Agrar-Ernaehrung icon Agrar & Ernährung

Standpunkte Die neue Regierung braucht eine Vision für den Tierschutz in der Landwirtschaft

Volker Gaßner
Volker Gaßner, Mitglied der Geschäftsleitung bei der Tierschutzorganisation Vier Pfoten Deutschland Foto: Vier Pfoten

Der neue Bundeslandwirtschaftsminister muss mehr als eine Pro-Schnitzel-Politik machen. Das erwartet Volker Gaßner von der Tierschutzorganisation Vier Pfoten und hofft hier auf eine positive Überraschung. Die Gesellschaft weiß er bei der Forderung nach mehr Tierschutz hinter sich.

von Volker Gaßner

veröffentlicht am 07.05.2025

Lernen Sie den Tagesspiegel Background kennen

Sie lesen einen kostenfreien Artikel vom Tagesspiegel Background. Testen Sie jetzt unser werktägliches Entscheider-Briefing und erhalten Sie exklusive und aktuelle Hintergrundinformationen für 30 Tage kostenfrei.

Jetzt kostenfrei testen
Sie sind bereits Background-Kunde? Hier einloggen

Es ist vollbracht, der Koalitionsvertrag ist unterzeichnet, der Kanzler im zweiten Wahlgang endlich gewählt, die Regierungsmannschaft von Union und SPD steht – grünes Licht also für die kommende Regierung.

Auf Rot hingegen stehen weiterhin die Signale für mehr Tierschutz bei landwirtschaftlich gehaltenen Tieren: Man muss schon mit der Lupe im Koalitionsvertrag suchen, um wenigstens einen minimalen Verbesserungswillen zu entdecken. Nach einer echten Verbesserung oder gar einer Vision für den Tierschutz in der Landwirtschaft sucht man vergeblich.

Nun ist mit Alois Rainer auch der neue Bundeslandwirtschaftsminister bekannt. Ein Mann, der an der tierquälerischen Anbindehaltung festhalten und wohl kaum mehr Tierschutz, sondern vor allem Entlastungen für die Landwirt:innen und eine Harmonisierung mit den EU-Nachbarn durchsetzen will.

Das lässt nichts Gutes für den Tierschutz in den kommenden vier Jahren erahnen. Es wäre schon eine Überraschung, wenn der CSU-Mann etwas anderes als eine Pro-Schnitzel-Politik betreiben würde. Doch genau das brauchen wir – eine positive Überraschung.

Denn die Volksvertreter:innen scheinen eines vergessen zu haben: Die Gesellschaft hat sich verändert und die deutschen Bürger:innen wollen mehr mehr Tierschutz! Unser Blick auf die Tiere und unser Verständnis von Verantwortung haben sich stark gewandelt. Es ist zeitgemäß, diese gesellschaftlichen Entwicklungen zu berücksichtigen und die Tierschutzstandards für sogenannte Nutztiere perspektivisch zu erhöhen.

Das sollte sich auch im Koalitionsvertrag widerspiegeln. Dies ist jedoch nicht der Fall. Dabei kämen eine Hinwendung zu mehr Tierschutz und eine Neuausrichtung der bisherigen Landwirtschaftspolitik nicht nur den Tieren, sondern auch den Landwirt:innen sowie unserem Klima und unserer Umwelt zugute.

Auch Bauern und Bäuerinnen fordern ein Umdenken

Die neue Regierung sollte die Fehler ihrer Vorgänger nicht wiederholen. Denn nach wie vor geraten die Landwirt:innen im globalen Wettbewerb unter die Räder, immer mehr Höfe müssen aufgeben. In den vergangenen 30 Jahren mussten in Deutschland mehr als 350.000 Höfe schließen – ein Rückgang um fast 60 Prozent.

An die Stelle dieser Betriebe treten auf Maximalprofit ausgerichtete Konzerne, die sich wenig um Tierschutz oder Ökologie scheren. Die schwierige Lage der bäuerlichen Betriebe wurde nicht durch die angeblich so hohen Tierschutzstandards verursacht, sondern durch die fatale Entscheidung der Politik, auch in der Landwirtschaft im großen Stil im globalen Wettbewerb mitmischen zu wollen.

Das sehen auch viele Bäuerinnen und Bauern so, die auf den jährlichen „Wir haben es satt“-Demos seit 15 Jahren eine Abkehr des „Wachse oder Weiche“-Mantras hin zu einer bäuerlich-ökologischeren Landwirtschaft fordern.

Vision für den Tierschutz? Fehlanzeige!

Wer zu Beginn der vergangenen Legislaturperiode darauf gesetzt hatte, dass sich diese Entwicklungen mit einem grünen Landwirtschaftsminister zum Besseren wenden, wurde enttäuscht. Der selbst ernannte „oberste Tierschützer Deutschlands“ Cem Özdemir hat statt grüner Wiesen Ödland im Tierschutz hinterlassen. Es liegt in der Verantwortung der neuen Regierung, dieses Ödland wieder fruchtbar zu machen.

So war unter Özdemir etwa eine verpflichtende Haltungskennzeichnung für Fleischprodukte geplant, um Verbraucher:innen so zu informieren, dass sie bewusst Fleisch aus besserer Haltung kaufen können. Doch am Ende stand ein Kennzeichen, welches den Namen nicht verdient. Die nun ursprünglich bei den Koalitionsverhandlungen angedachte Weiterentwicklung des Kennzeichens mit einer Ausweitung auf andere Tierarten, den gesamten Lebenszyklus und die Außer-Haus-Verpflegung wurde bei der Finalisierung des Koalitionsvertrags gleich wieder eingestampft.

Besonders schmerzhaft ist auch das Scheitern der viel zu spät gestarteten größten Tierschutzgesetznovelle seit einem Jahrzehnt. Nach dem verschleppten Start und quälenden Ampel-Verhandlungen konnte das Gesetz nach dem vorzeitigen Regierungs-Aus nicht mehr beschlossen werden. Eine Wiederbelebung durch die neue Koalition wäre dringend geraten.

Stattdessen wurden im Koalitionsvertrag nur zwei Aspekte für die landwirtschaftliche Tierhaltung aufgenommen: Während die im Tierschutzgesetz-Entwurf angedachte Kennzeichnung und Kontrolle in Tierverarbeitungsanlagen auch mit der neuen Regierung weiterhin ermöglicht werden sollen, ist die Videoüberwachung auf Schlachthöfen zu einem bloßen Prüfauftrag zusammengeschrumpft.

Und das von Tierschützer:innen und Jurist:innen seit Jahren eingeforderte Lebendtiertransportverbot in weit entfernte Drittstaaten? Kein Wort dazu im Koalitionsvertrag!

Deutschland ist beim Tierschutz kein Vorzeigeland

Deutschland ist ein Land, das die Einhaltung der ohnehin schon ungenügenden Gesetze weder zufriedenstellend kontrolliert noch bei Verstößen hart genug sanktioniert. Tatsache ist, dass deutsche Tiere an den Grenzen zu Drittländern elendig in ihrem eigenen Kot verenden. Wir leben in einer „Tierschutzvorzeigenation“, in der Schweine in Mastanlagen fernab der Öffentlichkeit unter Geschwüren ohne Tageslicht dahinleiden, Kühe an Seilwinden mit gebrochenen Gliedmaßen in den Schlachthof gezerrt werden oder Hühner wegen ungenügendem Brandschutz in Ställen elendig verbrennen.

Nach Aussage der Agrarlobby sind das alles nur bedauerliche Einzelfälle. Doch ein Blick in die Medien genügt, um zu erkennen, dass es inzwischen so viele dieser „schwarzen Schafe“ gibt, dass damit die eine oder andere Herde aufgebaut werden könnte.

Ein Paradigmenwechsel muss her

Es liegt in der Hand der neuen Bundesregierung, eine positive Vision für die Landwirtschaft zu entwickeln, mit der diese Probleme angegangen werden. Der Koalitionsvertrag zeigt jedoch, dass dies nicht geplant ist: Mit dem direkt zu Beginn genannten Bekenntnis zur Tierhaltung in Deutschland und den wenigen ambitionslosen Vorhaben zeigt die neue Bundesregierung, dass sie weder eine Vision für den Tierschutz noch für die Tierhaltung hat. Stattdessen wird am bestehenden System und einer Agrarpolitik des letzten Jahrhunderts festgehalten.

Mit einer homöopathischen Dosis Tierschutz ist das marode System der Landwirtschaft aber nicht zu heilen. Ein Paradigmenwechsel muss her. Ein guter Anfang wäre es, die begonnene Tierschutzgesetznovelle zu einem würdigen Ende zu führen.

Zu einem ehrlichen Wechsel gehört zudem eine Bestandsreduktion: Weniger Tiere auf mehr Platz, die zu besseren Bedingungen gehalten werden. Dazu müssen auch fehlende Haltungsvorgaben etwa bei Puten oder problematische Haltungsformen wie die Anbindehaltung endlich angegangen werden.

Der Koalitionsvertrag lässt zudem offen, wie der dort beschriebene Umbau der Tierhaltung tatsächlich ausgestaltet und überhaupt finanziert werden soll. Darüber hinaus sollte das Amt der Beauftragten der Bundesregierung für Tierschutz fortgeführt und rechtlich verankert werden.

Wer argumentiert, dass das Land derzeit dringendere Probleme zu lösen hätte, der ignoriert den eingangs beschriebenen Wählerwillen. Zudem: Tierschutz ist seit über 20 Jahren in unserem Grundgesetz verankert und mehr als ein Nice-to-have.

Der Ball liegt jetzt bei Alois Rainer

Auch wenn die Bedingungen unter Union und SPD keinen idealen Start für mehr Tierschutz verheißen, muss dieser im Blick behalten werden. Letztlich geht es bei der Vision für den Tierschutz auch nicht „nur“ um die Tiere, sondern um uns als Gesellschaft: Die Formulierung einer Vision ist keine Krankheit, wegen der man zum Arzt gehen sollte, wie es Altkanzler Helmut Schmidt formulierte, sondern etwas, das auch heilsam sein kann – für Mensch, Umwelt und Tiere.

Und wäre es nicht eine echte Überraschung, wenn diese Vision auch von einem Landwirtschaftsminister getragen werden würde, dem man dies auf den ersten Blick nicht zutraut? Von einem Mann, der eigentlich das Ende der „Tofutümelei“ einleiten soll? Der Ball liegt jetzt beim künftigen Landwirtschaftsminister: Alois Rainer, wir sind für eine positive Überraschung bereit. Sind Sie es auch?

Lernen Sie den Tagesspiegel Background kennen

Sie lesen einen kostenfreien Artikel vom Tagesspiegel Background. Testen Sie jetzt unser werktägliches Entscheider-Briefing und erhalten Sie exklusive und aktuelle Hintergrundinformationen für 30 Tage kostenfrei.

Jetzt kostenfrei testen
Sie sind bereits Background-Kunde? Hier einloggen