Die Regulierung verschiedener Plattformen und Dienstleistungen im Internet wird eine Schlüsselaufgabe der Europäischen Union in der kommenden Legislaturperiode werden. Der Satz, das Internet sei kein rechtsfreier Raum, ist mittlerweile eine Binsenweisheit. Je mehr soziale Interaktionen und der Handel mit Waren, Dienstleistungen und Kulturgütern online stattfinden, desto dringender die Frage nach einem klaren Regelwerk für jene Aspekte des Lebens, für die sich der Schauplatz mittlerweile online verlagert hat.
Dass das Internet keine Grenzen kennt, hat auch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in der Klage der österreichischen Politikerin Ewa Glawischnig gegen Facebook gezeigt, das eine weltweite Löschpflicht für als rechtswidrig befundene Kommentare explizit für möglich erklärt. Ohne klare, einheitliche europäische Regeln würde das Internet in einer Kakophonie nationaler Regelungen untergehen – mit negativen Auswirkungen auf den Binnenmarkt und ärgerlichen Erfahrungen für Nutzerinnen und Nutzer.
„Digital Services Act“: Neue Regeln für das Internet
Die Europäische Kommission plant deshalb in dieser Legislaturperiode den großen digitalpolitischen Wurf. Die bestehende E-Commerce-Richtlinie, die den elektronischen Geschäftsverkehr regelt, soll zu einem „Digital Services Act“ ausgebaut werden. Angesichts der Transformation der Online-Wirtschaft vom traditionellen Händler-Kunde-Modell hin zu multilateralen Sharing-Diensten müssen unsere Regeln für das Internet aktualisiert und harmonisiert werden.
Die Frage der Plattformregulierung wirft auch die unausweichliche Frage auf, inwiefern Plattformen für rechtswidrige Inhalte haften, die auf ihnen online gestellt werden. Die derzeitige Rechtslage besagt, dass Plattformen grundsätzlich nicht für rechtswidrige Inhalte haften, sofern sie diese unverzüglich löschen, sobald sie über deren Existenz in Kenntnis gesetzt werden. Tatsächlich verbietet die E-Commerce-Richtlinie jetzt schon die systematische Überwachung von Inhalten. Wir haben aber bereits in der Diskussion um die Reform der Urheberrechtsrichtlinie gesehen, dass eine verstärkte Haftung der Plattformen und eine Abkehr vom sogenannten „Notice and take down“-Prinzip in der Praxis zum Einsatz von Uploadfiltern führt.
Das bereits angesprochene Urteil der EuGHs im Fall Glawischnig versus Facebook stellt in dieser Hinsicht eine besorgniserregende Entwicklung dar. In seinem Urteil bekräftigt der EuGH zwar das Verbot systematischer Überwachung in der E-Commerce-Richtlinie, urteilt jedoch, dass Plattformen verpflichtet sind, nicht nur jene Inhalte zu löschen, die Gegenstand einer Verfügung sind – wie etwa in diesem Fall beleidigende und verleumderische Hasskommentare – sondern ebenfalls alle sinngleichen Kommentare, die auf der Plattform abrufbar sind.
Transparenz für Uploadfilter
Es bleibt abzusehen, inwieweit das Haftungsregime für Plattformen auch unter Einbezug des europäischen Fallrechts aktualisiert werden kann, ohne dass das Festhalten am Verbot systematischer Überwachung zum bloßen Lippenbekenntnis verkommt. Bereits jetzt spricht die Kommission davon, für den Fall des unvermeidlichen Einsatzes von Filtertechnologien zumindest Transparenz und Rechenschaftspflicht für die eingesetzten Algorithmen zu garantieren.
Angesichts dieser drohenden Verschiebung roter Linien müssen wir besonders wachsam sein: Uploadfilter und die systematische Überwachung von Inhalten verletzen die Grundrechte, die wir erkämpft und liebgewonnen haben und die auch online rigoros gewahrt werden müssen. Nach den Erfahrungen mit der Urheberrechtsreform müsste einerseits klar sein, wie umstritten solche Filtertechnologien in der Gesellschaft sind – und andererseits, dass private Unternehmen weniger dazu geneigt sind, Haftungsrisiken auf einer Art und Weise zu minimieren, die Rücksicht auf die Wahrung von Grundrechten nimmt.
DSA gegen Datenmonopole
Ein weiterer Aspekt, der von großer Bedeutung sein wird, ist die Portabilität von Nutzerdaten. Kleinere Anbieter von Online-Dienstleistungen haben aufgrund ihres mangelnden Zugangs zu großen Datensätzen einen klaren Wettbewerbsnachteil gegenüber den Giganten wie Facebook, Google und Amazon. Der Digital Services Act bietet auch die Gelegenheit, gegen Datenmonopole vorzugehen, wo diese nicht gerechtfertigt oder wettbewerbsschädigend sind.
Das ist auch eine Forderung der SPD, den Zugang zu bestimmten Datensätzen im Besitz großer Tech-Konzernen anderen Marktteilnehmern verfügbar zu machen. Einen ähnlichen Vorstoß hat die Europäische Union bereits letztes Jahr mit der Richtlinie über offene Daten und Informationen des öffentlichen Sektors gewagt, nach der Datensätze im Besitz der öffentlichen Hand auch Marktteilnehmern zugänglich gemacht werden sollen, um die Datenwirtschaft anzukurbeln. Der nächste logische Schritt ist die Zugänglichmachung bestimmter Datensätze durch marktbeherrschende Unternehmen auf datengetriebenen Märkten, um Monopolbildungen zu vermeiden.
Der Digital Services Act wird also der Kernpunkt der europäischen Digitalpolitik der nächsten fünf Jahre. Die neue Kommission ist zwar noch nicht formell im Amt – und wird sich mit der Erarbeitung eines ersten Gesetzesentwurfs wahrscheinlich Zeit lassen – aber das Europäische Parlament hat sich bereits des Themas angenommen. Obwohl wir an die Gesetzesvorschläge der Kommission gebunden sind, arbeiten wir bereits an einem Initiativbericht, in dem wir unsere Prioritäten und roten Linien für dieses Gesetzpaket deutlich benennen. Um aus den Verhandlungen zur Urheberrechtsreform zu lernen, müssen die Institutionen, die Wirtschaft und die Zivilgesellschaft so früh wie möglich in den Dialog treten. Im Europäischen Parlament ist dieser Dialog bereits angelaufen.
Tiemo Wölken, Jahrgang 1985, ist seit 2016 Mitglied des Europäischen Parlaments. Besondere Bekanntheit erlangte der Sozialdemokrat im Rahmen der Reform der europäischen Urheberrechtsrichtlinie durch seinen Einsatz gegen Uploadfilter. Seit Beginn der neuen Legislaturperiode ist er der rechtspolitische Sprecher der Fraktion der Sozialisten und Demokraten im Europäischen Parlament. Wölken lädt heute gemeinsam mit den Piratenabgeordneten Marcel Kolaja und Patrick Breyer zu der Veranstaltung The future of Internet regulation in Brüssel, wo es schwerpunktmäßig um den geplanten Digital Services Act gehen soll.