Auf der IAA Mobility im September fielen zwei Dinge auf: die vielen windschnittigen Elektromodelle chinesischer Marken und die deutschen Automanager, die wenig außer Lob für E-Fuels zu bieten hatten. Die europäische Autoindustrie läuft Gefahr, bei Elektroautos gegenüber chinesischen Konkurrenten an Boden zu verlieren. Und die Gefahr ist ernst.
Exportorientierte deutsche Marken haben in China bereits verloren. Selbst in ihren Heimatmärkten verzeichnen europäische Hersteller wie Volkswagen schlechte Verkaufszahlen bei Elektroautos. Demgegenüber steigen in Europa die Verkäufe von Tesla, der Renault-Marke Dacia und in China hergestellten Elektroautos sprunghaft an. Und das liegt nicht an unfairen Praktiken oder laxen Umweltstandards außerhalb Europas. Es liegt daran, dass, chinesische Hersteller bessere Batterien, bessere Software und bessere Infotainmentsysteme produzieren und damit bei Autofahrern punkten.
Deutsche Autohersteller hinken hinterher, weil sie in ihrer Arroganz zu schleppend in die Elektrifizierung investiert haben. Erst propagierten sie „sauberen Diesel“ als die Zukunft, dann kam Dieselgate. Also verkauften sie uns Plug-in-Hybride, die sowohl einen Elektro- als auch einen Benzinantrieb nutzen, als die bessere Alternative. Diese wiederum entpuppten sich als Fake-E-Autos, woraufhin die Bundesregierung Anfang des Jahres die Kaufsubventionen strich.
Wissing tut seinen Freunden einen Gefallen
Jetzt erzählen sie uns das dritte Märchen: Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) tut seinen Freunden in der Kraftstoff- und Autoindustrie einen Gefallen, indem er behauptet, dass synthetischer Diesel und synthetisches Benzin den Liebling der Deutschen vor dem Aussterben bewahren werden – den Verbrenner. E-Fuels werden so zum Symbol für die liberale Freiheit und Technologieoffenheit erkoren. Doch diese E-Fuels sind eine Sackgasse, die die deutschen Autohersteller nur zu Schlusslichtern mit überschätzten Egos machen.
Machen wir einen Schritt zurück: Was ist das Problem mit E-Fuels? E-Fuels sind ihren fossilen Pendants in ihrer Zusammensetzung ähnlich und werden in einem Verbrennungsmotor auf dieselbe Weise verbrannt. Sie emittieren also die gleiche Menge an Kohlenstoff wie herkömmliche fossile Kraftstoffe. Außerdem stoßen sie viele giftige Luftschadstoffe aus.
Am Ausstoß lässt sich nichts ändern (daher kann es nie eine „emissionsfreie“ Lösung sein), aber der CO2-Anteil kann in der Produktionsphase neutralisiert werden. Deshalb ist im Text zum EU-Ziel für das Verbrenner-Aus bei Neuwagen ab 2035 von der Zulassung „klimaneutraler“ Kraftstoffe die Rede. Die EU-Kommission hat kürzlich versucht zu definieren, unter welchen Bedingungen diese Bezeichnung gerechtfertigt ist.
Mit Recht hat die Kommission vorgeschlagen, dass nur 100 Prozent klimaneutrale Kraftstoffe zugelassen werden sollten. Aber ironischerweise sagen jetzt die Befürworter:innen von E-Fuels, wie die E-Fuel-Alliance, dass dies nicht möglich ist. Jedoch hatten sie genau das jahrelang behauptet. Jetzt fordern sie stattdessen, die Maßgabe der CO2-Reduzierung auf nur 70 Prozent zu reduzieren. Wenn Europa diesen Weg einschlägt, wird es dauerhaft erlaubt sein, Autos zuzulassen, die ein Äquivalent von 61 Gramm CO2 pro km ausstoßen. Das ist nicht viel besser als die heutigen Plug-in-Hybride.
Jetzt zur realen Welt.
Selbst wenn wir alle Anstrengungen unternehmen, um E-Fuels klimaneutral zu machen, werden sie dem Import von überlegenen chinesischen Elektroautos wirklich standhalten? Kaum denkbar.
Die Herstellung von synthetischem Benzin und Diesel erfordert fünfmal mehr Energie als die direkte Elektrifizierung, zum Beispiel durch Batterien – selbst wenn à la Porsche chilenischer Wind zur Herstellung genutzt wird. Doch Effizienz ist entscheidend. Abgeschnitten von der weltweiten Ölversorgung produzierten deutsche Raffinerien in den 1940er-Jahren aus Kohle Treibstoff für den Straßen- und Luftverkehr (mit einem Konzept, das den heutigen E-Fuels nicht unähnlich ist). Doch trotz dieses technischen Einfallsreichtums konnte sich das Verfahren nicht durchsetzen. Sobald das Öl wieder floss, kehrten die Raffinerien zu der optimalen Lösung zurück. Effizienz ist kein theoretisches Konzept – sie ist wichtig für die Wirtschaft und die Wettbewerbsfähigkeit.
Nicht weitere fünf Jahre mit Debatten verlieren
Liberale und Konservative behaupten oft, dass die Ineffizienz bei der Produktion von E-Fuels irrelevant sei, wenn sie in Ländern mit einem Überfluss an erneuerbaren Energien produziert werden. Kurz gesagt wird erwartet, dass Länder im globalen Süden mit einer oft unzureichenden und CO2-intensiven Energieversorgung schnell erneuerbare Energien aufbauen, damit deutsche Autofahrer E-Fuels tanken können. Damit wären wir wieder bei der deutschen Arroganz.
Es wird Deutschland teuer zu stehen kommen, wenn wir uns weiter dem E-Fuels-Märchen hingeben. Wir riskieren, weitere fünf Jahre mit Debatten zu verlieren, ob das Ausstiegsdatum aus dem Verbrenner 2035 richtig ist, während amerikanische und asiatische Konkurrenten den elektrischen Massenmarkt nicht nur in Europa, sondern weltweit erobern. Ähnlich bei Lkw. Wir führen den Sektor zwar noch an, riskieren aber, uns in Scheinlösungen zu verstricken, statt die Ladeinfrastruktur auszubauen.
Wissings gescheiterter Versuch, auf der IAA eine globale Koalition für E-Fuels zu schmieden, war ein peinlicher Reinfall. E-Fuels bedeuten nicht Freiheit, E-Fuels bedeuten nicht Wohlstand für alle. Sie sind allenfalls eine Nischenlösung im Straßenverkehr und sollten ebenso wenig (politisches) Kapital beanspruchen. Dieses Kapital muss stattdessen in industriepolitische Maßnahmen investiert werden, um Batteriefabriken zu errichten, die Versorgung mit kritischen Rohstoffen an Land zu sichern und eine intelligente Handelspolitik zu betreiben – kurzum: eine wettbewerbsfähige Elektroautoindustrie in Deutschland und Europa aufzubauen.