Die Sorge, dass Künstliche Intelligenz (KI) Arbeitsplätze vernichten könnte, wird immer größer. Spätestens seit große Sprachmodelle – sogenannte Large Language Models – und generative KI-Systeme in der Lage sind, Texte und Bilder in hoher Qualität zu produzieren, richtet sich der Blick verstärkt auf jene Berufe, die lange als „nicht automatisierbar“ galten. Ob Werbetexter, Grafikdesigner oder Übersetzer – plötzlich müssen sich auch Kreative fragen, was die Zukunft für sie bereithält. Eine besondere Risikogruppe dieser Entwicklung sind Freiberufler, die auf dem Arbeitsmarkt oft weniger geschützt sind als Angestellte. In Deutschland sind rund 1,5 Millionen Freiberufler tätig, von denen viele in kreativen Branchen arbeiten. Insbesondere in Städten wie Berlin mit rund 220.000 Selbstständigen wächst daher die Besorgnis.
Dabei zeigen Studien immer wieder, dass ein technologischer Wandel selten zum Verschwinden ganzer Berufe führt, sondern eher zu einer Verschiebung der benötigten Kompetenzen. Denn Technologie ist nicht „kompetenzneutral“. Dort, wo eine Maschine menschliche Arbeit effizienter erledigen kann, wird diese Kompetenz ersetzt. Gleichzeitig wird es wichtiger, die neuen Werkzeuge zu verstehen und zu beherrschen.
Veränderung der Arbeitsweise
Das Beispiel eines Grafikdesigners verdeutlicht dies: Vor dem Durchbruch generativer KI bestand ein Großteil der Arbeit des Designers aus manuellem Erstellen von Entwürfen und dem Ausprobieren verschiedener Farb- und Formkombinationen. Inzwischen können KI-Systeme innerhalb kürzester Zeit unzählige Designvorschläge generieren. Doch anstatt den Designer komplett zu ersetzen, verlagert sich dessen Aufgabe zunehmend auf die Auswahl, Feinjustierung und kreative Steuerung der KI. Oder anders gesagt: Die reine Designkompetenz tritt etwas in den Hintergrund, während das Know-how im Umgang mit KI-Werkzeugen zum entscheidenden Erfolgsfaktor wird.
Allerdings vollzieht sich dieser Wandel derzeit in einem atemberaubenden Tempo. So entsteht ein sogenannter Skill Gap: Auf der einen Seite stehen Beschäftigte, deren Kompetenzen nicht mehr voll den Marktanforderungen entsprechen. Auf der anderen Seite gibt es Unternehmen und Auftraggeber, die dringend Arbeitskräfte mit genau diesen neuen Kompetenzen suchen. Laut Weltwirtschaftsforum könnte dieser Skill Gap die Weltwirtschaft bis 2030 bis zu 15 Billionen Euro kosten – beinahe das Vierfache des deutschen Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2024. Gleichzeitig eröffnet sich hier eine enorme Chance: In Deutschland geben 43 Prozent aller Betriebe an, offene Stellen teilweise nicht besetzen zu können, viele davon im Tech-nahen Bereich. Der Fachkräftemangel ist bereits deutlich spürbar. Eine aktuelle Studie, die wir durchgeführt haben, zeigt, dass KI-Kompetenzen im Durchschnitt einen Lohnaufschlag von 16 Prozent verschaffen können – ähnlich hoch wie bei einer Promotion.
Menschliche Fähigkeiten gewinnen an Bedeutung
Allerdings beschränkt sich die Nachfrage nicht auf das reine Technik-Know-how. Unsere neuesten Ergebnisse zeigen, dass vor allem menschliche Fähigkeiten wie Resilienz, Teamwork oder analytisches Denken an Bedeutung gewinnen. Gerade diese „Soft Skills“ ergänzen die Stärken der KI ideal und verschaffen dem Menschen einen relativen Vorteil: Kreatives Urteilsvermögen oder empathische Kommunikation kann die KI bislang nur unzureichend nachahmen. Die gute Nachricht: Nach unseren aktuellen Untersuchungen übersteigt der durch KI erhöhte Bedarf an menschlichen Fähigkeiten den Wegfall automatisierter Tätigkeiten bei weitem.
Damit Beschäftigte ihren Karriereweg nachhaltig gestalten können, müssen Weiterbildungsangebote und individuelle Kompetenzprofile ineinandergreifen. Die Forschung setzt dabei zunehmend auf große Arbeitsmarktdaten, um passgenau zu ermitteln, welche Fähigkeiten derzeit und in Zukunft gefragt sein werden. Ein Beispiel hierfür ist das Tool Upskill, das wir gemeinsam mit der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, entwickelt haben. Es nutzt Daten aus Millionen von Freelancer-Projekten weltweit und leitet daraus Empfehlungen für Freelancer – insbesondere im Kreativbereich – ab: Welche Kompetenzen lohnen sich, um wettbewerbsfähig und profitabel zu bleiben?
Ob die Zukunft der Arbeit nun eher von Unsicherheit oder von Chancen geprägt sein wird, hängt stark davon ab, wie wir uns auf den Wandel vorbereiten. Eines dürfte jedoch feststehen: Die Fähigkeit, sich kontinuierlich weiterzubilden und flexibel auf neue Technologien zu reagieren, wird immer wichtiger. Tools wie Upskill zeigen, wie Daten und strategische Analysen dabei helfen können, maßgeschneiderte Karrierepfade zu entwickeln. Der Wandel mag rasant sein – doch wer sich geschickt anpasst, kann von der KI-Revolution massiv profitieren, statt darunter zu leiden.
Fabian Stephany lehrt und forscht zur Zukunft der Arbeit an der Universität Oxford. Er ist dort Juniorprofessor für KI und Arbeit am Oxford Internet Institute sowie assoziierter Wissenschaftler am Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft in Berlin.