preis zuzuordnen, und das in allen Mitgliedstaaten. Eine ökologische Reform der Energiesteuern ist besser geeignet, um die nötigen Investitionen und Konsumveränderungen anstoßen. In Deutschland und den meisten Mitgliedstaaten sind die Klimaschadenkosten unterschiedlicher Energieträger bislang nicht in den Energiesteuern abgebildet. Durch eine festgelegte und schrittweise steigende Erhöhung der Mindeststeuersätze nach CO2-Gehalt kann besser Planungssicherheit für Haushalte, Kommunen und Unternehmen geschaffen werden, als durch fluktuierende und krisenanfällige Zertifikatspreise.
Ein erster Vorstoß der EU-Kommission zur Reform der Energiesteuerrichtlinie 2011 wurde von Deutschland blockiert, das die Steuervorteile von Diesel bewahren wollte. Auch der beherzte Einsatz für einen neuen Emissionshandel hat kurzsichtige Wirtschaftsinteressen im Blick. Beides passt nicht mehr in unsere Zeit.
Dorothee Saar ist Bereichsleiterin Verkehr & Luftreinhaltung der DUH, Julian Schwartzkopff ist Projektmanager im Bereich Energie und Klimaschutz.