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Digitalisierung & KI

Standpunkte Die Werbenden sind Teil des Problems

Tiemo Wölken, SPD-Abgeordneter im Europaparlament
Tiemo Wölken, SPD-Abgeordneter im Europaparlament Foto: Juso Bundesverband

Wer – wie Springer-Chef Döpfner – nur die Digitalkonzerne daran hindern will, personalisierte Werbung zu schalten, verkennt die Dynamiken auf dem Werbemarkt. Der Wandel muss auch von den Werbenden selbst ausgehen, die mit ihren Budgets entscheiden, wohin das Geld fließt. Ein Aufruf für gemeinsame Lösungen.

von Tiemo Wölken

veröffentlicht am 04.02.2021

aktualisiert am 15.08.2022

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Suchen wir im Internet nach einem Pasta-Rezept, hinterlassen wir Spuren. Mein Pasta-Hunger wird von Werbenetzwerken und Algorithmen fein säuberlich verfolgt und in meinem Interessen-Profil zusammengestellt. Besuchen ich nach dem Kochen des Pasta-Rezepts dann die Website meiner Lieblingszeitung, sind die Werbenetzwerke schon da und präsentieren mir stolz: Nudeln. Das nervt. Hunger habe ich ja nicht mehr.

Aber verhaltensbezogene beziehungsweise personalisierte Werbung nervt nicht nur, sie ist auch eine Gefahr für die Privatsphäre. Programme und Firmen wissen mehr über uns als wir vermuten. Problematisch ist, dass diese Algorithmen auch immer häufiger in der analogen Welt, zum Beispiel bei der Strafverfolgung, eingesetzt werden, wo sie dann nicht mehr „nur“ unser Konsumverhalten vorhersagen. Die Gefahren für unsere Grundrechte sind offensichtlich.

Verbotsforderung stößt auf massive Kritik – warum nur?

Am 20. Oktober vergangenen Jahres hat das Europäische Parlament meinen Vorschlag zum Digital Services Act mit sehr großer Mehrheit angenommen. Inklusive der Forderung, verhaltensbezogene Werbung in der EU beenden zu wollen. Diese Forderung war natürlich nicht unumstritten. Es gab den Versuch, diesen Teil aus dem Bericht zu löschen. Am Ende stellte sich eine Mehrheit hinter diese Forderung. Doch insbesondere Kolleg*innen der Liberalen und der Christdemokrat*innen votierten dagegen.

Meine Forderung nach einem Phase-Out verhaltensbezogener Werbung wurde nach der Abstimmung massiv kritisiert: Von den großen Plattformen, vertreten durch den Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW), über den Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft bis zur Organisation Werbungtreibende im Markenverband (OWM). Kritik gab es daneben auch vom Verband der Deutschen Zeitschriftenverleger (VDZ), denn Werbung sei grundrechtlich geschützte Wirtschaftskommunikation und zudem vielfach nur mit einer Einwilligung möglich. Auch der Presseverleger-Verband BDZV sparte nicht mit Kritik und gab den Hinweis, dass der Datenschutz den Wettbewerb zugunsten der Torwächter verzerren würde. Vor diesem Hintergrund muten die Forderung des BDZV-Präsidenten Mathias Döpfner, der vergangene Woche einen offenen Brief an die EU-Kommissionspräsidentin geschickt hat, wie ein Sinneswandel an. Fordert er doch den „Überwachungskapitalismus“ zu beenden und dafür zu sorgen, dass die Daten „wieder und endgültig“, den Bürger*innen gehörten.

Es geht um Geld, nicht um Grundrechte – sollte es aber

Steht das im Widerspruch zur bisherigen Linie von BDZV und VDZ? Es finden sich Hinweise, dass die Einschränkungen, die Döpfner fordert, nicht für alle Akteure gelten sollen: „In der EU sollte es Plattformen verboten sein, private Daten zu speichern und für kommerzielle Zwecke zu verwenden“. Etwas später im Text wird der Adressatenkreis von allen Plattformen dann auf Gatekeeper begrenzt: „Daten gehören nicht in die Hände von Gatekeeper-Konzernen“.

Klingt gut. Aber reicht das? Leider nein. Denn in diesem Ansatz wird deutlich, dass es dem BDZV-Präsidenten nicht etwa um den Grundrechtsschutz der Bürgerinnen und Bürgern geht, wie unkritisch berichtet wurde. Es geht darum den amerikanischen (und chinesischen) Konzernen das Datensammeln zu verbieten, damit Verlage bei der personalisierten Werbung weniger Konkurrenz haben. Als Strategie erscheint das aber nur auf den ersten Blick sinnvoll, denn es ist zweifelhaft, ob Werbebudgets nach so einem Verbot zu den deutschen Unternehmen fließen.

Döpfner geht es nicht um den Datenschutz. Der von ihm geforderte Schutz des Souveräns ist nur ein Deckmantel für die eigentliche Forderung: Es geht schlicht um Geld. Das soll nicht mehr bei den digitalen Torwächtern landen, sondern bei den Verlagen. Diese Forderung ist verständlich, kämpfen viele Verlage doch um die Finanzierung ihrer hochwertigen journalistischen Angebote, auf die wir heute mehr denn je angewiesen sind. Der derzeitige Werbemarkt zwingt die Unternehmen förmlich zum Einsatz von Werbung, die auf das Sammeln von Daten der Nutzer*innen setzt. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass ein System nur so lange funktioniert, wie es genutzt wird. Auch viele Webseiten geben third-party-Cookies als ihre eigenen aus, um die third-party-Restriktionen der Browser zu umgehen und weiter Daten zu sammeln. Wir dürfen uns daher nicht nur auf Plattformen und Websites konzentrieren, sondern müssen auch die Werbenden in den Blick nehmen. Sie sind es, die ihre Werbebudgets von qualitativen Inhalten zu solchen umleiten, die viel geklickt werden. Sie sind es, die Verlagswebsites dazu zwingen, die Cookie-Banner möglichst komplex zu gestalten, denn optiert sich ein*e Kund*in wirklich aus dem Tracking raus, bleibt der Werbeplatz leer.

Wofür es gemeinsame Lösungen braucht

Es braucht also gemeinsame Lösungen. Dafür haben ich und andere Kolleg*innen im Europäischen Parlament uns überparteilich zur Tracking-Free Ads Coalition zusammengeschlossen. Wir wollen, dass keine persönlichen Daten für Werbung genutzt werden dürfen. Nur Google und Facebook das Datensammeln zu verbieten reicht nicht. Der Webeplatzhandel für verhaltensbasierte Werbung findet auch ohne sie statt. Wir müssen größer denken und dabei auch die Werbenden, die mit ihren Budgets entscheiden, welcher Weg sich durchsetzt, verpflichten. Dazu könnten Standards für kontextbezogene Werbung helfen und natürlich gehören ethische Überlegungen genauso berücksichtig wie der Grundrechtsschutz. Wir wollen hochwertige Informationen! Und wenn wir sie nicht nur hinter immer höher werdenden Paywalls sehen wollen, die die Antwort auf schwindende Werbeeinnahmen sind, müssen wir gemeinsam eine Lösung entwickeln.

Lieber Herr Döpfner, bleiben Sie nicht auf halbem Weg stehen, gehen Sie den eingeschlagenen Weg zu Ende. Ich lade Sie ein, Mitglied der Tracking-Free Ads Coalition zu werden. Lassen Sie uns zusammen die Grundrechte der Bürger*innen und den so wichtigen Qualitätsjournalismus schützen.

Tiemo Wölken ist SPD-Europaabgeordneter und Koordinator seiner Fraktion im Rechtsausschuss. Er ist Autor des Initiativberichts des Ausschusses zum geplanten Digital Services Act (DSA). 

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