Die Europäische Union muss mit wachsenden geopolitischen und wirtschaftlichen Herausforderungen fertig werden. Ihr nächster mehrjähriger Finanzrahmen (MFF) muss deshalb mehr als ein „Weiter so“ liefern. Der aktuelle Finanzrahmen läuft zwar bis 2027 – drei Jahre scheinen noch wie eine lange Zeit. Das ist aber nicht der Fall, wenn es um das Verhandeln über einen Sieben-Jahres-Haushalt für die ganze EU geht.
Der nächste MFF wird nicht nur finanzielle Stabilität gewährleisten müssen. Er muss auch dazu beitragen, die Union wettbewerbsfähiger zu machen und ihre Autonomie in wichtigen Bereichen zu sichern – eine Aufgabe, die die EU-Kommission selbst vor kurzem als „Quadratur des Kreises“ bezeichnete.
Die EU-Kommission hat vor kurzem mit einer Mitteilung die Diskussionen rund um den nächsten MFF eröffnet. Darin griff sie viele der Bedenken auf, die Mario Draghi im vergangenen Jahr in seinem Bericht äußerte, etwa Europas mangelhafte Investitionen in Forschung und Innovation. In beiden Dokumenten wird betont, dass die EU nicht genug in diesen Bereich investiere, was es immer schwerer mache, mit den Vereinigten Staaten von Amerika und China mitzuhalten.
Geld im Haushalt zu breit gestreut
Ein noch größeres Problem ist aber, wie bestehende Gelder zugewiesen werden. Der Haushalt für Forschung und Innovation ist momentan zersplittert: Er wurde um vorgegebene, unkoordinierte Programme herum gestaltet, anstatt auf strategische politische Erfordernisse einzugehen. Das beschränkt seine Wirksamkeit.
Die Kommission hat erkannt, dass es hier mehr Koordinierung braucht und gibt einen klaren Weg vor. Sie schreibt, dass Europas zukünftige Wettbewerbsfähigkeit davon abhängen wird, „ein neues Zeitalter der Ideen und des Erfindungsreichtums einzuläuten, in dem Forschung und Innovation sowie Wissenschaft und Technologie im Mittelpunkt der Wirtschaft stehen“.
Europa wird wahrscheinlich auf digitale Technologien setzen, um Wirtschaftswachstum und Wettbewerbsfähigkeit voranzutreiben. Es wird deshalb entscheidend sein, dass die Institutionen derzeitige Ansätze kritisch bewerten, bevor sie finanzielle Ressourcen für neu gestaltete Fonds zuteilen.
Zu viel Hype, zu wenig Instandhaltung
Wenn die EU momentan in die digitale Transformation investiert, tut sie das oft technologie- statt bedarfsorientiert. Digitalisierung ist dabei ein Ziel an sich. Dieser Ansatz führt oft dazu, dass „disruptive Technologien“ und spekulative High-Tech-Lösungen übermäßig betont werden. Das geht auf Kosten praktischer öffentlicher Bedürfnisse und der Stärkung öffentlicher digitaler Infrastrukturen. Dieser Ansatz lenkt ab von der essenziellen Arbeit, existierende Systeme für kritische öffentliche Bedürfnisse zu erhalten und zu verbessern.
Diese Aufrufe, disruptive Technologien zu finanzieren, fühlen sich oft sehr dringlich an und signalisieren, dass radikale Veränderungen notwendig wären. Sie sind dabei aber oft nur unzureichend definiert. Weit gefasste Technologiebegriffe wie Künstliche Intelligenz (KI) oder „Quantentechnologie“, die Entscheidungsträger:innen gerne als disruptiv bezeichnen, umfassen eine Vielzahl potenzieller Lösungen.
Realismus und der Verzicht auf solche Hypes sind der Schlüssel dafür, vernünftige Strategien für Investitionen und Politik zu entwickeln. Diese sollten sich auf technologische Durchbrüche konzentrieren, die das Potenzial haben, einen öffentlichen Nutzen zu schaffen, und nicht nur auf Trends oder Schlagworte.
Besser bedarfsorientiert
Wir haben schon viele Fälle gesehen, in denen das Versprechen von radikaler Innovation die Herausforderungen der Regelung und die Risiken von unbeabsichtigten Konsequenzen überschattet hat. Ein Paradebeispiel dafür ist der Aufstieg der sozialen Medien. Die wurden einst als Instrument der globalen Vernetzung und der freien Meinungsäußerung gefeiert, gelten heute aber als tiefgreifende und anhaltende Umwälzer von Gesellschaften.
Statt disruptive Technologien zu fetischisieren, sollte die EU öffentliche digitale Infrastrukturen stärken. Dafür sollte sie Investitionen von der Forschungsphase bis zur Einführung unterstützen. Dieser Ansatz würde Europa weniger abhängig von Big-Tech-Diensten machen und für mehr Autonomie sorgen – was es heute dringend braucht.
Die EU sollte bei ihrer Finanzierung für eine Balance zwischen der Unterstützung von Industrie und öffentlichem Nutzen sorgen, indem sie in Projekte investiert, die direkt öffentliche Bedürfnisse angehen. Die Finanzierung sollte digitale Lösungen unterstützen, die Menschen erlauben, am digitalen öffentlichen Raum teilzunehmen und ihre Rechte online wahrzunehmen.
Um ihre technologische Souveränität zu erlangen, muss die EU die Auswirkungen von Technologien realistisch bewerten und ihre Digitalpolitik danach ausrichten. Dabei muss sie gesellschaftliche und ökologische Folgen berücksichtigen und übertriebene Darstellungen nicht unkritisch übernehmen. Das wird besonders dabei helfen, Investitionen mit begrenztem öffentlichem Nutzen zu vermeiden.
Zuzanna Warso ist Forschungsleiterin bei der Open Future Foundation und Fellow beim Critical Infrastructure Lab.