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Standpunkte Warum „Tierwohl“-Versprechen nicht überzeugen und was stattdessen passieren muss

Friederike Schmitz
Friederike Schmitz, Projektkoordinatorin und Referentin beim Verein Faba Konzepte Foto: Hendrik Haßel

Ob Kennzeichnungen, Werbeaussagen oder neue Gelder: „Tierwohl“-Initiativen aus Politik und Wirtschaft sollen für bessere Bedingungen in Ställen sorgen. Doch in der Realität sind diese Versprechen oft trügerisch, kritisiert Friederike Schmitz von Faba Konzepte. Statt nur auf bessere Haltungsformen zu setzen, brauche es einen umfassenderen Wandel – hin zu einer pflanzenbasierten Ernährung und einer sozial gerechten Reduktion der Tierhaltung.

von Friederike Schmitz

veröffentlicht am 23.06.2025

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„Tierwohl” ist in aller Munde: Der neue Bundeslandwirtschaftsminister Alois Rainer verspricht Förderung für „Tierwohlställe“ – also Ställe, in denen bessere Haltungsbedingungen als nach dem gesetzlichen Mindeststandard umgesetzt werden sollen. Aldi Süd präsentiert ab sofort Frischfleisch aus den höheren Haltungsformen 3, 4 und 5 in grün designten Kühlschränken mit der großen Überschrift „Mehr Tierwohl“. Große Ketten wie Edeka und Rewe werben damit, bis 2030 das Sortiment in bestimmten Segmenten ganz auf diese Haltungsformen umzustellen – ebenfalls unter dem Motto „Tierwohl“.

Die Strategie der Haltungsformen

Branche und Politik reagieren damit auf anhaltende Kritik: Immer wieder zeigen Undercover-Aufnahmen aus Ställen massives Leid und Gewalt an Tieren und verunsichern damit Käufer:innen von Fleisch, Milch und Eiern. Denn die meisten Menschen wollen Umfragen zufolge wissen, unter welchen Bedingungen die Tiere gehalten wurden – und wünschen sich höhere Standards.

Bereits 2019 führte der Handel die einheitliche Haltungsform-Kennzeichnung ein, die mehr Transparenz schaffen und eine „bewusste“ Kaufentscheidung ermöglichen sollte. Mittlerweile umfasst die Kennzeichnung fünf Stufen, vom Mindeststandard bis Bio. Das Versprechen lautet: je höher die Stufe, desto mehr „Tierwohl“ bei der Erzeugung. Je mehr Ställe auf höhere Haltungsformen umgerüstet werden, desto besser.

Die Politik ist praktisch in diese Strategie eingestiegen: So hat etwa die Ampelregierung eine staatliche Kennzeichnung für Schweine mit entsprechenden Stufen auf den Weg gebracht und Förderprogramme für die Errichtung und den Betrieb von Ställen ab Haltungsform 3 aufgelegt. Die neue Koalition will laut dem Koalitionsvertrag grundsätzlich auf diesem Weg weitergehen und mehr Steuergelder in „Tierwohlställe“ stecken. Dabei geht es um 1,5 Milliarden Euro pro Jahr.

Die Tierwohl-Mogelpackung

Das Problem dabei: Die vermeintlich besseren Bedingungen bedeuten für Tiere immer noch massives Leid. Schweine sind weiterhin auf wenigen Quadratmetern auf Betonböden eingesperrt, wo sie weder im Boden wühlen, noch mehr als ein paar Schritte gehen können.

Die unzureichenden Vorschriften werden darüber hinaus oftmals nicht eingehalten, wie eine Veröffentlichung von Animal Rights Watch aus dem Mai zu den Haltungsformen 3 und 4 belegt: Tiere leben in zentimetertiefen Fäkalien, liegen auf durchweichtem Stroh oder nacktem Beton. Die Bilder dokumentieren auch unbehandelte Wunden, Vernachlässigung und Gewalt.

Hinzu kommt, dass die Kennzeichnung nur einen Teil der Produktionskette, nämlich die Mastphase, abdeckt. Aus Undercover-Recherchen wissen wir: In den vorgelagerten Ferkelzuchtbetrieben werden zu kleine oder schwache Ferkel reihenweise getötet, oft mit grausigen Methoden. Und die Betäubungsmethode mit Kohlendioxid, die die meisten Schlachthöfe einsetzen, verursacht Schmerzen, Atemnot und Panik.

Wenn diese Realität mit dem Begriff „Tierwohl“ beworben wird, ist das also keine Transparenz, sondern Verbrauchertäuschung. Der Begriff dient in den meisten Kontexten der Beschönigung, denn er setzt mit „Wohl“ ein positives Framing für eine Diskussion, in der es eigentlich um schlimmes Leid geht.

Ställe in höhere Haltungsformen umzubauen, löst auch die anderen bekannten Probleme der Tierhaltung nicht: Die hohen Treibhausgasemissionen, die mit der Fütterung und Haltung der Tiere einhergehen, werden dadurch nicht kleiner. Umweltschäden durch Landverbrauch und Gülle werden nicht geringer. Eine fleischlastige Ernährung wird nicht dadurch gesünder, dass die Produkte aus „Tierwohlställen“ stammen.

Für ein nachhaltiges Ernährungssystem müssten die Zahl der Tiere und der Tierkonsum drastisch sinken – das ist aber in der Strategie „Tierwohl“ nicht vorgesehen. Tatsächlich besteht umgekehrt die Gefahr: Wenn noch mehr Steuergelder in die Tierhaltung fließen, wird das Investitionen motivieren und hohe Tierzahlen sogar noch stabilisieren. Beruhigende Aufschriften auf Wurst und Käse sorgen dafür, dass Verbraucher:innen ihren Konsum weniger hinterfragen.

Wenn man genauer hinschaut, kann man sogar bezweifeln, ob die großen Supermarktketten und die Regierungskoalition den Umbau zu höheren Haltungsformen überhaupt ernsthaft verfolgen wollen: Eine Greenpeace-Untersuchung zeigt, dass die Ketten besonders viel Werbung für Fleisch aus den niedrigsten Haltungsformen machen. Und der agrarpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Johannes Steiniger, verkündete, die „Tierwohl“-Fördergelder könnten womöglich schon für Haltungsform 2 fließen, obwohl sich diese noch weniger als die höheren Stufen vom Mindeststandard unterscheidet.

Die Transformation des Ernährungssystems

Statt warmer Worte braucht es daher endlich sinnvolle Initiativen, die den Problemen gerecht werden. Wirksame Tierschutzmaßnahmen müssten mit einem Konzept für den sozial gerechten Abbau der Tierhaltung kombiniert werden. Je weniger Tiere gezüchtet und geschlachtet werden, desto besser. Denn solange Tiere sich als „Nutztiere“ rechnen müssen, bleiben ihre Bedürfnisse auf der Strecke. Auch Klimaschutz und Gesundheit sprechen klar für ein pflanzenbasiertes Ernährungssystem.

Aber liegt der Hebel zur Veränderung nicht allein bei den Konsument:innen, die schlicht anders einkaufen müssten? In der Tat setzen Kaufentscheidungen wichtige Signale. Man darf allerdings nicht übersehen, wie stark das Ernährungsverhalten bereits jetzt von Angeboten, Anreizen und anderen Rahmenbedingungen abhängt. Nur ein Beispiel: Die großen Supermarktketten haben im Jahr 2024 laut Greenpeace 27-mal so viele Werbeaktionen für Fleisch gemacht wie für Alternativprodukte. Die Supermärkte nehmen über Sortimentgestaltung, Preise und Werbung also großen Einfluss auf die Ernährung der Menschen – Einfluss, den sie anders nutzen müssten. Pflanzliche Lebensmittel zu fördern, würde dabei auch ihren Klimaverpflichtungen entsprechen.

Auch die Bundesregierung ist für entscheidende Rahmenbedingungen verantwortlich. Sie müsste die 1,5 Milliarden Euro pro Jahr, die der „tierwohlgerechte Stallumbau“ kosten soll, nutzen, um Betriebe beim Umstieg auf Alternativen zur Tierhaltung zu unterstützen – mit Beratung und gezielten Förderprogrammen. Die Ampelregierung hat mit dem „Chancenprogramm Höfe“ einen Aufschlag gemacht, an den sich anknüpfen ließe.

Daneben könnte die Koalition pflanzenbasierte Lebensmittel mit einem Aktionsplan stärken, wie es ihn in Dänemark gibt. Ein großer Fördertopf speist dort Projekte, die zum Beispiel die pflanzlichen Angebote in Kantinen verbessern oder attraktivere Alternativen zu Fleisch- und Milchprodukten entwickeln.

Bis die Bundesregierung in die richtige Richtung steuert, ist es wichtig, dass zivilgesellschaftliche Organisationen und engagierte Bürger:innen den Wandel vorantreiben. Initiativen wie Ernährungsräte, Klima- und Tierrechtsgruppen werben schon heute für pflanzliche Ernährung, motivieren Mensen und Restaurants zur Umstellung oder schaffen mit nachhaltigen Quartierskantinen neue Essensangebote. Diese Bewegung wird umso wirksamer, je mehr Menschen sich einbringen – sind Sie dabei?

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