Die Frage, ob Künstliche Intelligenz (KI) unsere heutigen Lebens- und Arbeitsformen revolutionieren kann, stellt sich längst nicht mehr. Nur die Frage des wie ist noch relevant. Wie revolutionär große KI-Modelle (KI-Foundation-Modelle) bereits sein können, sollte spätestens seit dem aktuellen Hype um ChatGPT bekannt sein. Die enorme Medienaufmerksamkeit rund um den von Open AI entwickelten Chatbot zeigt aber auch, welche Transformationen KI-Foundation-Modelle momentan durchlaufen und welches Potential jene KI-Anwendungen mit sich bringen.
Ohne Zweifel werden große KI-Modelle daher vollständig neue Anwendungsmöglichkeiten schaffen, die Modelle werden aber auch bestehende Geschäftsmodelle und Wertschöpfungen über alle Industriebereiche disruptiv verändern. Umso wichtiger wird daher, welche Akteure in Zukunft über die relevante Technologie, Daten sowie Ressourcen verfügen, um große KI-Modelle zu entwickeln und zu trainieren und somit Einfluss auf mögliche revolutionäre Durchbrüche nehmen können.
Gefahr von Verlust der digitalen Souveränität und Abhängigkeit
Bereits heute sind monopolartige Cluster bei der Entwicklung von großen KI-Modellen erkennbar. Knapp drei Viertel aller entwickelten KI-Foundation-Modelle stammen aus den USA, weitere fünfzehn Prozent aus China. Insbesondere in den USA wird die Entwicklung weiterhin durch die großen Technologiekonzerne stark angetrieben. Für Deutschland und Europa eröffnen sich hier gefährliche Abhängigkeiten von ausländischen Technologien, die zunehmend die digitale Souveränität im Bereich KI und nachgelagerte Anwendungen akut bedrohen. Verpasst Deutschland den Paradigmenwechsel, hat dies ernsthafte Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit des gesamten Wirtschaftsstandort Deutschland.
Wachsende Nachfrage
Die Relevanz solcher großen KI-Modelle ist bereits heute hoch. Im Allgemeinen benötigt die Wirtschaft Anwendungen, die auf frei verfügbaren KI-Foundation-Modellen entwickelt und an die jeweiligen Bedürfnisse angepasst wurden. Doch die elementaren Voraussetzungen hierfür sind nicht nur die Bereitstellung von Datenpools zum Training oder Beratungsdienstleistungen, vielmehr wird Zugang zu einer leistungsfähigen KI-Supercomputing-Infrastruktur benötigt.
Bis heute fehlt es Deutschland aber an genau dieser. Die Gefahren der erwähnten Abhängigkeit und daraus resultierende negative Auswirkungen für etliche Wertschöpfungsketten und die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandort Deutschlands sind also real.
Große KI-Modelle „Made in Germany“?
Um solch negative Auswirkungen verhindern zu können und nicht auch im Bereich KI die digitale Souveränität zu verlieren, muss es in Deutschland zwingend möglich sein, große KI-Modelle zu entwickeln und für die Anwendung durch Wirtschaft, Konzerne, Mittelstand und Start-ups bereitzustellen. Nur wenn Deutschland, ebenso aber auch Europa, zukünftig an den nächsten Generationen großer KI-Modellen mitgestalten kann und will, wird es möglich sein, eine mittelfristige Abhängigkeit von ausländischen Technologiekonzernen zu verhindern.
Mit jenem Hintergrund und im Anschluss an die im Sommer 2020 durch die Veröffentlichung von GPT-3 ausgelösten Entwicklungen, hat der KI Bundesverband 2021 die Initiative LEAM – Large European AI Models – ins Leben gerufen. Zusammen mit 40 namhaften Vertreter:innen aus Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft wurden im vergangenen Jahr erste Ideen für eine Infrastruktur zur Schaffung von großen KI-Modellen entwickelt.
Gefördert und im Auftrag durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz wurde eine Machbarkeitsstudie erstellt, die morgen, der Öffentlichkeit präsentiert wird.
LEAM: Large European AI Models-Initiative
Mit LEAM wird ein zentrales KI-Leuchtturmprojekt geplant, um das sich ein leistungsfähiges und innovatives Ökosystem aus Wirtschaft, Start-ups und Wissenschaft bilden wird. Dabei erfolgt eine enge Abstimmung mit bestehenden Aktivitäten wichtiger Akteure im europäischen Kontext.
Im Kern der Machbarkeitsstudie steht der Aufbau von Services für die Entwicklung von KI-Foundation-Modellen. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf einer dedizierten Supercomputing-Infrastruktur, also einer Hardware-Infrastruktur, die sich auf die Weiterentwicklung und Verfügbarmachung von großen KI-Modellen spezialisiert. Die Machbarkeitsstudie offenbart vielversprechendes Potential und zeigt, wie notwendige Infrastrukturen und begleitende Services in Deutschland aufgebaut werden können, sodass vertrauenswürdige KI-Foundation-Modelle nach europäischen Standards und Werten entwickelt werden können.
Mit den, durch die LEAM-Initiative entwickelten Konzepten bietet sich Deutschland die Möglichkeit, KI zum Wohle der Menschen einzusetzen und durch leistungsfähige Forschung und Produkte international wettbewerbsfähig zu bleiben, und somit den Wohlstand und den Wirtschaftsstandort Deutschland langfristig zu sichern.
Quo Vadis, Deutschland?
Die Machbarkeitsstudie um die LEAM-Initiative zeigt, dass die Entwicklung von KI-Foundation-Modellen in Deutschland ein hohes Potential hat. Mit gemeinsamen Investitionen von Politik, Wissenschaft und Wirtschaft kann mittelfristig eine leistungsstarke Infrastruktur zur Mitentwicklung und Mitgestaltung der nächsten Generationen großer KI-Modellen aufgebaut werden. Mit der Lancierung eines solchen einzigartigen KI-Leuchtturmprojekts bietet sich die Chance, alle relevanten Akteure aus Industrie, Wissenschaft, Start-ups, Politik und Mittelstand in einem Ökosystem zusammenzubringen, Synergien zu schöpfen und die Position Deutschlands und Europas weiter zu stärken.
Jörg Bienert ist Vorstandsvorsitzender und Gründungsmitglied des KI-Bundesverbandes. Seit Juli 2019 ist er Chief Product Manager bei der Alexander Thamm GmbH. Das Unternehmen beschäftigt sich mit Data Science und Künstlicher Intelligenz.