„Ab 2035 wird es keinen Job mehr geben, der nichts mit KI zu tun hat.“ Diese These stellte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil kürzlich im Interview mit dem Tagesspiegel auf. Ich würde mich wundern, wenn es so lange dauert – stimme aber ansonsten völlig zu. Auch für die Politik ist klar: Die aktuelle Dynamik im Feld der KI ist unglaublich – und ihr Einfluss auf Berufe, so viel zeichnet sich ab, wird enorm sein. Nur wie genau wird er aussehen? Und was bedeutet das für die Beschäftigten?
Studien dazu gibt es einige, die Zahlen unterscheiden sich teils erheblich, doch in einem Punkt sind sie sich bemerkenswert einig: KI wird nicht nur Aufgaben automatisierbar machen, sondern auch eine ganze Reihe neuer Tätigkeiten schaffen. Das Weltwirtschaftsforum beispielsweise legt in seinem jüngsten „Future of Jobs“-Report dar, dass weltweit schon in den nächsten vier Jahren rund 83 Millionen Jobs durch KI verschwinden dürften. Gleichzeitig würden jedoch auch 69 Millionen Stellen neu geschaffen. Obwohl der Nettoverlust also gar nicht so groß ist, sind die Folgen dieser Verschiebung für die Betroffenen individuell gravierend. Ohne weitreichende Qualifizierungsangebote und umfassende Weiterbildung wird der KI-Wandel nicht zu meistern sein.
Ängste, ob es künftig überhaupt noch menschliche Arbeitskraft braucht, sind dagegen maßlos überzogen. KI wird uns nicht in Massen arbeitslos machen! Diese Dystopie hat sich schon in zurückliegenden Automatisierungswellen als völlig realitätsfern herausgestellt – weder Industrieroboter noch Computer haben uns arbeitslos gemacht, sondern im Gegenteil neue, hoch qualifizierte und gut bezahlte Berufe hervorgebracht.
Deutschland braucht den KI-Produktivitätsschub
In alternden Gesellschaften wie der deutschen brauchen wir KI-getriebene Produktivitätssteigerungen sogar, um mit weniger Erwerbstätigen dieselbe Wirtschaftsleistung zu erbringen und die Sozialsysteme künftig finanzieren zu können. McKinsey kommt in einer aktuellen, internationalen Untersuchung zu dem Schluss, dass das jährliche Wachstum der Produktivitätsrate in Deutschland mit KI bei schneller Adaption dreimal so hoch ausfallen kann wie bei später Anpassung.
In der KI-Revolution liegt eine historische Chance. Eine höhere Produktivität bedeutet, vereinfacht ausgedrückt, nichts anderes als: Mit weniger Aufwand mehr erreichen. Schon jetzt herrscht in vielen Berufen ein eklatanter Arbeitskräftemangel. Schon jetzt stellt sich die Frage, wie wir die anstehenden Zukunftsaufgaben für unser Land mit dem schrumpfenden Arbeitskräftebestand in den nächsten Jahren und Jahrzehnten überhaupt erledigt bekommen sollen – grüne Technologien erfinden, Alte und Kranke pflegen, Anträge von Bürger:innen schneller bearbeiten, Wärmepumpen einbauen, Kinder und Jugendliche (aus-)bilden. Ob im Nachhaltigkeitsbereich, in Pflege und Medizin, der Verwaltung, dem Handwerk oder bei Erzieher:innen und Lehrer:innen: Überall mangelt es schon jetzt an Arbeitskräften. In keinem Beispiel wird KI Menschen ersetzen können, aber in allen gibt es vielversprechende Ansätze, um sie zu entlasten.
Beschäftigte sind bereit, sich auf den Wandel einzulassen
Trotz durchaus verbreiteter Sorge um die Sicherheit des eigenen Jobs sind Beschäftigte in Deutschland in erstaunlich hohem Maße bereit, sich auf den Wandel einzulassen. Laut dem aktuellen Work Trend Index von Microsoft würden zwei von drei Befragten in Deutschland gerne Aufgaben an KI delegieren, um ihre Arbeitsbelastung zu verringern. Hier sollten Unternehmen wie Politik ansetzen und Angebote für den Erwerb von KI-Kompetenzen entwickeln, die die Offenheit der Beschäftigten aufnehmen und die perspektivische Job-Sicherheit stärken.
Der erste Blick fällt dabei in der Regel auf das Prompting, also die Fähigkeit, Eingaben in KI-Tools so zu gestalten, dass sie die besten Ergebnisse erzeugen. „Prompt Engineers“ und ähnliche Stellenbezeichnungen finden sich zunehmend in Jobportalen – mit teils stattlichen Gehältern. Prompts formulieren zu können ist zweifellos eine wichtige Kompetenz, um KI-basierte Tools optimal zu bedienen und den größten Nutzen herauszuholen. Der Fokus auf das Prompten greift allerdings zu kurz.
Wandel wird viel tiefgreifender sein, als ChatGPT erahnen lässt
Der Wandel durch KI wird viel tiefgreifender sein, als ihn die ersten Anwendungen mit ChatGPT und anderen generativen KI-Tools erahnen lassen. Wenn diese in die Prozesse und Systeme von Unternehmen integriert sind und selbst auf Geschäftsunterlagen und Korrespondenzen zugreifen können, kann KI Menschen noch viel besser und weitreichender assistieren, noch größere Datenmengen auswerten und noch mehr Ergebnisse aus ihnen herausholen. Viele Abläufe in Unternehmen müssen neu gestaltet werden.
Neben dem Prompting wird es bei der Nutzung von KI in der Arbeitswelt ganz entscheidend darauf ankommen, Probleme zu identifizieren, analysieren, zerlegen und geeignete Wege für den sinnvollen Einsatz von KI bei der Lösung des Problems finden zu können. KI als Copilot bei der Arbeit ist viel mehr als ein Tool zur Generierung von Texten, Bildern oder Videos. Ein Beispiel: Auf der Hannover Messe hat Microsoft kürzlich mit Siemens gezeigt, wie sprechende Maschinen die Industrie verändern werden. Sie können selbst Fehler erkennen, Beschäftigte darüber informieren und sie Schritt für Schritt durch die Fehlerbehebung führen.
Die Fähigkeit, mit KI-Systemen zu arbeiten und zumindest deren grundlegende Funktionsweise zu verstehen, wird zur Schlüsselkompetenz – für Arbeitgeber und Beschäftigte gleichermaßen. Wir brauchen einen Kraftakt für KI-Kompetenzen! Weder Unternehmen noch Schulen und Hochschulen noch staatliche Institutionen wie die Bundesagentur für Arbeit können die erforderliche Qualifizierung alleine leisten. Von übergreifenden Initiativen und Zusammenarbeit für KI-Kompetenzen können Wirtschaft und Gesellschaft insgesamt profitieren. Generative KI wird Berufe massiv verändern – und wir benötigen die Veränderung dringend.
Marianne Janik ist seit November 2020 Vorsitzende der Geschäftsführung von Microsoft Deutschland.