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Standpunkte Klimaschutz darf nicht auf Kosten der Menschenrechte gehen

Tabea Lissner
Tabea Lissner, Teamleiterin Klimawandel bei der Robert Bosch Stiftung, Foto: Ana Bojadjievska, Robert Bosch Stiftung

Die Klimakrise spitzt sich zu – und mit ihr wächst der Druck auf Staaten, ihre Emissionen zu reduzieren. Viele Länder setzen zusätzlich auf Kompensation durch CO2-Speicherung. Das führt weltweit zu einem enormen Druck auf Landflächen, die dafür benötigt werden – und bedroht die Rechte lokaler Gemeinschaften, sagt Klimaexpertin Tabea Lissner von der Robert Bosch Stiftung. Sie fordert, Menschenrechte einzuhalten, mit abgestimmten internationalen Regelwerken.

von Tabea Lissner

veröffentlicht am 20.06.2025

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Mit fortschreitendem Klimawandel wird immer klarer: Um die Pariser Temperaturziele einzuhalten, müssen die klimaschädlichen globalen Emissionen drastisch sinken. Um bis zur Mitte des Jahrhunderts Treibhausgasneutralität, also Nettonull, zu erreichen, müssen jedoch nicht nur Emissionen reduziert, sondern auch die verbleibenden durch CO2-Speicherung ausgeglichen werden. Denn klar ist: In bestimmten Sektoren, wie etwa der Landwirtschaft, lässt sich der CO2-Ausstoß nicht vollständig vermeiden.

Über Aufforstung oder die Wiedervernässung von Mooren kann jedoch ein Ausgleich gelingen (Negativemissionen). Fast alle Länder kalkulieren mit solchen Maßnahmen in ihren aktuellen Klimaschutzplänen. Was es dafür braucht: Land. Das ist inzwischen zu einer entscheidenden Währung geworden, um die Klimaschutzziele erreichen zu können.

Doch damit das international gerecht, nachhaltig und vor allem menschenrechtskonform geschieht, fehlen den internationalen Regelungen zu Kohlenstoffmärkten bislang verbindliche Kriterien – insbesondere im Hinblick auf lokale Landrechte. Hinzu kommt: Der Flächenbedarf ist enorm. Schätzungen zufolge könnte für CO2-Kompensationsmaßnahmen bis zum Jahr 2060 eine Fläche in der Größe Chinas erforderlich sein.

Der Kampf um Land hat längst begonnen

Maßnahmen zur CO2-Speicherung können neben Emissionsminderungen auch andere positive Effekte haben, etwa die Biodiversität schützen. Dennoch müssen die Konsequenzen kritisch geprüft werden, denn in vielen Fällen werden Flächen bereits von lokalen Gemeinschaften genutzt. Während die Emissionen zum Großteil im Globalen Norden entstehen, suchen die Verursacher die für die CO2-Speicherung erforderlichen Landflächen vor allem im Globalen Süden.

Dort allerdings sind Landrechte, vor allem von lokalen und indigenen Gruppen, traditionell begründet, aber oftmals nicht durch formelle Gesetze geschützt. Die Folge: Investitionen in landbasierten Emissionsausgleich können zu Konflikten vor Ort führen. Dies gilt insbesondere dann, wenn betroffene Gruppen nicht ausreichend beteiligt werden – weder an Entscheidungen noch an Gewinnen – und dadurch ihre Lebensgrundlage bedroht sehen.

Dass dieses Thema keine Zukunftsfrage ist, sondern schon heute eine enorme Herausforderung darstellt, zeigt ein aktuelles Beispiel aus Kenia: Eines der weltweit größten CO2-Kompensationsprojekte, das Northern Kenya Rangelands Carbon Project (NKRCP), in das unter anderem Meta und Netflix investiert haben, steht dort vor dem Aus. Das Projekt wurde von einem kenianischen Gericht aufgrund von Landstreitigkeiten mit Massai-Hirten für verfassungswidrig erklärt. Dieser aktuelle Fall macht deutlich: Klimaschutz und Menschenrechte sind untrennbar miteinander verbunden.

Internationale und lokale Rahmenbedingungen nötig

Kohlenstoffmärkte bieten große Chancen für die Klimafinanzierung, denn es sind erhebliche Investitionen in Klimaanpassung und Klimaschutz notwendig. Aktuell stehen jedoch den Staaten und den vom Klimawandel betroffenen Menschen im Globalen Süden zu wenige Mittel zur Verfügung, um solche Maßnahmen im benötigten Umfang zu planen und umzusetzen.

Es braucht deshalb Rahmenbedingungen auf internationaler, nationaler und lokaler Ebene, die sowohl die Landrechte von Menschen vor Ort respektieren als auch klare Vereinbarungen dazu treffen, wer von den Projekten finanziell profitiert. Klare internationale Standards und Richtlinien müssten etwa sicherstellen, dass Kohlenstoffprojekte mit einem menschenrechtsbasierten Ansatz entwickelt werden und konkreten Transparenz- und Rechenschaftspflichten unterliegen.

Die gesetzliche Anerkennung informeller Landrechte in den betroffenen Ländern, eine partizipative Landnutzungsplanung sowie faire Regelungen zur Gewinnverteilung zählen ebenfalls zu den Voraussetzungen für eine gerechte Umsetzung der Projekte. Momentan fließen Gewinne oft ins Ausland oder an nationale Eliten. Erlöse müssen jedoch den betroffenen Gemeinschaften direkt zugutekommen, damit diese in ihre Zukunft investieren können.

Gleichzeitig darf CO2-Speicherung nicht als Alternative zu Emissionsminderungen missbraucht werden. Unternehmen müssen damit rechnen, dass sich das ansonsten als Bumerang erweist, wie ein aktueller Fall in Australien zeigt: Der Energieproduzent EnergyAustralia warb jahrelang mit Kompensationsmaßnahmen und dem Slogan der Kohlenstoffneutralität. Ein Gericht stufte die Werbung als Greenwashing ein. Das Unternehmen musste einräumen: „Kompensationen verhindern oder beseitigen nicht die Schäden durch das Verbrennen fossiler Brennstoffe“ – und kündigte an, künftig transparenter zu kommunizieren.

Die EU muss ihre Vorreiterrolle im Klimaschutz beibehalten

Auch auf EU-Ebene wird aktuell diskutiert, die geplanten Maßnahmen zur Erreichung der Klimaziele 2040 um internationale Klimaschutz-Zertifikate zu erweitern und somit die tatsächlichen Emissionsreduktionen zu verschieben. Das wäre ein gefährlicher Rückschritt. Die EU muss ihre wichtige Vorreiterrolle im Klimaschutz beibehalten und ihre Klimaschutzziele durch echte Emissionsminderung innerhalb ihrer Grenzen erzielen.

Ein wichtiger Baustein, um die Klimaziele zu erreichen, ist eine grundsätzlich nachhaltige Landnutzung. Böden und insbesondere Wälder sind wichtige CO2-Speicher – doch durch die intensive Nutzung und Klimaschäden sind sie aktuell so stark geschädigt, dass sie immer weniger CO2 speichern. Stattdessen emittiert der Land- und Forstsektor der EU unter dem Strich sogar Kohlendioxid. Regenerative Landwirtschaft, die neben wichtigem ökologischem Mehrwert auch soziale und gesellschaftliche Vorteile bringt, sollte deshalb dringend als Teil von Klimapolitik in den Fokus rücken.

Fazit: CO2-Speicherung ja – aber nicht um jeden Preis

Die landbasierte CO2-Speicherung ist unverzichtbar, um schwer oder nicht zu vermeidbare Emissionen – etwa aus Landwirtschaft und Luftverkehr – auszugleichen. Sie darf aber nicht an die Stelle von Emissionsminderungen in Bereichen treten, wo der Kohlenstoffausstoß gut gemindert werden könnte und die notwendigen technologischen Lösungen bereits zur Verfügung stehen. Auch in der Landnutzung und Landwirtschaft gibt es weitreichende Möglichkeiten, die Emissionen dort zu reduzieren, wo sie entstehen, und so die benötigte Fläche für Negativemissionen zu verringern.

Dort, wo landbasierte Methoden zur CO2-Bindung die einzige Option bleiben, braucht es globale und nationale Regelwerke, die garantieren, dass Menschenrechte eingehalten werden. Sie müssen die Rechte lokaler Gemeinschaften schützen und ihnen echte Teilhabe ermöglichen, damit die Umsetzung auch ihnen zugutekommt. Nur so kann Klimaschutz gerecht, nachhaltig und wirksam sein.

Tabea Lissner leitet das Team Klimawandel im Bereich Globale Fragen bei der Robert Bosch Stiftung. Sie ist Geografin und seit mehr als 15 Jahren an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Politik tätig – zunächst am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, anschließend im Think-Tank-Bereich bei Climate Analytics und der Global Solutions Initiative. Als Expertin für Klimaanpassung und Vulnerabilität war sie Leitautorin des letzten IPCC-Berichts.

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