Sind Industrie, Speditionen und Regierungen bereit, dass Stapel an gestempelten oder bedruckten Papieren bald aus dem Logistik- und Lieferkettenbetrieb verschwinden? Und stattdessen nur noch digitale Meldungen an die Behörden erfolgen? Sodass kein Anhalten der Lastwagen auf der Straße mehr nötig ist, um die Papiere zu prüfen? Und dass digital auch meint, PDF-Dateien und E-Mails ebenfalls überflüssig zu machen?
Diese digitale Realität scheint noch weit weg. Viele Hindernisse pflastern den Weg dorthin. Doch dank der sich beschleunigenden regulatorischen und technologischen Entwicklungen wird die Ladung – vielleicht bis 2030 – mehr oder weniger papierlos durch die Europäische Union fahren.
Schlüsselfaktor für den papierlosen Transport: die eFTI-Verordnung
Die Initiativen zu eGovernment, Industry 4.0, Real Time Economy und eInvoicing sind angelaufen, jedes Jahr werden neue Erklärungen zu gemeinsamen digitalen Zielen unterzeichnet. Viele dieser Initiativen haben Schnittpunkte mit dem Güterverkehr und dem Handel. Doch erst jetzt ist das Momentum für den Transport- und Mobilitätssektor da.
Noch vor einem Jahr erschien die papierlose Logistik mehr ein unrealistischer Traum als ein klares Konzept zu sein. Engagierte, koordinierte und gemeinsame Vorstöße politischer Entscheidungsträger und anderer Interessengruppen arbeiten jedoch an der Realisierung.
Die jüngste, aber auch wichtigste Voraussetzung für den digitalen Wandel im europäischen Güterverkehr ist die eFTI-Verordnung, die im Juli 2020 verabschiedet wurde. Sie wird den obligatorischen elektronischen Informationsaustausch und die Berichterstattung zwischen Unternehmen und Behörden schon in vier Jahren durchsetzen.
In den kommenden zwei bis drei Jahren wird Europa mit Lösungen überflutet werden, die versuchen, den Anforderungen der Verordnung gerecht zu werden.
Das Positive eines solchen Wettlaufs liegt neben dem Wettbewerb darin, dass es einen großen Pool an Lösungen, Optionen und bewährten Praktiken geben wird. Daraus kann für die derzeit noch in Arbeit befindlichen Regelungen ausgewählt werden. Dass die ersten Entwicklungen parallel zur Einigung über die technische Spezifikation verlaufen, ist eine einzigartige Gelegenheit für eine öffentlich-private Zusammenarbeit. So lassen sich die besten Optionen ausloten, während noch über die endgültigen Regeln entschieden wird.
Harmonisierte
Prozesse ermöglichen Technologieneutralität
eFTI deckt die bereits bestehenden Melde- und Informationsanforderungen ab und dient der Harmonisierung der Meldeverfahren in Bezug auf den internationalen Güterverkehr.
Zu diesem Zweck werden Informationen und Datensätze harmonisiert, um sicherzustellen, dass sie die gleiche „Sprache“ verwenden, so dass die Systeme trotz ihrer Unterschiede im Betrieb oder sogar im technologischen Aufbau miteinander verbunden werden können.
Auch über andere Technologien und Herangehensweisen denken wir nach, zum Beispiel die Vermischung von gemeinsamen Plattformen, einen eGovernment-Ansatz und
Blockchain. Ziel ist, einen weiteren
Sprung im Technologiebereich zu ermöglichen und Innovatoren die Möglichkeit zu
geben, Lösungsansätze und Interoperabilitätsarchitekturen zu entwickeln, die
bisher nicht verfügbar waren.
Einzigartiges
Kooperationsmodell zur Planung der Interoperabilität
Durch eine Zusammenarbeit, bei der sich verschiedene Interessengruppen sowie Länder und Regionen überschneiden („Cluster“), lassen sich ein fragmentierter Ansatz oder übermäßige Kosten für die Entwicklung zu vieler paralleler Lösungen vermeiden.
Wenn zum jetzigen Zeitpunkt das Wettbewerbsdenken durch das gemeinsame Ziel ausgeglichen werden kann, bewährte Praktiken in Clustern zu entwickeln, die später miteinander konkurrieren, und dennoch untereinander interoperabel sind, könnten wir die beste Aufteilung der Ressourcen zulassen – und eine einzigartige Denkweise beweisen. Dafür stehen meine Forschung und unsere Initiative.
Wie der digitale Wandel ermöglicht und die Entwicklungen unterstützt werden können:
- die Gesetzgebung akzeptieren: Es ist eine Verordnung
in Kraft, die die elektronische Einreichung von Frachtinformationen
vorschreibt, und es ist besser, jetzt mit der Planung zu beginnen, als zu warten, bis das Antragsdatum vor der Tür steht;
- die Realisierung und Nutzung verschiedener Technologien
und Standards ermöglichen.
- Konsens der Interessenvertreter über die durch die Digitalisierung erzielbaren gegenseitigen
Vorteile herstellen, und damit einen Beitrag leisten, bewährte Praktiken zur gemeinsamen Nutzung von Daten sowie der Logik des Informationsflusses
zusammenzutragen;
- die Bereitschaft und Fähigkeit politischer
Entscheidungsträger, als Geldgeber erste Tests und die Erstellung von
Prototypen zu unterstützen und diese zu finanzieren, während die Anforderungen noch
im Entstehen begriffen sind;
- IT-Entwickler und Dienstleistungsanbieter die in den
konzeptionellen Ebenen mitdenken, die für die Schaffung eines zukünftigen
Netzwerks von föderierten Plattformen erforderlich sind, ohne ausschließlich
auf ihre eigene historische Lösung zu drängen;
- Verbände, Cluster und gemeinsame Projekte sollten so weit
wie möglich öffentliches Wissen darüber erzeugen, wie viel die Teilnehmer
des Versorgungsnetzes gewinnen (sowohl in finanzieller Hinsicht als auch in
Bezug auf andere Ressourcen) und die Diskussion darüber
fördern, wer dann für die Lösungen zahlen soll.
Ulrika Hurt ist Leiterin der F&E für die Single-Window-Initiative Estland und ist ernanntes Mitglied der Expertengruppe Digital Transport and Logistics Forum der Europäischen Kommission. Sie steht hinter dem Konzept und der Architektur der grenzüberschreitenden eCMR-Indexierung (digitaler Frachtbrief). Im Rahmen der gestern und heute vom Wirtschaftsministerium und der Europäischen Kommission veranstalteten Cluster-Konferenz stellt sie ihre Initiative vor.