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Digitalisierung & KI

Standpunkte Digitale Herzen nur mit freiem Datenfluss

Foto: Siemens Healthineers AG

Digitale Zwillinge von menschlichen Organen könnten die Forschung unterstützen und Patienten eine personalisierte, schonende Therapie bieten. Doch dazu müssten medizinische Daten ungehindert zusammenfließen können, schreibt Bernd Montag, Geschäftsführer der Siemens Healthineers AG.

von Bernd Montag

veröffentlicht am 28.10.2019

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Nähern wir uns den Themen „Digitalisierung“ oder „Künstliche Intelligenz“, so tun wir das meist auf theoretischer Ebene. Die dazugehörenden Diskussionen sind richtig und wichtig, vernachlässigen aber leider zu oft eine realistische Einschätzung des potenziellen Nutzens. Ich verstehe die Themen Digitalisierung und Künstliche Intelligenz vor allem als Grundlagentechnologie und – wenn man so will – als Mittel zum Zweck. 

Schauen wir dabei auf die Gesundheitsversorgung, so sehen wir, dass das breite Spektrum von immer präziseren Verfahren und daraus gewonnener Erkenntnisse für das menschliche Fassungsvermögen viel zu groß ist, um für den Patienten in einen zusätzlich nutzenstiftenden Kontext gebracht zu werden. Würde man die gewonnen Daten allerdings in einer medizinischen Datenbank zusammenführen und durch Algorithmen zueinander in Beziehung setzen, so könnte man am Ende des Tages einen „Digitalen Zwilling“ des Menschen entwickeln. Mit Hilfe dieses KI-basierten digitalen Abbilds ließe sich die Funktionsweise von einzelnen Organen und im weiteren Verlauf sogar des gesamten Organismus eines Patienten simulieren. Was wäre also, wenn wir einen „Patienten-Avatar“ konstruierten, der es uns ermöglicht sowohl individuelle Gesundheitsrisiken besser zu verstehen als auch die Effektivität von Therapien zu simulieren? 

Virtuelles schont biologisches Herz

Auch wenn diese Vision noch in der Zukunft liegt, die konkreten Anfänge gibt es schon heute: Gemeinsam mit Partnern am Universitätsklinikum Heidelberg arbeiten wir an einem digitalen Zwilling des Herzens, mit dem wir den Therapieerfolg der sogenannten „kardialen Resynchronisationstherapie“ simulieren. Solche Therapien werden bei Patienten mit schwachem Herzen und chronisch unregelmäßigem Herzschlag eingesetzt. Zur Behandlung werden Elektroden an die Herzkammern angebracht und mit einem exakt abgestimmten Stromstoß das Herz wieder in Gleichtakt gebracht. Da die Position der Elektroden am Herzen sowie das Timing der Impulse von Herz zu Herz variiert, ist ein Test am virtuellen Herzen außerordentlich sinnvoll und schont gleichzeitig den Patienten. Mit einer Simulation des menschlichen Herzens können solche Eingriffe gefahrlos getestet werden. 

Dieses Beispiel lässt erahnen, welche Möglichkeiten die Digitalisierung im Sinne einer personalisierten Medizin eröffnen könnte. Mit immer komplexer werdenden Modellen können wir in Zukunft immer mehr Erkenntnisse über den einzelnen Patienten gewinnen und darüber die jeweils beste Therapie-Option für ihn oder sie im Vorfeld prüfen. Die Voraussetzung für eine Verwirklichung einer solchen Vision ist, wie erwähnt, die Sammlung und gezielte Auswertung von Daten aus unterschiedlichen Quellen sowie die dafür notwendigen Algorithmen. Die Rahmenbedingungen müssen dabei natürlich so gesetzt sein, dass ein Datenmissbrauch ausgeschlossen ist und letztlich jeder Mensch selbst entscheidet, wem er unter welchen Bedingungen Zugang zu seinen Daten gewährt. 

Um diese Entscheidung aber überhaupt erst treffen zu können, müssen wir zuerst die Hürden aus dem Weg schaffen, die bisher einen solchen Datenzusammenfluss verhindern – wie zum Beispiel die Standardisierung von IT-Landschaften im klinischen Bereich. Nur so eröffnet sich überhaupt die Möglichkeit, den Patienten gleichzeitig zum Entscheider und Nutznießer seiner Daten zu machen und damit den Weg zu einer besseren und individualisierten Gesundheitsversorgung zu ebnen. Damit ließe sich auch der großen Herausforderung des Gesundheitswesens begegnen: Eine gleichermaßen präzisere und kosteneffizientere medizinische Versorgung für eine alternde und wachsende Bevölkerung bei gleichzeitiger Zunahme chronischer Krankheiten und dem Mangel an qualifiziertem medizinischen Fachpersonal. Erreichen werden wir das nur, indem wir teure und ineffektive Therapien vermeiden und den Patienten als Individuum in den Mittelpunkt aller Handlungen stellen. Die Basis dafür können wir schaffen, indem wir uns der neuesten technologischen Werkzeuge bedienen und vor allem: mehr Digitalisierung wagen!

Bernd Montag studierte Physik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Nach seiner Promotion in theoretischer Teilchenphysik begann er seine berufliche Laufbahn 1995 bei Siemens. Seit 2015 leitet er die die Siemens Healthineers AG. 

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