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Verkehr & Smart Mobility

Standpunkte Warum wir uns einen Gender Data Gap nicht leisten können

Ines Kawgan-Kagan, Gastdozentin an der HTW Berlin und unabhängige Wissenschaftlerin im AEM Institute
Ines Kawgan-Kagan, Gastdozentin an der HTW Berlin und unabhängige Wissenschaftlerin im AEM Institute Foto: privat

Mobilität ermöglicht es Menschen, Alltagsaufgaben zu übernehmen, wobei diese nicht gender-neutral sind. Diese Unterschiede sind häufig nicht in Mobilitätsdaten sichtbar und führen zu einem Gender Data Gap. Nur indem eine inklusive Datenerfassung sowie Analyse vorangetrieben wird, kann sichergestellt werden, dass Mobilitätsdaten ein wirklichkeitsgetreues Bild aller Menschen zeichnen.

von Ines Kawgan-Kagan

veröffentlicht am 03.05.2024

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Mobilität ermöglicht Menschen soziale und wirtschaftliche Teilhabe. Daten zur Alltagsmobilität spielen eine entscheidende Rolle bei der Planung und Gestaltung von Verkehrssystemen und Mobilitätsangeboten. Umso wichtiger ist, dass diese Daten auch die Lebensrealität der Menschen widerspiegeln.

Ein Phänomen, welches die Datenqualität erheblich einschränkt, ist der Gender Data Gap. Er beschreibt die unzureichende Repräsentation von Frauen in Datensätzen, was in einer Benachteiligung dieser in den verschiedensten Bereichen führt. Auch in Mobilitätsdatensätzen führt der Gender Data Gap zu einer verzerrten Darstellung und Bewertung der Mobilitätsbedürfnisse rund der Hälfte der Bevölkerung. Dies beeinträchtigt die Qualität der Daten und kann zu fehlerhaften Annahmen führen, die die Grundlage für zukunftsfähige Verkehrskonzepte bilden sollen.

Männer fahren und besitzen häufiger ein Auto

Seit Jahrzehnten zeigen Studien, dass das Geschlecht indirekt einen erheblichen Einfluss auf die Alltagsmobilität hat. Durch unterschiedliche Aufgaben und Aktivitäten ergeben sich gender-typische Mobilitätsmuster. Insbesondere Frauen mit Kindern und einer Teilzeitstelle kombinieren häufig einzelne Trips zu sogenannten Wegeketten, um die Vielzahl an Aufgaben zu bewältigen. Dabei sei zu erwähnen, dass rund die Hälfte der berufstätigen Frauen in Teilzeit (bezahlt) arbeitet, neben der unbezahlten Care-Arbeit.

Die Mobilität, die sich aufgrund der Care-Arbeit ergibt, wird als Mobility of Care bezeichnet, und umfasst Betreuungsfahrten oder auch Wege, die für andere zurückgelegt werden, wie der Weg zum Einkauf für die ganze Familie. Diese Betreuungs- und Versorgungsaufgaben werden immer noch vorrangig von Frauen übernommen. Statistisch gesehen, legen Männer weitere Strecken zurück und fahren und besitzen häufiger ein Auto. Weiterhin spielt die persönliche Sicherheit für Frauen eine größere Rolle als für Männer, wie unzählige Studien zeigen.

Aber was genau gilt es zu beachten, um einen Gender Data Gap in Mobilitätsdaten zu vermeiden? Dazu sind zwei wichtige Aspekte zu beachten: Zum einen müssen Frauen in den Datensätzen ausreichend vertreten sein, zum anderen müssen die Informationen, die mit den Daten erhoben werden, auch relevante Mobilitätscharakteristika der Frauen abfragen.

Männerüberschuss in Datensätzen

Der erste Aspekt scheint recht einfach zu vermeiden zu sein. Um valide und aussagekräftige Mobilitätsdaten zu erlangen, muss besonderer Wert auf die Repräsentativität und die Berücksichtigung von Intersektionalität gelegt werden. Es ist entscheidend, dass Studien so angelegt sind, dass sie eine breite und gerechte Beteiligung aller Geschlechter gewährleisten. Zudem müssen Faktoren wie Alter, Einkommen und sozialer Hintergrund in die Analyse einfließen, um ein umfassendes Bild der Mobilitätsbedürfnisse zu erhalten.

Häufig finden wir bei freiwilligen Studienteilnahmen im Bereich Mobilität einen deutlichen Männerüberschuss in Datensätzen. Erklären lässt sich das mit dem Interesse an Mobilität vor allem aus technischer Sicht, das eher männlich-konnotiert ist. Daher ist ein Ansatzpunkt, die Themenstellung für Untersuchungen so zu wählen, dass sich nicht nur ein Teil der Bevölkerung angesprochen fühlt. Daher ist auch eine detaillierte Erfassung geschlechtsspezifischer Daten unerlässlich ebenso wie relevante Items, um Intersektionalität sichtbar zu machen und verschiedene Personengruppen identifizieren oder untersuchen zu können.

Das führt zum zweiten zu beachtenden Aspekt, der die Berücksichtigung der Lebensrealität von vielen Frauen meint. Die Themenstellung inklusive Fragestellungen und Antwortmöglichkeiten in Fragebögen sollte so gestaltet sein, dass Informationen in Datensätzen zu finden sind, die nicht nur für Männer eine Rolle spielen, sondern auch typisch weibliche Mobilitätsmuster und -bedarfe abbilden. Häufig geht es um berufsbezogene Wege und eben weniger um die Wege im Hintergrund, die die Berufstätigkeit oft erst ermöglichen; Mobility of Care hingegen ist in vielen Befragungen unterrepräsentiert.

Um Daten so auszuwerten, dass die individuellen Mobilitätsbedürfnisse auch sichtbar bleiben, sollten Analysemethoden gewählt werden, die die Unterschiede nicht zu einem Durchschnitt zusammenfassen. Besonders eine Analyse auf Haushaltsebene führt zur Unterberücksichtigung von gender-typischer Mobilität, wobei eine Auswertung sich darauf konzentrieren sollte, gender-typische Unterschiede in den Mobilitätsmustern zu erkennen und zu verstehen, ohne in stereotype Darstellungen zu verfallen. Eine geschlechtersensible Analyse kann aufdecken, wie unterschiedliche Mobilitätsangebote die Lebensrealitäten der Menschen beeinflussen.

Indem wir die genannten Aspekte berücksichtigen und eine inklusive Datenerfassung sowie Analyse vorantreiben, können wir sicherstellen, dass Mobilitätsdaten ein wirklichkeitsgetreues Bild aller Menschen zeichnen. Dies trägt zu einer gerechteren Gestaltung in Politik, Angebotsentwicklung und Forschung bei und fördert effektive Lösungen, die die Bedürfnisse aller Personengruppen widerspiegeln.

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